Ein Land im Würgegriff – Wie Nayib Bukele mit Trumps Rückendeckung die Demokratie in El Salvador zerlegt

VonRainer Hofmann

Juni 12, 2025

Es beginnt mit einem Satz im Fernsehen. „Diktator“, sagt Enrique Anaya, „Despot“. Gemeint ist der Präsident seines Landes, Nayib Bukele. Wenige Tage später steht die Polizei vor Anayas Haustür. Er wird abgeführt, schweigend. In Ketten. Der Mann, ein hoch angesehener Verfassungsjurist mit Doktortitel, sitzt nun in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Geldwäsche – unbewiesen. Die wahren Gründe: unbequem, klug, laut. Und: ein Dorn im Fleisch der Macht. Sein Anwalt, Jaime Quintanilla, steht mit einer Plastikkiste vor der Haftanstalt in San Salvador. Etwas Kleidung, etwas zu essen. Und eine bange Frage im Blick: Wird Anaya je wieder freikommen? „Sie wollen uns zum Schweigen bringen“, sagt er. „Uns alle – Intellektuelle, Journalist:innen, Menschenrechtsverteidiger. Es ist eine Rachekampagne.“

Und das mit Rückendeckung aus Washington. Nicht etwa durch Schweigen, sondern durch demonstrative Nähe. Seit Donald Trump wieder im Weißen Haus sitzt, fühlt sich Bukele unantastbar. Kein Tadel, kein diplomatischer Protest. Stattdessen Bewunderung, gemeinsame Migrationsabkommen – und eine symbolische Allianz der Autoritären. Seit drei Jahren herrscht in El Salvador ein ununterbrochener Ausnahmezustand. Grundrechte wurden ausgesetzt. Willkürliche Verhaftungen sind Alltag geworden. 87.000 Menschen wurden eingesperrt – angeblich wegen Bandenverbindungen, oft jedoch ohne Prozess, ohne Beweise. Unter ihnen: Regierungskritiker:innen, oppositionelle Jurist:innen, Aktivist:innen. Viele sind verschwunden, andere ins Exil geflohen.

Nayib Bukele, einst gefeierter Politstar, regiert inzwischen durch – mit voller Kontrolle über Parlament, Justiz und Militär. Der Oberste Gerichtshof? Neu besetzt mit Gefolgsleuten. Die Verfassung? Umgedeutet, um seine Wiederwahl zu ermöglichen – ein Bruch, den auch Anaya öffentlich anprangerte. Nun ist er einer von vielen, die für ihre Kritik mit der Freiheit bezahlen.

„Mir ist egal, ob ihr mich einen Diktator nennt“, sagte Bukele Anfang Juni. „Lieber das, als weiter tote Salvadorianer:innen auf den Straßen.“ Eine Rhetorik, die den Preis für Sicherheit nicht benennt: den Zusammenbruch der Demokratie. Die Repression greift weiter um sich. Ende Mai wurden die Leiter mehrerer Busunternehmen verhaftet – weil sie sich weigerten, kostenlos zu fahren, als Bukele es anordnete. Kurz zuvor prügelte die Polizei eine Demonstration vor seiner Privatresidenz auseinander. Der Präsident schweigt. Die USA auch.

Am selben Tag verabschiedete das Parlament ein sogenanntes Ausländische-Agenten-Gesetz. Es erinnert frappierend an die Repressionen in Russland, Nicaragua oder China. Jede Organisation, die Geld aus dem Ausland erhält, kann künftig als feindlich eingestuft werden. Ziel: Menschenrechtsgruppen, Journalisten, NGOs. Und: ein Klima permanenter Angst. Verónica Reyna vom salvadorianischen Netzwerk „Servicio Social Pasionista“ berichtet, dass Polizeiwagen regelmäßig vor ihrem Büro patrouillieren. „Es ist ein Signal“, sagt sie. „Wir beobachten euch. Wir wissen, wo ihr seid.“ Seit Trump wieder regiert, sei Bukele offener, direkter, aggressiver geworden. „Er glaubt, dass ihm niemand mehr Einhalt gebietet.“

Die US-Botschaft? Schweigt. Selbst unter der Biden-Regierung wurde die Kritik an Bukele leiser, als dieser versprach, die Migration Richtung Norden zu bremsen – ein zynischer Tauschhandel auf dem Rücken derer, die am wenigsten Einfluss haben. Auch die Presse ist im Visier. El Faro, das bekannteste Investigativmedium des Landes, hat über Jahre Bukeles Machtmissbrauch dokumentiert. Korruption, geheime Absprachen mit Banden, Menschenrechtsverletzungen. Im Mai veröffentlichte die Redaktion ein brisantes Interview mit einem früheren Gangchef – kurz darauf hieß es: Haftbefehle seien in Vorbereitung. Fünf El Faro-Journalisten, darunter Chefredakteur Óscar Martínez, befinden sich seither im Ausland. Ihre Namen – ebenso wie der von Enrique Anaya – stehen auf einer internen Liste der Flughafenpolizei unter dem Titel „Prioritätsziele“. Einem Rückflug am vergangenen Wochenende kam die Staatsmacht zuvor: Polizisten warteten bereits am Flughafen.

Martínez ist realistisch: „Wenn wir zurückkehren, werden sie uns festnehmen. Und ich bin sicher: Wir würden gefoltert. Vielleicht sogar getötet.“ Was sich in El Salvador abspielt, ist kein spontaner Kontrollverlust. Es ist der Aufbau eines repressiven Systems, das politische Gegner nicht bekämpft, sondern eliminiert. Ein System, das sich international an autoritären Vorbildern orientiert – und das innenpolitisch auf ein Klima der Angst setzt. Enrique Anaya ist kein Einzelfall. Er ist ein Mahnmal. Ein Mann, der den Mut hatte, sich einem entgleisten Staat entgegenzustellen. Jetzt sitzt er in einem dunklen Zellentrakt – ohne Anklage, ohne Hoffnung. Sein Anwalt Quintanilla bleibt an seiner Seite. Doch selbst er weiß: „Sie könnten ihn ewig festhalten. Einfach, weil sie es können.“

Was El Salvador braucht, ist nicht Schweigen, sondern Licht. Nicht Trumps Applaus, sondern internationale Öffentlichkeit. Und nicht länger das Wegsehen jener Demokratien, die einst für Menschenrechte eintraten – und sie nun dem politischen Opportunismus opfern. Denn was hier geschieht, ist keine Innenpolitik. Es ist ein Angriff auf das Prinzip von Freiheit selbst.

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