„Weidel, bitte hör auf zu lügen – es nervt“

VonRainer Hofmann

Juni 8, 2025

Ein Artikel über heiße Luft, kalte Fakten und die politische Kunst des Zündelns.

Es war einer dieser Tage, an denen man sich wünscht, die Politik würde wenigstens ab und zu den Unterschied zwischen Skandal und Schlagwort kennen. Am 7. Juni 2025 verbreitete Alice Weidel über X (ehemals Twitter) die Behauptung, die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU) habe Millionen an NGOs gezahlt, um eine „Klimaideologie“ durchzusetzen. Diese Gelder, so ihre Logik, seien anschließend genutzt worden, um Energieunternehmen mit Klagen zu überziehen – als handele es sich bei der Europäischen Kommission um einen linksgrünen Guerillafonds zur Sabotage der freien Marktwirtschaft. Der Satz, mit dem sie diesen Unsinn abschloss, war ebenso erwartbar wie durchschaubar: Wer glaube, mit der CDU in der Regierung ändere sich etwas, täusche sich gewaltig.

Tatsächlich täuscht sich hier nur eine: Frau Weidel – über das, was diese Förderung eigentlich ist. Die EU-Kommission unterstützt seit Jahrzehnten zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch Umwelt-NGOs. Nicht heimlich, nicht ideologisch, sondern auf Basis öffentlicher, rechtlich sauber geregelter Programme. Das ist nicht nur legal, sondern demokratisch gewollt. Der Vorwurf, diese Mittel dienten der Unterwanderung der Industrie, ist so absurd, dass er nur in einer Partei ernsthaft geäußert werden kann, die sich aus Prinzip jeder Realität verweigert, die nicht in 280 Zeichen Empörung passt.

Noch absurder wird es, wenn man weiß: Ja, NGOs dürfen klagen – und das sollen sie auch. Das sogenannte Verbandsklagerecht existiert nicht, um Regierungen zu ärgern, sondern um sie an geltendes Umweltrecht zu erinnern. Wer daraus eine Klagewelle gegen die freie Wirtschaft konstruiert, offenbart nicht nur ein fragwürdiges Demokratieverständnis, sondern auch eine beunruhigende Sehnsucht nach autoritärer Ruhe. Denn nichts anderes bedeutet Weidels Rhetorik: Kritik ist nur dann erlaubt, wenn sie leise ist – und NGOs sind nur dann legitim, wenn sie schweigen.

Als Beleg für ihr vermeintliches Enthüllungsdrama präsentiert Weidel einen Screenshot, offenbar aus der Zeitung „Welt“. Der Artikel trägt den Titel „Geheime Verträge – EU-Kommission bezahlte Aktivisten für Klimalobbyismus“. Autor ist unter anderem Axel Bojanowski, ein Wissenschaftsjournalist, der bekannt dafür ist, die Klimafrage nicht zu leugnen, aber stets mit einer Prise Skepsis zu versehen, die sich gut mit wirtschaftsfreundlichen Erzählungen verträgt. Die visuelle Untermalung des Artikels wirkt wie ein Lehrbuchbeispiel für Dramatisierung: rot glühende Sonne, rauchende Schornsteine – als würde Greta Thunberg persönlich am Fotofilter sitzen. Doch selbst wer den Artikel ganz liest, findet keinen Beweis für Weidels Behauptungen. Vielmehr offenbart sich: Die EU hat Organisationen gefördert, die im Rahmen bestehender Gesetze ihre Rechte wahrnehmen – Punkt. Dass man daraus ein verschwörerisches Netzwerk gegen den Kapitalismus strickt, ist intellektuell dürftig und politisch gefährlich.

Denn das, was Weidel betreibt, ist kein Journalismus und auch keine Aufklärung. Es ist gezielte Desinformation – und zwar mit Methode. Man nehme ein reales Förderprogramm, wähle ein ideologisch aufgeladenes Stichwort wie „Klimaideologie“, gieße eine großzügige Portion Misstrauen darüber, und serviere das Ganze mit einem CDU-Logo, das man am liebsten gleich mit abwickeln möchte. Fertig ist der perfekte Empörungscocktail für jene, denen das Weltbild wichtiger ist als die Welt selbst.

Dass es sich bei der angeblichen „Klagewelle“ in Wahrheit um vereinzelte Verfahren handelt, dass die meisten davon juristisch begründet und in demokratischen Verfahren eingebettet sind, spielt dabei keine Rolle. In Weidels Rhetorik ist der NGO längst zur Projektionsfläche geworden – wahlweise als linksradikale Lobbyistin, staatsfinanzierte Protestmaschine oder Feind der Wirtschaft. Was sie nie ist: Teil einer offenen Gesellschaft, die Kritik nicht nur aushält, sondern braucht.

Also, Frau Weidel: Bitte hören Sie auf mit dem Lügen. Es nervt. Es nervt Jurist:innen, die mühsam um die Unabhängigkeit des Rechts kämpfen. Es nervt Wissenschaftler:innen, die sich täglich gegen Klimaverharmlosung stemmen. Es nervt sogar Christdemokraten, die sich fragen, wie ausgerechnet ihre Kommissionspräsidentin zur linksgrünen Verschwörungskönigin erklärt wird. Und es nervt vor allem jene Bürgerinnen und Bürger, die sich eine politische Debatte wünschen, die den Unterschied kennt zwischen Kritik und Kalkül.

Klimaschutz ist keine Religion. Aber Ihre Art, ihn zu bekämpfen, grenzt an einen Kreuzzug gegen Vernunft. Vielleicht liegt es daran, dass die Wirklichkeit nicht in Ihr Weltbild passt. Oder daran, dass Sie sie längst aufgegeben haben. In jedem Fall gilt: Wer die Demokratie schwächen will, indem er ihre Kontrollmechanismen als „Unterwanderung“ diffamiert, hat in ihr nichts begriffen – oder nichts verloren.

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