Feuerwerk der Reichen, Schweigen der Vielen – Proteste in Venedig

VonRainer Hofmann

Juni 24, 2025

Venedig, 23. Juni 2025 – Es war ein symbolträchtiger Moment, der nicht nur für Aufsehen sorgte, sondern ein politisches Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Macht, Geld und öffentlichem Raum warf: Aktivist:innen von Greenpeace Italy entrollten gemeinsam mit der britischen Initiative „Everyone Hates Elon“ ein riesiges Banner auf dem Markusplatz – mit der Botschaft: „If you can rent Venice for your wedding you can pay more tax.“ Die Worte richteten sich an Amazon-Gründer Jeff Bezos, der sich zu diesem Zeitpunkt mit rund 200 prominenten Gästen, darunter Ivanka Trump, Oprah Winfrey, Kim Kardashian und Jared Kushner, in der Lagunenstadt aufhielt, um in einem abgesperrten Palazzo Lauren Sánchez zu heiraten. Die venezianische Polizei beschlagnahmte das Banner und nahm Personalien der Beteiligten auf, ließ sie jedoch später wieder frei – es kam zu keinen Festnahmen. Doch der Protest hallte weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Die Aktion war Teil einer wachsenden Protestbewegung, die unter dem Motto „No Space for Bezos“ gegen die Privatisierung öffentlicher Räume, Über-Tourismus und die symbolische Vereinnahmung historischer Städte durch Milliardäre mobilisiert. Unterstützt wurde die Greenpeace-Aktion von lokalen Gruppen, darunter Studierende, Anti-Kreuzfahrt-Initiativen und wohnungspolitische Organisationen, die seit Jahren gegen die Entkernung der Stadt durch Touristifizierung und die schleichende Verdrängung der Bevölkerung protestieren. Der Vorwurf wiegt schwer: Während normale Bürger:innen mit steigenden Mieten, Umweltproblemen und dem Verlust sozialer Infrastruktur konfrontiert sind, können Superreiche wie Bezos ganze Palazzi für private Großereignisse mieten – mit Unterstützung der Stadtverwaltung und unter völliger Ausblendung lokaler Interessen. Im Fokus des Greenpeace-Protests stand insbesondere die massive Ungleichheit in der Steuerlast. Jeff Bezos, laut Schätzungen mit einem Vermögen von rund 200 Milliarden US-Dollar einer der reichsten Menschen der Welt, zahlt laut Investigativrecherchen in einzelnen Jahren lediglich rund ein Prozent seines tatsächlichen Einkommens an Steuern. Während Normalverdienende in vielen Ländern zwischen 20 und 45 Prozent ihres Einkommens abführen, gelingt es Ultrareichen durch komplexe Konstrukte aus Stiftungen, Holdinggesellschaften und internationalen Schlupflöchern, ihren Beitrag an der Finanzierung öffentlicher Güter auf ein Minimum zu reduzieren. Greenpeace verweist auf Daten, wonach die weltweite Steuerlücke durch legale Steuervermeidung und aggressive Steuergestaltung von Superreichen jährlich mehrere hundert Milliarden Dollar beträgt – Geld, das weltweit für den Kampf gegen den Klimawandel, Bildung, Gesundheitssysteme oder soziale Sicherheit fehlen würde.

Zugleich kritisiert Greenpeace den ökologischen Fußabdruck, den Jeff Bezos trotz seines mit großem PR-Aufwand geschaffenen „Bezos Earth Fund“ hinterlässt. Seine Reisen in Superyachten, mit Privatjets und Raketenstarts, aber auch der Ressourcenverbrauch durch Amazon-Infrastruktur und Rechenzentren stehen im krassen Gegensatz zu den Anforderungen eines klimagerechten Lebensstils. Laut Greenpeace verursacht allein der jährliche CO₂-Ausstoß durch das Reisen der reichsten 1 % der Weltbevölkerung mehr Emissionen als die gesamte untere Hälfte der Menschheit zusammen. Auch der Transport der Gäste zur Hochzeit, die Sicherheitsmaßnahmen, der Flugverkehr und die logistische Infrastruktur hinterließen einen ökologischen Fußabdruck, der dem Image einer grünen Philanthropie diametral entgegensteht. Doch während die Protestierenden ein Zeichen setzen wollten, verteidigten die Behörden das Großereignis. Laut italienischer Regierung und venezianischer Tourismusverwaltung bringe die Hochzeit wirtschaftliche Vorteile in Höhe von geschätzten 20 bis 30 Millionen Euro. Hotellerie, Gastronomie, Sicherheitsdienste und der private Veranstaltungssektor profitierten massiv – ein Argument, das seit Jahren zur Rechtfertigung von Luxusevents in der unter massivem Druck stehenden Lagunenstadt bemüht wird. Doch Kritiker:innen warnen, dass kurzfristige Gewinne langfristige soziale Schäden nicht aufwiegen können. Die lokale Bevölkerung schrumpft, Wohnraum wird rar, Venedig verwandelt sich zunehmend in eine Kulisse für Eliten. Für zusätzlichen Zündstoff sorgte die Nachricht, dass der „Bezos Earth Fund“ bereits vor den Protesten Gespräche mit der venezianischen Umweltforschungsstelle Corila aufgenommen hatte – mutmaßlich, um durch Spenden und Kooperationen Einfluss auf Umweltprojekte in der Region zu nehmen. Für viele Aktivist:innen wirkt das wie ein Ablasshandel mit grüner Etikette – in einer Stadt, die ohnehin vom Klimawandel, dem steigenden Meeresspiegel und der Erosion ihrer sozialen Struktur besonders bedroht ist.

Dass gerade jetzt der Protest eskalierte, hat auch mit der medienwirksamen Hochzeit selbst zu tun. Die Veranstaltung zog Prominente und Kamerateams aus aller Welt an – ein perfektes Momentum, um globale Missstände am Beispiel einer einzigen Person sichtbar zu machen. Jeff Bezos wurde zur Projektionsfläche eines umfassenderen Problems: der Frage, ob sich Macht, Einfluss und Reichtum mittlerweile außerhalb demokratischer Kontrolle bewegen. Greenpeace nutzte die Bühne, um auf die strukturellen Verwerfungen hinzuweisen, die entstehen, wenn sich Einzelne ganze Städte, Narrative und Politiken aneignen können – und das unter dem Deckmantel von Freiheit und Fortschritt. Was bleibt, ist das Echo eines Protestes, der stellvertretend steht für eine wachsende globale Unzufriedenheit mit der Normalisierung von Ungleichheit, mit der politischen Ohnmacht gegenüber wirtschaftlicher Allmacht und mit einem Klimakampf, der vor allem von jenen geführt wird, die ihn mit dem kleinsten ökologischen Fußabdruck führen müssten. Diejenigen aber, die den größten verursachen, feiern währenddessen ungestört weiter. In Venedig. Mit Feuerwerk. Und ohne Reue.

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