San Diego, 19. Juni 2025 – Es sind Bilder, die man nicht mehr vergisst: Zwei maskierte Beamte der US-Einwanderungsbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement – Einwanderungs- und Zollbehörde) führen einen Mann in Handschellen aus einem Bundesgericht in San Diego. Sein Name ist Sayed Naser. Er war Dolmetscher für US-Truppen in Afghanistan, diente zwischen 2015 und 2018 und betrieb mit seinen Brüdern ein Logistikunternehmen, das die Streitkräfte bei der Minenräumung unterstützte. In einem Video, das auf der Plattform X (ehemals Twitter) kursiert, sagt Naser: „Ich habe für die US-Armee gearbeitet. Ich wollte ein besseres Leben. Ich wusste nicht, dass es so für mich enden würde.“
Naser war 2024 legal in die Vereinigten Staaten eingereist – mit einer sogenannten humanitären Parole, gewährt nach einem Termin mit der Grenzschutzbehörde CBP (Customs and Border Protection – Zoll- und Grenzschutz). Er stellte ordnungsgemäß einen Asylantrag, gleichzeitig läuft sein Verfahren für ein Sondervisum (Special Immigrant Visa, SIV) für gefährdete Ortskräfte. Doch am 11. Juni, dem Tag seiner ersten verpflichtenden Anhörung, wurde Naser direkt nach Verlassen des Gerichtssaals von ICE-Beamten festgenommen. Die offizielle Begründung lautete: Das Verfahren sei „improvidently issued“ – eine Formulierung (Das Verfahren wurde fälschlicherweise oder irrtümlich eingeleitet), die selbst erfahrene Anwälte sprachlos zurücklässt. Sein Anwalt, Brian McGoldrick, erklärte: „Niemand weiß, was das heißen soll.“ Laut Menschenrechtsorganisationen wird dieser Begriff zunehmend benutzt, um Asylverfahren pauschal zu beenden und Abschiebequoten zu erfüllen.
Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump hat in den vergangenen Wochen die Deportationspolitik drastisch verschärft. Tausende Verhaftungen erfolgen mittlerweile in oder vor Gerichten, wo Migranten ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen – sie erscheinen zu Anhörungen und werden dennoch inhaftiert. Sayed Naser ist nun im Otay Mesa Detention Center untergebracht, einem Abschiebegefängnis nahe der mexikanischen Grenze. Sollte sein Asylantrag abgelehnt werden, droht ihm die sofortige Abschiebung – unklar ist, wohin. In Afghanistan wurde sein Bruder von den Taliban ermordet, sein Vater bei einer Hochzeitsfeier entführt. Seine Frau und Kinder leben versteckt. Der Fall Naser steht exemplarisch für eine Politik, die einstige Verbündete als Bedrohung behandelt. Und er stellt eine erschütternde Frage: Was ist das Wort der Vereinigten Staaten noch wert – gegenüber denen, die für sie ihr Leben riskiert haben?