„Schiebt Xi Jinpings Tochter ab.“

VonRainer Hofmann

April 12, 2025

Es beginnt nicht mit einem Eklat. Nicht mit einer offiziellen Verlautbarung. Es beginnt mit einem Satz, beiläufig gepostet, gezielt gestreut. „Deport Xi Jinping’s daughter.“ Kein Vorschlag in einem düsteren Roman, sondern ein realer Aufruf aus der amerikanischen Gegenwart. Geäußert von Laura Loomer, einer rechtsradikalen Aktivistin, lange belächelt, heute bestens vernetzt. Ihre Stimme mag schrill sein, aber sie trifft einen Nerv: Trumps Amerika braucht Feindbilder, und es beginnt sie nun wieder auf dem Campus zu suchen.

Das Student:innenvisum, einst Symbol für Neugier, Austausch und Offenheit, wird nun zur Waffe. In den Händen eines Präsidenten, der das Denken verachtet, wird selbst die Bildung zur Bedrohung. Der neue Feind trägt keine Uniform, er trägt Kapuze, Brille, Notebook. Er marschiert nicht, er liest. Und das reicht. Denn wer liest, der fragt – und wer fragt, wird schnell zur Gefahr

Xi Mingze, Tochter des chinesischen Präsidenten, angeblich Studentin in Harvard, wird zur Projektionsfläche eines Amerikas, das seinen moralischen Kompass längst gegen eine politische Nebelmaschine eingetauscht hat. Ihre Existenz ist nicht einmal sicher bestätigt, doch sie genügt. Sie steht nicht für das, was sie sagt oder tut, sondern für das, was ihr Vater ist. Und in Trumps Welt genügt Herkunft, genügt Name, genügt bloßes Dasein, um Schuld zu tragen.

Loomers Aufruf ist kein Ausreißer. Er ist Symptom. Er fügt sich nahtlos in eine Politik, die seit Monaten gezielt ausländische Studierende ins Visier nimmt. Wer gegen den Krieg in Gaza protestiert, wird als „pro-Hamas“ gebrandmarkt. Wer chinesisch aussieht, wird zum möglichen Spion erklärt. Über 300 Visa sind bereits widerrufen worden – eine Zahl, die wie ein bürokratischer Nebensatz klingt, aber in Wahrheit Biografien zerreißt.

Diese Politik ist nicht neu, aber sie ist nun schamlos. Was früher im Verborgenen geschah, wird heute offen gefordert. Ausweisung als Machtdemonstration. Abschiebung als Symbol. Die Universität – einst Schutzraum – wird zur Bühne. Der Campus ist Frontlinie geworden.

Trumps Rhetorik verachtet Komplexität. Sie kennt keine Grautöne. Sie lebt vom Verdacht, nicht vom Beweis. Von Schuld durch Nähe, nicht durch Handlung. Sie liebt es, wenn Menschen schweigen, weil sie Angst haben, missverstanden zu werden. Und sie genießt es, wenn Denken als Gefahr wahrgenommen wird.

Die gezielte Ausgrenzung chinesischer Studierender ist nur der sichtbarste Ausdruck dieser neuen Strategie. Ein Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2022, angeführt von der Republikanerin Vicky Hartzler, trug den Namen „Protecting Higher Education from the Chinese Communist Party Act“. Ein Gesetz, das vorgibt zu schützen, aber in Wahrheit nur eins will: kontrollieren. Es geht nicht um die Sicherheit Amerikas – es geht um die Umgestaltung seines Selbstbildes. Wer hier lernen will, soll nicht mehr denken dürfen, was er will.

In dieser Logik wird selbst das Visum – ein Dokument der Hoffnung – zur politischen Geisel. Heute trifft es Xi Jinpings Tochter. Morgen trifft es den syrischen Medizinstudenten. Die palästinensische Umweltwissenschaftlerin. Den iranischen Philosophen. Und irgendwann trifft es die amerikanische Studentin, die zur falschen Zeit die falsche Frage stellt.

Es gibt ein Wort für solche Systeme. Es ist alt. Es ist hässlich. Und es beginnt nicht mit Blut, sondern mit Listen. Mit Verdächtigungen. Mit dem systematischen Zurechtrücken der Wirklichkeit. Was wir erleben, ist nicht die Verteidigung von Freiheit, sondern ihre systematische Entkernung. Ein Staat, der junge Menschen für die Herkunft ihrer Eltern bestraft, hat die Grenze zur Willkür längst überschritten. Und ein Land, das Bildung als Bedrohung empfindet, hat begonnen, sich selbst abzuschaffen, in einer Sprache, die nur noch wiederholt.

Trumps Amerika kennt diese Grenze nicht mehr. Es stürzt sich in die Wiederholung wie ein Schauspieler in die letzte Szene eines längst verlorenen Stücks. Der Applaus kommt aus der falschen Richtung. Und niemand merkt, dass die Bühne längst brennt.

Wer Xi Mingze zur Zielscheibe macht, macht nicht China schwächer. Er macht Amerika ärmer. Ärmer an Haltung. Ärmer an Vernunft. Ärmer an Zukunft. Und das Tragischste daran: Es geschieht nicht im Verborgenen. Es geschieht im Hellen. Auf den Plattformen. In den Hörsälen. Vor unseren Augen.

Amerika droht zu verlieren, was es einst groß machte – nicht seine Waffen, nicht seine Wirtschaft, sondern seinen Mut zur Offenheit. Und es tut es nicht aus Angst. Es tut es aus Kalkül.

Das ist das Erschreckendste an diesem Moment: Er ist nicht aus dem Ruder gelaufen. Er ist gewollt. Gewünscht. Geführt.

Und er beginnt, wie so viele Katastrophen: Mit einem Satz, der ernst gemeint war. „Schiebt Xi Jinpings Tochter ab.“

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