Ein Flug ins Ungewisse und das Machtwort eines Richters

VonRainer Hofmann

Mai 21, 2025

Es war eine der dramatischsten Wendungen im erbitterten Streit um Trumps Deportationspolitik: Ein US-Bundesrichter hat am späten Dienstagabend angeordnet, dass die Vereinigten Staaten alle Kontrolle über abgeschobene Migranten behalten müssen, die offenbar bereits nach Südsudan ausgeflogen wurden – darunter Menschen aus Myanmar und Vietnam. Und obwohl das Flugzeug mit den Betroffenen bereits in der Luft war, bleibt es nun vorerst ein Gefängnis über den Wolken. Niemand darf aussteigen. Niemand darf verschwinden.

Die Schlacht vor Gericht – und das Machtwort von Richter Murphy

Die Entscheidung erging nach einer Notfallanhörung vor dem US-Bezirksgericht in Massachusetts. Bundesrichter Brian E. Murphy, ein von Präsident Biden eingesetzter Jurist, hatte bereits im April eine Verfügung erlassen, die Abschiebungen in Drittländer ohne vorherige Anhörung untersagt. Doch die Trump-Regierung ignorierte diese Maßgabe offenbar – und begann laut Anwälten von Menschenrechtsorganisationen und Recherchen von Journalisten damit, Migranten nicht nur in ihre Herkunftsländer, sondern gezielt in Drittländer wie Südsudan zu deportieren.

Die Klage wurde maßgeblich von der National Immigration Litigation Alliance angestoßen, unterstützt von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Journalisten und Beobachtern aus den betroffenen Regionen. Als Journalisten haben wir mittlerweile ein informelles Überwachungsnetz aufgebaut – um sicherzustellen, dass die Menschen an Bord nicht in einem rechtlichen Niemandsland verschwinden.

Die Entscheidung: Kein Rückflug, aber ein unübersehbares Signal

Richter Murphy entschied am Dienstag, dass die US-Regierung „die Kontrolle über alle derzeit nach Südsudan oder in ein anderes Drittland gebrachten Mitglieder der Klägergruppe behalten“ müsse. Dabei ließ er offen, wie genau diese Kontrolle auszusehen hat – aber das Ziel ist klar: Falls das Gericht später feststellt, dass die Abschiebung rechtswidrig war, muss eine Rückführung praktisch umsetzbar bleiben.

Was das konkret bedeutet? Der Flug darf zwar weitergehen, aber niemand darf das Flugzeug verlassen. Die betroffenen Menschen müssen an Bord bleiben, bis das Gericht weitere Anweisungen erteilt. Es ist ein surrealer Zustand – eine fliegende Warteschleife, ein temporäres Internierungslager über den Wolken. Und der Richter stellt klar: Sollte jemand versuchen, diese Anordnung zu umgehen, drohen strafrechtliche Konsequenzen, bis der Möglichkeit von Verhaftung. – auch für Flugpersonal und Regierungsbeamte.

Die Realität am Boden – und im Cockpit

Eine Frau hatte berichtet, dass ihr Mann – ein Vietnamese – mit bis zu zehn weiteren Menschen am Dienstagmorgen nach Afrika geflogen wurde. Ein anderer Mann aus Myanmar wurde kurz vor seinem Abflug nur auf Englisch über das Ziel seiner Reise informiert – eine Sprache, die er kaum versteht. Sein Anwalt erfuhr von der Abschiebung Stunden vor dem Start.

Laut Gerichtsunterlagen stammt die Bestätigung seiner Deportation aus einer internen E-Mail eines texanischen Beamten, die einem Journalisten zugespielt wurde. Es ist ein Muster, das sich wiederholt: kaum Transparenz, keine verständliche Kommunikation, keine Chance zur Gegenwehr.

Ein unsicheres Ziel – und eine wachsende Liste an Verstößen

Südsudan ist kein Zufluchtsort. Der Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und Milizen hat bereits über 400.000 Menschen das Leben gekostet. Die US-Regierung selbst erkennt das Land als gefährlich an: Seit 2011 genießen einige Südsudanesen in den USA den „Temporary Protected Status“, der sie vor Abschiebungen schützt. Erst kürzlich verlängerte Trumps Heimatschutzministerin Kristi Noem diese Schutzregelung – offenbar ohne jede Konsequenz für die Deportationen nach ebendort.

Der jüngste Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums beschreibt Südsudan als Staat mit systematischen Menschenrechtsverletzungen – darunter willkürliche Hinrichtungen, Folter, Verschwindenlassen, sexualisierte Gewalt. Und dennoch werden Menschen in genau diese Realität zurückgeschickt – ohne Gerichtsverfahren, ohne Anhörung, ohne Schutz.

Ein Sieg, der noch keiner ist – und die Hoffnung in der Luft

Der Flug wurde nicht umgeleitet. Die Menschen sind nicht zurückgebracht worden. Doch sie wurden auch nicht vergessen. Das ist die eigentliche Nachricht. Die Justiz hat ein Signal gesetzt, dass es rote Linien gibt – und dass Missachtung nicht folgenlos bleibt.

Ob und wie diese Migrant:innen wieder festen Boden unter den Füßen spüren werden, ist offen. Doch eines steht fest: Der Rechtsstaat hat in diesem Moment nicht kapituliert. Die Schlacht war hart – doch das Ziel bleibt: Menschen nicht zu Objekten einer Politik der Abschreckung zu machen, sondern Subjekte eines Rechts, das noch gelten soll – auch in Zeiten von Trump. Und jetzt? Kaffee; und dann weiter….

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