Kanada zwischen zwei Welten – Mark Carney, die europäische Aufrüstung und Trumps imperialer Lockruf

VonRainer Hofmann

Mai 28, 2025

Es war ein Moment seltener Klarheit in einer zunehmend multipolaren Welt: Am 27. Mai, nur wenige Stunden nach seiner Thronrede, sprach der kanadische Premierminister Mark Carney in einem exklusiven Interview mit CBCs Power & Politics über den künftigen Kurs seiner Regierung – und über Kanadas Rolle in einer Welt, in der „Abhängigkeit“ längst kein neutrales Wort mehr ist.

„75 Cent von jedem Verteidigungsdollar gehen in die USA. Das ist nicht klug“, sagte Carney mit nüchternem Ton.

Seine Vision? Ein Bruch mit alten Gewissheiten – und ein entschlossener Schulterschluss mit Europa. Denn während der alte Kontinent mit ReArm Europe eine Verteidigungsinitiative in nie dagewesener Höhe von 1,25 Billionen Dollar plant, will Kanada einsteigen – bis spätestens zum Nationalfeiertag am 1. Juli. „Wir machen große Fortschritte“, so Carney. „Bis zum Canada Day wollen wir etwas Konkretes sehen.“

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Doch während Carney über europäische Souveränität spricht, wartet südlich der Grenze bereits das Imperium – in Form eines Präsidenten, der sich nicht mit Absagen begnügt. Donald J. Trump ließ über Truth Social verlauten:

„Ich habe Kanada gesagt, dass unser Golden Dome System 61 Milliarden Dollar kosten wird, wenn sie eine getrennte, aber ungleiche Nation bleiben – aber NULL Dollar, wenn sie unser geliebter 51. Bundesstaat werden. Sie ziehen das Angebot in Betracht!“

Die Botschaft ist so durchschaubar wie beunruhigend: Wer Kanadas Verteidigung sichern will, solle sich gleich politisch einverleiben lassen. Ein ironiefreies Remake des 19. Jahrhunderts in digitaler Verpackung.

Carneys Antwort auf Trumps Avance bleibt diplomatisch, aber unmissverständlich: Kanada habe „kein Interesse“ an einem Beitritt zu Trumps Raketenschild. Das Land wolle eigene Interessen verteidigen, nicht US-Logiken folgen. Schon im Oval Office hatte Carney dem US-Präsidenten deutlich gemacht, dass nationale Souveränität nicht verhandelbar sei – und dass Kanada bereit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen, auch ohne in Washingtons Schatten zu stehen.

Gleichzeitig kündigte NATO-Generalsekretär Mark Rutte in Dayton eine drastische Erhöhung der Rüstungsausgaben an: Fünf Prozent des BIP sollen künftig zur Norm werden, davon 3,5 Prozent direkt fürs Militär, 1,5 Prozent für rüstungsnahe Bereiche. Trump hatte diesen Wert schon länger propagiert – ein Maßstab, den Carney aber nicht bedingungslos übernehmen will.

„Ich bin kein Fan davon, eine willkürliche Zahl festzulegen und dann zu versuchen, sie irgendwie auszugeben“, sagte er im Interview. Vielmehr gehe es darum, was nötig sei, „um unser Land zu sichern – unsere Grenzen, den Arktisraum, unsere Souveränität“.

Derzeit liegt Kanadas Verteidigungsausgabe bei 1,37 % des BIP – das erklärte Ziel sind zwei Prozent bis 2030. Die Richtung ist klar, der Weg bleibt differenziert. Im Herbst soll ein eigener Verteidigungshaushalt folgen, angepasst an neue Bedrohungslagen und strategische Partnerschaften – europäische wohlgemerkt.

Carneys Position ist bemerkenswert: In einer Welt, in der Trump wieder mit markigen Drohungen und scheinbar „großzügigen“ Angeboten agiert, sucht Kanada seinen eigenen Weg. Es ist ein Moment strategischer Reife – und politischer Notwendigkeit. Denn wer sich von Trumps Golden Dome beschirmen lässt, könnte am Ende mehr verlieren als Geld: nämlich die eigene politische Unabhängigkeit.

Europa ist keine romantische Alternative – es ist eine strategische Entscheidung. Und sie beginnt mit klarer Sprache und konkretem Handeln, spätestens bis zum Canada Day.

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