Razzia im Morgengrauen – ICE-Terror in Huntington Park

VonRainer Hofmann

Juni 28, 2025

Es war kurz nach vier Uhr morgens, als der Knall die Straße erschütterte. Eine Explosion, ein gepanzerter Einsatzwagen, bewaffnete Agenten, eine Drohne – und mittendrin: eine Mutter mit ihren beiden kleinen Kindern, eines davon gerade ein Jahr alt. Der Ort: Huntington Park, ein dicht besiedeltes Viertel südlich von Los Angeles, in dem fast 97 Prozent der Bewohner lateinamerikanische Wurzeln haben. Ziel: eine Wohnung, in der der Lebensgefährte der Frau – Jorge Sierra-Hernandez – gemeldet war. Doch zum Zeitpunkt der Razzia war er gar nicht da. Nach unseren Recherchen war der Einsatz Teil einer breit angelegten ICE-Offensive, die in mehreren Teilen Südkaliforniens stattfand. Offiziell ging es um Ermittlungen wegen eines Zusammenstoßes zwischen Sierra-Hernandez und einem Fahrzeug der Grenzschutzbehörde – ein Vorfall, der bislang wenig Aufmerksamkeit erregt hatte. Doch nun wurde daraus ein Spektakel der Einschüchterung: Eine Spezialeinheit stürmte das Haus, sprengte die Tür, durchsuchte alles – ohne Rücksicht auf die Kinder, die Frau oder den Umstand, dass die Zielperson gar nicht anwesend war. Jorge Sierra-Hernandez stellte sich später selbst der Polizei. Die Frage bleibt: Warum dieser massive Gewalteinsatz?

Auch in anderen Vierteln war die Lage angespannt. Zahlreiche Bewohner berichten von unmarkierten Fahrzeugen, maskierten Männern ohne Abzeichen und einem Klima der Angst. Viele Menschen trauen sich seither nicht mehr auf die Straße, Kinder fehlen in der Schule, Supermärkte bleiben leer. Der Bürgermeister von Huntington Park, Arturo Flores, sprach von einer Entfremdung zwischen staatlicher Gewalt und Bevölkerung. Er forderte vom Department of Homeland Security Aufklärung: Warum diese martialische Taktik? Warum diese Geheimhaltung? Besonders beunruhigend: Nur Stunden vor dem ICE-Einsatz wurde in derselben Gegend ein 23-jähriger Mann festgenommen, der sich als Beamter des Zoll- und Grenzschutzes ausgegeben hatte – mit gefälschter Uniform, halbautomatischem Gewehr, Polizeilichtern und Funkgeräten. Er soll laut Polizei versucht haben, Zugang zu Wohnungen zu erzwingen. Der Vorfall hat die Verunsicherung in der Gemeinde noch verstärkt: Wer gehört wirklich zur Regierung, wer ist ein Hochstapler? Und vor allem: Ist die Bedrohung nicht längst staatlich?

Der Fall Huntington Park zeigt, was passiert, wenn staatliche Machtmittel ohne Maß und Kontrolle eingesetzt werden – und wenn politische Botschaften auf dem Rücken unschuldiger Familien inszeniert werden. Es ist nicht nur die Angst vor Abschiebung, die Lateinamerikaner in Südkalifornien lähmt. Es ist das Gefühl, dass niemand mehr zuhört. Dass Gesetze nur noch gelten, wenn sie der Ideologie nützen. Und dass selbst die Tür zum eigenen Zuhause nicht mehr sicher ist. In einem solchen Klima verliert nicht nur eine Gemeinde ihr Vertrauen – sondern eine Gesellschaft ihre Menschlichkeit.

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