Ein gefährliches Novum – Wie Donald Trump Kaliforniens Nationalgarde unter Bundesbefehl stellte

VonRainer Hofmann

Juni 9, 2025

Es ist ein Schritt, der weit über die politische Symbolik hinausgeht – und tief in die Verfassungseingeweide der Vereinigten Staaten greift: Donald Trump hat am 7. Juni 2025 die Nationalgarde Kaliforniens nach Los Angeles beordert, ohne Zustimmung des Gouverneurs. Ein Tabubruch? Ein legaler Präzedenzfall? Oder ein Verstoß gegen die föderale Ordnung?
Historisch betrachtet ist der Fall brisant – denn seit 1965 hat kein Präsident der Vereinigten Staaten mehr gewagt, gegen den Willen eines Bundesstaates militärische Kräfte auf dessen Territorium zu entsenden. Damals war es Präsident Lyndon B. Johnson, der auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung Soldaten nach Alabama schickte, um friedliche Demonstrant:innen in Selma zu schützen. Johnson stützte sich dabei auf den Insurrection Act – ein Gesetz aus dem 18. Jahrhundert, das es dem Präsidenten erlaubt, im Falle eines Aufstands militärische Gewalt innerhalb der USA anzuwenden. Der Unterschied zu heute: Johnson handelte in Absprache mit dem Kongress – und im Sinne des verfassungsmäßigen Schutzes von Grundrechten.

(1965)

Donald Trump hingegen geht einen anderen Weg. Er verzichtet auf den Insurrection Act – wohl auch, weil dessen Anwendung politisch toxisch ist – und beruft sich stattdessen auf eine andere Regelung im United States Code, Titel 10, Abschnitt 12406. Dieser erlaubt es dem Präsidenten, Angehörige der Nationalgarde unter Bundeskommando zu stellen, wenn er der Ansicht ist, dass ein „Aufstand“ oder eine „Verhinderung der Ausführung von Gesetzen“ vorliegt. Doch genau hier liegt der Haken. Denn in ebenjenem Gesetz heißt es auch: Solche Anordnungen müssen über die Gouverneure der betroffenen Bundesstaaten erfolgen. Trump jedoch hat Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom umgangen – und damit einen massiven verfassungsrechtlichen Konflikt ausgelöst.

Newsom selbst sprach in einem öffentlichen Schreiben von einem „ernsthaften Verfassungsbruch“, der die Gewaltenteilung aushebelt. Los Angeles’ Bürgermeisterin Karen Bass nannte den Schritt des Präsidenten eine „absichtliche Eskalation“, die nicht der öffentlichen Sicherheit diene, sondern der Einschüchterung.
Tatsächlich war die Lage in Los Angeles angespannt – aber keineswegs unkontrollierbar. Die Proteste, ausgelöst durch großangelegte Abschiebungsaktionen des Immigration and Customs Enforcement (ICE), hatten sich am 7. und 8. Juni im Zentrum der Stadt zugespitzt. Es kam zu brennenden Fahrzeugen, Straßenblockaden und punktuellen Plünderungen. Doch statt auf Deeskalation setzte das Weiße Haus auf Härte. In sozialen Netzwerken forderte Trump offen die Verhaftung maskierter Demonstrierender und rief nach „Law and Order“ – ein rhetorischer Rückgriff auf seine erste Amtszeit, nun aber angereichert mit juristischem Sprengstoff.

(2025)

Denn was mit dieser Entscheidung einhergeht, ist nicht nur eine politische Botschaft, sondern eine systemische Neuinterpretation der Machtbalance zwischen Washington und den Bundesstaaten. Kann ein Präsident die Nationalgarde gegen den erklärten Willen eines Staates einsetzen – ohne den Ausnahmezustand formell auszurufen? Diese Frage ist derzeit Gegenstand intensiver Debatten an amerikanischen Universitäten, in Anwaltskammern und am Supreme Court, der in ähnlichen Fällen bereits klare Grenzen gezogen hat – aber eine exakte Antwort auf den nun entstandenen Fall schuldig bleibt.

Das renommierte Brennan Center for Justice weist darauf hin, dass es seit 1965 keinen vergleichbaren Fall gegeben hat. Selbst George W. Bush, der nach Hurricane Katrina die Nationalgarde in Louisiana einsetzen wollte, tat dies nur nach Rücksprache mit der Gouverneurin. Und Barack Obama ließ während der Ferguson-Proteste 2014 den Bundesstaat Missouri bewusst selbst entscheiden, ob militärische Unterstützung nötig sei – aus Respekt vor föderaler Souveränität. Donald Trump ignoriert diese Prinzipien – und testet erneut die Grenzen des präsidentiellen Handlungsspielraums aus und trägt damit die Hauptschuld an den schweren Ausschreitungen. Dabei vermischt er Sicherheitsrhetorik mit Wahlkampfparolen, rechtliche Graubereiche mit politischer Repression. Der Einsatz der kalifornischen Nationalgarde ohne das Einverständnis Kaliforniens ist deshalb nicht bloß ein umstrittenes Mittel in einer aufgeheizten Protestlage – sondern ein gefährlicher Präzedenzfall.

Ein Präzedenzfall, der ein föderales System ins Wanken bringen könnte – und einen Präsidenten zeigt, der die Tür zur zentralstaatlichen Kontrolle weiter aufstößt, als es die US-Verfassung vielleicht erlaubt.

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