Der erste Fall in der Geschichte der Menschheit

VonRainer Hofmann

Mai 21, 2025

Das Ende der Freiheit beginnt mit einem Missverständnis – Kristi Noem, Donald Trump und der Missbrauch von Habeas Corpus.

Es ist einer dieser Sätze, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt: „Habeas Corpus ist ein verfassungsmäßiges Recht, das es dem Präsidenten erlaubt, Menschen aus diesem Land zu entfernen.“ Gesagt hat das nicht irgendwer, sondern Kristi Noem, die amtierende Ministerin für Heimatschutz der Vereinigten Staaten – in einer Anhörung vor dem US-Senat am 20. Mai 2025. Der Satz ist nicht nur faktisch falsch. Er ist ein Symptom. Ein Symptom für den Zustand einer Regierung, die sich dem autoritären Machtinstrument bedient und dabei offen die Fundamente des Rechtsstaats angreift.

Habeas Corpus – das uralte Schutzrecht, das bereits im England des 17. Jahrhunderts gegen willkürliche Inhaftierung geschaffen wurde, ist nicht dafür da, Menschen „aus dem Land zu entfernen“. Es ist das genaue Gegenteil. Es garantiert jedem Menschen – auch Migranten – den Anspruch auf richterliche Überprüfung einer Inhaftierung. Es ist die juristische Trennlinie zwischen einem Rechtsstaat und einem Polizeistaat. Zwischen Freiheit – und Trump.

Und doch versucht Noem, gestützt von Präsident Trump und dessen Berater Stephen Miller, dieses Grundprinzip umzudeuten. Die Begründung: Amerika werde von einer „Invasion“ überrollt – vor allem durch venezolanische Migranten. Diese Formulierung ist keine Analyse. Es ist Rhetorik aus der Sprache der Autokraten. Wenn das Land „angegriffen“ wird, dann – so das Kalkül – darf man zurückschlagen. Und Rechte aussetzen.

Trump beruft sich auf die Suspension Clause der US-Verfassung, wonach Habeas Corpus nur in Fällen von „Rebellion oder Invasion“ ausgesetzt werden darf. Was einst für Kriegsrecht gedacht war, wird nun auf Menschen angewandt, die Schutz suchen. Das ist nicht nur zynisch. Es ist historisch einmalig. Noch nie hat ein demokratisch gewählter Präsident Habeas Corpus zur Massenabschiebung missbraucht.

Wie weit kann Trump noch gehen, bevor jemand ihn aufhält?

Der Missbrauch von Habeas Corpus ist kein Einzelfall. Es ist ein Baustein in einem größeren Plan. Schon im März berief sich Trump auf den Alien Enemies Act von 1798, um angebliche venezolanische Bandenmitglieder ohne Gerichtsverfahren aus dem Land zu schaffen. Selbst konservative Gerichte in Texas, New York und Pennsylvania widersprachen. Doch Trump ließ dennoch deportieren – über Nacht, mit Charterflügen nach El Salvador. Trotz gerichtlicher Anordnungen.

Jetzt soll also das letzte verbliebene Grundrecht ausgehebelt werden, das selbst Guantanamo-Häftlingen 2008 durch den Supreme Court zugesprochen wurde: das Recht auf richterliche Kontrolle der Haft.

Was sagt das über eine Regierung, die den Rechtsstaat nicht verteidigt, sondern umdeutet?

Was sagt das über ein Kabinett, das bereit ist, die Grundarchitektur der US-Verfassung aufzugeben, um politische Ziele durchzusetzen? Was sagt das über eine Gesellschaft, die das zulässt?

Der erste Fall in der Geschichte der Menschheit

Noch nie – in keiner Demokratie dieser Welt – wurde Habeas Corpus als Mittel zur Abschiebung instrumentalisiert. Selbst Diktaturen wie Chile unter Pinochet oder Russland unter Putin haben diesen Begriff weitgehend gemieden, weil seine Umkehrung zu offensichtlich wäre. Und doch steht jetzt eine Ministerin im US-Kongress – im Mutterland der liberalen Verfassung – und behauptet, dieses Recht sei eine Entfernungserlaubnis.

Das ist grotesk.
Das ist ein Angriff.
Das ist, wenn man ehrlich ist, der erste autoritäre Umbau des amerikanischen Rechtssystems von innen heraus – mit einer juristisch verpackten Lüge als Werkzeug.

Wo bleibt die Gegenwehr?

Senatorin Maggie Hassan widersprach Noem sofort, nannte Habeas Corpus das, was es ist: „Das fundamentale Recht, das freie Gesellschaften wie die unsere von Polizeistaaten wie Nordkorea unterscheidet.“ Doch es bleibt bei Worten. Keine Sanktionen. Kein Misstrauensvotum. Kein juristisches Nachspiel – bislang.

Wie weit kann Trump noch gehen, ohne dass er gestoppt wird?
Wie viele Verfassungsgrundsätze müssen gebrochen, wie viele Rechte außer Kraft gesetzt werden, bevor eine Mehrheit in diesem Land erkennt, dass es nicht mehr nur um Migration geht – sondern um das Ende der amerikanischen Demokratie, wie wir sie kannten?

Wenn Habeas Corpus nicht mehr heilig ist, dann ist nichts mehr sicher.

Dann gilt: Nicht das Gesetz schützt dich, sondern der Präsident entscheidet, ob du noch Rechte hast.

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