Geliefert wie bestellt – Der Gommern-Eklat und das Ende der kommunalen Verlässlichkeit

VonRainer Hofmann

Juni 12, 2025

Gommern liegt in Sachsen-Anhalt, rund 20 Kilometer südöstlich von Magdeburg – ein Ort mit etwa 11.000 Einwohnern, eingebettet zwischen Elbauen, Ackerflächen und Kleingewerbe. Politisch galt die Einheitsgemeinde lange als pragmatisch und konsensorientiert. Doch was sich am 4. Juni 2025 im Stadtrat zutrug, hat das Vertrauen in die kommunale Entscheidungsstruktur nachhaltig erschüttert.Mit den Stimmen der CDU und der AfD wurde der Bau einer Photovoltaikanlage in der Gemarkung Karith verhindert – und damit nicht nur ein lokales Energieprojekt gestoppt, sondern auch eine seit zwanzig Jahren gelebte Praxis gebrochen: Dass sich der Stadtrat am Votum der Ortschaftsräte orientiert, die in Vertretung ihrer Einwohner entscheiden. Der Ortschaftsrat Karith/Pöthen hatte mit 4:2 Stimmen für das Projekt gestimmt, nach monatelanger Planung, Bürgerbeteiligung und fachlicher Abwägung. Doch das alles wurde mit einem Federstrich hinweggefegt.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Matthias Fickel begründete die Kehrtwende überraschend: Seine Fraktion wolle erst „Leitplanken“ definieren – ein Begriff, der bislang in keiner Ausschusssitzung gefallen war. Noch am 20. Mai hatte Fickel im Bauausschuss dem Projekt zugestimmt – mit Verweis auf das klare Votum der Ortschaft. Nun also das Nein – und damit ein doppelter Vertrauensbruch: gegenüber den lokalen Gremien und gegenüber der Öffentlichkeit, die auf ein Mindestmaß an politischer Verlässlichkeit zählt. Die Folgen sind erheblich. Laut Stadtverwaltung gehen Gommern durch das Nein Einnahmen in Höhe von bis zu 500.000 Euro jährlich verloren – durch das Beteiligungs- und Akzeptanzgesetz sowie aus Gewerbesteuereinnahmen. Doch noch schwerer wiegt der politische Schaden. Bürgermeister Jens Hünerbein zeigte sich fassungslos: „Die Ortschaftsräte müssen sich darauf einstellen, dass das allgemeine politische Vertrauen damit nicht mehr gegeben ist.“ Auch andere äußerten sich deutlich: „Das ist keine positive Entwicklung“, so Frank Krehan (FWGLG), Ortsbürgermeister von Leitzkau. Selbst CDU-Ratsvorsitzende Margrit Peters sprach von „Bauchschmerzen“ – und enthielt sich bei der Abstimmung.

Am Ende lehnten zwölf Stadträte aus CDU und AfD das Projekt ab, elf stimmten dafür, zwei enthielten sich. Das reichte, um ein lokal legitimiertes Vorhaben zu Fall zu bringen. Für viele war das ein Dammbruch. Mario Langer von der Linken brachte es auf den Punkt: „Dann soll doch der Stadtrat entscheiden, was bei uns im Dorf gemacht wird. Es ist nicht in Ordnung, was ihr hier macht.“ Der politische Kontext ist eindeutig: Bei der Kommunalwahl am 9. Juni 2024 hatte die CDU ihre Position als stärkste Kraft verteidigt, die AfD erzielte mit 23,93 % fast eine Verdopplung ihres Ergebnisses von 2019 und verfügt nun über sieben Sitze im Stadtrat. SPD, FDP und die Freie Wählergemeinschaft Leitzkau-Gommern verloren Sitze. Die Linke blieb bei rund 5 %, die Grünen halten einen Sitz.

In dieser Gemengelage zeigt sich ein Muster, das über Gommern hinausweist: Wenn Macht arithmetisch reicht, wird politische Kultur zur Verhandlungsmasse. Der Bruch mit den Ortschaftsräten ist deshalb mehr als ein Einzelfall – er ist das Symptom einer politischen Verschiebung, bei der Partizipation durch Taktik ersetzt wird. Die Botschaft an die Ortschaften lautet: Ihr dürft reden – aber entscheiden tun wir. Doch am Ende, das zeigt Gommern nun schmerzhaft, beginnt Demokratie genau dort: wo man aufhört, Macht gegen Vertrauen auszuspielen.

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Nadine
Nadine
1 Monat zuvor

Können die Bürgerinnen nicht gegen den Entscheid vorgehen?

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