„Früher war alles nur Barbarei?“ – Über Loretta, Orks und das kulturelle Gedächtnis alter Meisterwerke

VonRainer Hofmann

Mai 28, 2025

Es war einmal – so beginnen Märchen. Und manchmal auch Debatten über Kunstwerke, die wir längst zu Klassikern erhoben haben. Doch was geschieht, wenn diese Werke heute mit den Augen einer neuen Zeit gesehen werden? Wenn das kollektive Gedächtnis plötzlich Ecken entdeckt, an denen es weh tut?

Ein Paradebeispiel: Das Leben des Brian. Monty Pythons Satire von 1979 – eine anarchische Bibelverballhornung, ein Witzfeuerwerk mit heiligem Ernst. Seit Jahrzehnten ein Kultfilm, der selbst Kirchenproteste mit britischem Gleichmut überlebt hat. Und doch tobt heute eine neue Debatte um eine Szene, die man lange kaum beachtet hatte: Loretta.

In dieser Szene äußert ein Mann, dass er künftig Loretta heißen und Kinder gebären möchte – sehr zum Unverständnis seiner Mitstreiter. Damals war es ein schräger Seitenhieb auf linke Gruppendynamiken und politische Korrektheit. Heute steht die Szene im Kreuzfeuer jener, die sie als unsensibel gegenüber trans Identitäten werten. Und was sagt John Cleese dazu? Nichts. Also doch: Er sagt, sie bleibt. Punkt.

„Die Szene war 40 Jahre lang kein Problem“, erklärt der Mitgründer von Monty Python. „Warum sollte sie es jetzt sein?“ Cleese sieht in der Loretta-Diskussion keine Relevanz, kein Argument, das den Eingriff rechtfertigen würde. Auch nicht, wenn Tony-Preisträger das nahelegen. Auch nicht, wenn sich die Debatte um Bühnenadaptionen heute anfühlt wie eine Gratwanderung zwischen Selbstzensur und Shitstorm-Vermeidung. Cleese bleibt – wie Loretta – standhaft.

Die neue Empfindlichkeit

Was Cleese betrifft, so ist sein Standpunkt klar. Doch er ist längst nicht allein mit dem Unmut über gegenwärtige „Korrekturwellen“, die sich durch die Klassiker der Kulturgeschichte ziehen wie ein Algorithmus durch alte Tweets. Auch Werke wie Der Herr der Ringe, von Tolkien einst als Hommage an die Mythen Europas geschrieben, geraten ins Wanken.

Plötzlich wird diskutiert, ob die Elben nicht zu blass, die Orks nicht zu dämonisch, die Menschen aus Gondor nicht zu idealisiert sind. Und ob nicht in all dem ein rassistisches Weltbild mitschwingt – das Bild vom „edlen Westen“ gegen den „barbarischen Osten“. Haradrim, Ostlinge, finstere Hautfarben und gebogene Schwerter. Kolonialrhetorik in Fantasysprache?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Doch genau hier liegt der Nerv unserer Zeit: In der Spannung zwischen dem Wunsch nach Gerechtigkeit – und der Gefahr, das Gedächtnis der Kultur wie ein fehlerhaftes Skript umzuschreiben. Mit Triggerwarnungen vor Disney-Filmen, neuen Inhaltsvermerken bei Shakespeare und dem digitalen Röntgenblick auf jede Allegorie. Selbst die Wörter, die einst bloß Reime waren, werden heute zu Fallstricken.

War früher alles besser? Oder war früher alles nur Barbarei?

Es ist ein gefährliches Argument, das häufig auftaucht: Dass das Vergangene nur ein Museum der Grausamkeit war. Ein Ort voller struktureller Gewalt, Rassismus, Sexismus – und dass die Kunst dieser Zeit nichts weiter als ein Spiegel dessen sei. Dass wir alles neu schreiben müssen, um „heute“ gerecht zu sein.

Doch was, wenn das Gegenüber der Barbarei nicht Zensur ist, sondern Kontext? Was, wenn es nicht darum geht, alte Werke zu „reinigen“, sondern sie besser zu verstehen? Ein John Cleese, der sagt „Loretta bleibt“, ist nicht per se uneinsichtig. Er ist ein Künstler, der das Werk in seiner Zeit belässt, nicht aus Trotz, sondern aus Prinzip.

Denn: Wer entscheidet, was noch gezeigt werden darf? Wer vergibt das neue Gütesiegel „zeitgemäß“?

Ein klassischer Film ist kein Vertrag mit der Gegenwart. Er ist eine Stimme aus der Vergangenheit. Und diese Stimmen können provozieren, irritieren, verwirren. Das ist ihr Recht – vielleicht sogar ihre Pflicht.

So bleibt Das Leben des Brian eine Satire auf die Gesellschaft – damals wie heute. Und Loretta? Sie bleibt, wo sie war: mitten im Diskurs, zwischen Freiheit und Fortschritt, zwischen Lachen und Nachdenken. Vielleicht war früher nicht alles besser. Aber vielleicht war es auch nicht alles nur Barbarei.

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