Der Stillstand in Washington hat die Hungerkrise in Amerika noch mehr verschärft, die nicht nur Zahlen, sondern Menschen trifft. Vier Wochen dauert der Shutdown inzwischen, und zum 1. November droht der Ausfall der Lebensmittelhilfe für fast die gesamte Breite der amerikanischen Gesellschaft, die sich Monat für Monat auf eine elektronische Karte verlässt, weil das Geld selbst mit Arbeit nicht reicht. Rund 42 bis 44 Millionen Menschen sind es laut Regierungsangaben, die den Supplemental Nutrition Assistance Program, SNAP, nutzen. Ein System, das wie eine Debitkarte funktioniert, im Supermarkt, am Dollar-Store, auf dem Wochenmarkt, sogar online bei Händlern wie Amazon. Im Schnitt 187 Dollar pro Monat pro Person, zu wenig zum Leben, zu viel, um es ohne Folgen zu streichen. Dass ausgerechnet dieses Programm jetzt als Faustpfand im Machtkampf missbraucht wird, markiert eine Zäsur: Zum ersten Mal seit seiner Einführung sollen Leistungen schlicht nicht ausgezahlt werden, weil die Regierung geschlossen ist.

Das Landwirtschaftsministerium hat es in einer Weise angekündigt, die selbst in Washingtons aufgeheizter Sprache wie ein Schlag ins Gesicht wirkt. Auf der eigenen Website stand als Banner eine parteipolitische Schuldzuweisung, gefolgt vom Satz, die Quelle sei versiegt, am 1. November gebe es keine Leistungen. Dass im selben Atemzug behauptet wurde, die Blockade diene dubiosen kulturkämpferischen Zielen der Gegenseite, zeigt, wie weit sich die Exekutive von der nüchternen Verwaltung eines Grundrechts entfernt hat: dem Recht, nicht zu hungern.

„Die Senatoren der Demokraten haben nun zwölfmal dagegen gestimmt, das Lebensmittelmarkenprogramm, auch bekannt als Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP), zu finanzieren. Kurz gesagt: Die Quelle ist versiegt. Zum jetzigen Zeitpunkt werden am 1. November keine Leistungen ausgezahlt. Wir nähern uns einem Wendepunkt für die Demokraten im Senat. Sie können weiterhin auf Krankenversicherung für illegale Einwanderer und geschlechtsverändernde Eingriffe bestehen – oder die Regierung wieder öffnen, damit Mütter, Babys und die Schwächsten unter uns die dringend benötigte Ernährungsunterstützung erhalten.“
Das Banner wurde nach wenigen Stunden entfernt, da es als parteipolitische Botschaft auf einer Regierungsseite einen eindeutigen Verstoß gegen den Hatch Act darstellt – jenes US-Gesetz, das Behörden zur politischen Neutralität verpflichtet. Noch gravierender: Der Text verbreitete gezielt Desinformation, indem er die Verantwortung für die drohende Einstellung der Lebensmittelhilfen allein den Demokraten zuschrieb und dabei Begriffe verwendete, die aus rechtsextremen Kampagnen stammen. Selbst in Washington, wo Rhetorik oft scharf ist, galt dieser Auftritt als Tabubruch. Er zeigt, wie weit die Regierung inzwischen bereit ist zu gehen – und dass ihr offenbar nichts mehr zu schändlich ist, wenn es darum geht, die eigene politische Agenda zu rechtfertigen.
Dabei bestreitet niemand ernsthaft, dass das Ministerium über fünf bis sechs Milliarden Dollar an Notfallreserven verfügt, die den Übergang finanzieren könnten. Acht Milliarden kostet SNAP pro Monat, der Puffer würde also nicht alles abdecken, aber er würde verhindern, dass über Nacht Kühlschränke leer bleiben, Einkaufswagen stehenbleiben und Kinder ohne Frühstück in die Schule gehen. Genau darum geht es jetzt vor Gericht.

Ein Bild, das inzwischen zum Alltag in Amerika gehört: Menschen, die in langen Reihen auf ihre Lebensmittelhilfe warten
Eine Koalition aus mehr als zwei Dutzend Bundesstaaten, angeführt von New York, Kalifornien und Massachusetts, hat am 28. Oktober beim Bundesgericht in Boston Klage eingereicht. Die Argumentation ist klar und hart: Der Food and Nutrition Act verpflichtet die Bundesregierung, Leistungen für alle Anspruchsberechtigten bereitzustellen. Dass die Behörde dies unter Verweis auf den Shutdown verweigert, sei vermeidbar, willkürlich und rechtswidrig. Der Fall landete bei der Bundesrichterin Indira Talwani; sie hört am 30. Oktober die Anträge, die USDA zu zwingen, die Reserven zu nutzen.


Die Klageschrift, eingereicht am 28. Oktober 2025 beim Bundesgericht in Boston, trägt den Titel „Commonwealth of Massachusetts et al. v. U.S. Department of Agriculture et al.“ und vereint eine ungewöhnlich breite Allianz. Angeführt von Andrea Joy Campbell (Massachusetts), Rob Bonta (Kalifornien) und Letitia James (New York) schlossen sich mehr als zwei Dutzend Bundesstaaten sowie der District of Columbia zusammen, um gegen die Bundesregierung wegen der abrupten Einstellung der SNAP-Leistungen zu klagen. Auf 51 Seiten listen die Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte der beteiligten Staaten ihre Namen, Adressen und Vertretungen – ein juristisches Signal von beachtlicher Geschlossenheit.
Der Widerspruch liegt offen zutage: Unsere Recherchen ergaben, dass es interne Papiere gibt, Präzedenzfälle, es gibt einen Bericht des Rechnungshofes vom 25. Juni 2020 der aufzeigt, dass genau diese Notfalltöpfe in vergleichbaren Lagen verwendet werden können. Trotzdem erklärte die Behörde nun, die Mittel seien nicht rechtlich verfügbar.

Der Bericht dokumentiert, dass das Landwirtschaftsministerium 2019 SNAP-Mittel ohne rechtliche Grundlage vorzeitig ausgezahlt hat, der Rechnungshof dies als Gesetzesverstoß wertete – und das Ministerium die Verantwortung nicht anerkannte. Damit ist der GAO-Bericht von 2020 ein zentraler Präzedenzfall.
Gleichzeitig wurde ein früherer Umsetzungsplan von der Website entfernt, in dem der Wille des Kongresses, SNAP während eines Shutdowns aufrechtzuerhalten, ausdrücklich erwähnt wurde. Wenn Bundesstaaten in dieser Lage klagen, dann nicht aus Prinzip, sondern weil sie wissen, dass sonst Essensausgabe und Nothilfe ihre Kapazitäten sprengen.
Wir stehen am Rande einer vom Weißen Haus verursachten Hungerkrise. 42 Millionen Amerikaner werden in drei Tagen kein Essen mehr auf den Tisch bringen können, wenn die Republikaner die Mittel für SNAP nicht freigeben. (Die Zahlen schwanken zwischen 42 Millionen bis 47,5 Millionen mit Stand: 30. Oktober 2025)
Der Druck von unten wächst. In Nevada hat die Regierung am 29. Oktober dreißig Millionen Dollar für Foodbanks freigegeben, ein Pflaster, das die erwartete Lücke kaum zu einem Drittel schließt. In Texas spendet der Lebensmittelhändler H-E-B fünf Millionen für das Netzwerk Feeding Texas und eine weitere Million für Meals on Wheels, in der Hoffnung, den härtesten Einschlag abzufangen. Die Zahlen dort sprechen für sich: 5,3 Millionen Texanerinnen und Texaner leben in Ernährungsunsicherheit, der Anteil ist innerhalb eines Jahres von 16,4 auf 17,6 Prozent gestiegen, bei älteren Menschen ist die Lage noch düsterer. Ökonomen warnen vor der Kettenreaktion: Etwa zwölf Prozent aller Lebensmitteleinkäufe basieren direkt auf SNAP-Zahlungen. Wenn diese Einnahme in einem Bundesstaat wie Texas schlagartig ausfällt, sinken Umsätze, werden Regale anders befüllt, Arbeitszeiten gekürzt und am Ende Jobs gestrichen. Wer an der Kasse steht, spürt die Politik binnen Tagen.
In Texas nimmt die Hungerkrise derweil eine Dimension an, die selbst langjährige Helfer sprachlos macht. Der Bundesstaat, stolz auf Selbsthilfe und Eigenverantwortung, steht ausgerechnet jetzt am Rand eines Kollapses seiner Versorgungsnetze. Mehr als 5,3 Millionen Menschen gelten laut Feeding Texas als ernährungsunsicher, die Quote liegt mit 17,6 Prozent höher als in jedem anderen Bundesstaat. Das bedeutet: Fast jede fünfte Familie weiß nicht, ob sie nächste Woche genug zu essen hat. Besonders betroffen sind Kinder und ältere Menschen, viele von ihnen in ländlichen Countys, wo Supermärkte längst aufgegeben haben und die nächsten Versorgungsstellen Stunden entfernt liegen.

Der texanische Einzelhandelsriese H-E-B reagierte am 24. Oktober mit einer Spende von sechs Millionen Dollar – fünf Millionen für das Netzwerk Feeding Texas, eine weitere Million für Meals on Wheels. Es ist eine großzügige Geste, aber sie kann den strukturellen Einbruch nicht aufhalten. Denn sobald SNAP-Zahlungen ausbleiben, verlieren rund 3,5 Millionen Texanerinnen und Texaner ihre wichtigste Einkommensstütze beim Lebensmitteleinkauf. Fachleute warnen, dass damit nicht nur Familien, sondern auch die Wirtschaft selbst getroffen wird: Etwa zwölf Prozent aller Lebensmitteleinkäufe hängen direkt vom SNAP-System ab. Wenn dieser Anteil wegbricht, sinken Umsätze, Regale bleiben leer, Beschäftigte verlieren Stunden und Märkte ganze Schichten.

„Sobald diese Gelder fehlen, trifft es zuerst die Kassen, dann die Regale, und am Ende die Jobs“, sagte Gary Huddleston, rechts von der Texas Retailers Association
Die Krise in Texas zeigt, was nationale Ignoranz in lokaler Realität bedeutet. Zwischen Ölförderanlagen und Megastores, zwischen Kirchenküchen und Highways, kämpft ein Staat mit dem Hunger seiner Bevölkerung – und tut es mit der Mischung aus Stolz und Verzweiflung, die das Land so oft begleitet. Was hier geschieht, ist kein Randphänomen, sondern ein Vorzeichen: Wenn selbst Texas, das Herz republikanischer Wirtschaftslogik, an der sozialen Basis zu bröckeln beginnt, ist die Krise längst größer als eine Etatfrage.
Die Bundespolitik aber steht still, oder sie bewegt sich rückwärts. Am 29. Oktober versuchten Demokraten im Senat, die Leistungen für SNAP und für WIC, das Programm für Frauen, Säuglinge und Kinder, per einstimmigem Verfahren durch die Kammer zu bringen. Ein minimaler Schutz vor dem Hunger, begrenzt auf die Dauer des Shutdowns. Republikanische Senatoren blockierten den Schritt und verwiesen darauf, man solle lieber das gesamte, vom Repräsentantenhaus beschlossene Übergangsgesetz annehmen. Ben Ray Luján, der den Vorstoß eingebracht hatte, warnte im Plenum mit einer Dringlichkeit, die jedem klar sein müsste, der die Gesichter an den Essensausgaben kennt. John Thune konterte scharf, die Gegenseite habe dreizehnmal gegen Finanzierungsversuche gestimmt, nun müsse sie die Verantwortung tragen. Es ist ein Streit, der sich an Verfahrensfragen entzündet und in der Realität an Kühlschränken entscheidet.
Schlangen, die sich um den ganzen Häuserblock ziehen, bei der Essensausgabe in Hyattsville, Maryland. Diese Aktion ist Teil der Bemühungen von foodbankmetrodc, Familien – darunter auch Bundesbedienstete und Auftragnehmer – während des Shutdowns zu unterstützen. (28. Oktober 2025)
Es gibt Stimmen, die derweil bewusst versteinern. Rechte Kommentatoren fordern offen, EBT müsse abgeschafft werden, die meisten könnten sich doch selbst versorgen, der Rest solle zu Kirchen und Suppenküchen gehen. Eine Sprache der Verachtung, die die schlichte Wahrheit ausblendet, dass der Großteil der Leistungsberechtigten arbeitet, dass es um Löhne geht, die nicht mehr für Miete, Medikamente und Essen reichen, dass Entlassungswellen ganze Landstriche umpflügen. Auf der anderen Seite stehen Politikerinnen und Politiker, die den moralischen Grundsatz aussprechen, der viel früher hätte über jede Debatte gestellt werden müssen: Essen ist lebensstiftend und zu teilen. Kentuckys Gouverneur Andy Beshear erinnerte daran mit einer Referenz, die jenseits der Kirchenbänke gültig bleibt: von den Broten und Fischen bis zum letzten Abendmahl. Wer den Zugang zu Nahrung kappt, verletzt einen basalen Auftrag des Staates.

„Das ist ein Präsident, der mitten in einem Shutdown über ein 20-Milliarden-Dollar-Hilfspaket für Argentinien spricht, aber kein Geld bereitstellt, um unser eigenes Volk zu ernähren.“
– Gouverneur Andy Beshear auf MSNBC
Der Präsident selbst hat diese Stunde genutzt, um sich fern der Heimat zu inszenieren. „Donald Trump tanzt buchstäblich in Asien, während über 40 Millionen Menschen den Zugang zu Essen verlieren. Widerlich“, schrieb Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom. Er übertreibt nicht. Die Bilder aus Busan, Yokosuka oder auf dem Rollfeld mögen die Großspurigkeit eines Mannes bedienen, der Stärke als Kulisse versteht. Zuhause aber stehen Amtsstuben leer, Flüge werden gestoppt, weil die Flugsicherung unterbesetzt ist, und im Kapitol kommt nicht einmal die Gehaltszahlung für Mitarbeitende durch: Das Repräsentantenhaus kündigte an, die Löhne würden erst wieder fließen, wenn die Regierung öffnet. Der Haushaltsausschuss ließ sich vom CBO vorrechnen, was der Stillstand kostet: sieben bis vierzehn Milliarden Dollar an dauerhaften Verlusten, je nach Dauer. Unerbittlich nüchtern formuliert: Arbeitszeit, die nicht gearbeitet wurde, kommt nicht zurück.
Etwa jeder achte Amerikaner könnte in dieser Woche seine Lebensmittelhilfe verlieren
Während die Exekutive die Verantwortung von sich schiebt, übernehmen Kommunen, zivilgesellschaftliche Gruppen und Unternehmen eine Last, die nicht bei ihnen liegen sollte. In South Carolina rettet Cuisine Rescue, Inc. in Mount Pleasant täglich überschüssige, einwandfreie Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden. Supermärkte, Restaurants, Großhändler, Hersteller – aus all diesen Quellen entsteht ein Strom aus Obst, Gemüse, Brot, Kühlware, der durch freiwillige Hände sortiert, geprüft und verteilt wird. Es ist Arbeit, die doppelt wirkt: weniger Hunger, weniger Abfall. Wer jemals in ein Lager dieser Art hineingesehen hat, kennt die Absurdität unserer Wegwerfgesellschaft – und die Würde derer, die in Kälte und Hitze Kisten schleppen, weil sie wissen, dass an diesem Abend ein Kind ein warmes Essen braucht. Doch auch diese Helferinnen und Helfer sind an Grenzen, denn Kühlung, Transport, Miete und Diesel kosten Geld. Die Nachfrage explodiert, während die staatlichen Systeme, die diese Aufgaben planbar machen sollten, politisch blockiert werden.

Die Krise hat noch eine zweite, stillere Front: die Daten. Im Oktober wurde bekannt, dass die Regierung die seit Jahrzehnten etablierte jährliche Erhebung zur Lebensmittelunsicherheit einstellen will. Der Bericht für 2024 soll der letzte sein, der für 2025 am 22. Oktober veröffentlicht wurde, ein Schlussstein statt ein Anfang. Seit den 1990er Jahren misst der Economic Research Service des US-Landwirtschaftsministeriums in einer jährlichen Erhebung, wie viele Menschen in den Vereinigten Staaten von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Diese Datenerhebung, unabhängig von Hilfsprogrammen wie SNAP, gilt als zentrale Grundlage für politische Entscheidungen und Armutsanalysen. Ihre mögliche Einstellung würde bedeuten, dass die USA künftig keine verlässlichen offiziellen Zahlen mehr über Hunger im eigenen Land hätten. Damit entzöge die Exekutive dem Land eine seiner wichtigsten Messgrößen, um Hunger zu erkennen, zu vergleichen, zu steuern. In einem Moment, in dem Programme wackeln, der Winter vor der Tür steht und Energiepreise drücken, wäre das eine Selbstblendung. Experten nennen es beim Namen: Wer die Statistik abschafft, will nicht mehr sehen, was ist. Und wer nicht mehr sieht, was ist, kann sich leichter einreden, dass es nicht existiert.

Das alles spielt sich nicht in abstrakten Räumen ab, sondern in Küchen wie der von Vickie Southern in Nashville, die am 29. Oktober ihren Kindern und den Cheerleadern ihres Mittelschulteams Sandwiches machte – und auf dem Handy die Nachricht sah, dass die Leistungen ausgesetzt werden. Es spielt sich in Gemeindesälen ab, in denen Pastoren das Abendbrot kurzerhand zu einer Essensausgabe für Familien machen, weil die Essensmarke nicht geladen ist. Es spielt sich in ländlichen Countys ab, in denen der Weg zum nächsten Supermarkt ohnehin eine Tankfüllung kostet, und in Städten, in denen Dollar-Stores zwar Nudeln, aber kein frisches Gemüse führen. Joel Berg von Hunger Free America formulierte die Dimension ohne Pathos: Es droht die größte Hungerkatastrophe in den USA seit der Großen Depression. Das ist kein Bild, sondern eine nüchterne Beschreibung, wenn man den Multiplikator bedenkt: 44 Millionen Menschen, die in Supermärkten fehlen, sind nicht nur 44 Millionen leere Körbe. Es sind Milliarden fehlender Kalorien im Monatslauf.

In einem der reichsten Länder der Erde stehen über 40 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner kurz davor, ihre Lebensmittelhilfe zu verlieren. Viele Menschen leisten heute, am 30. Oktober 2025, einen Beitrag, indem sie Lebensmittel an FeedMoreInc spenden. Mehr als 14 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner gelten inzwischen als akut unterernährt. In manchen Bundesstaaten mussten Tafeln schließen, weil staatliche Mittel gestrichen wurden.
Die Menschen, die SNAP nutzen, werden in diesen Tagen zu Chiffren gemacht: die Faulen, die Schmarotzer, die, die „sich nicht anstrengen“. Wer so redet, hat die Arbeitszeiten an den Kassen nicht gezählt, die Nachtschichten in den Lagern, die Überstunden in der Pflege. SNAP ist Lohnersatz, wo der Markt versagt. Es ist soziale Infrastruktur, die verlässlich sein muss, damit sich Haushalte organisieren können. Wer Leistungen in der Woche vor den Feiertagen kappt, wird erleben, wie sich Warteschlangen verdoppeln, Privatschulden wachsen, Apothekenkäufe ausfallen und der Druck in Familien steigt. Wer mit moralischer Überlegenheit auf Kirchen und Tafeln verweist, verkennt deren Logik: Sie sind Ergänzung, nicht Ersatz. Das sagte North Carolinas Justizminister Jeff Jackson in einer Klarheit, die im Getöse oft untergeht: Lebensmittelkammern, Kirchen, gemeinnützige Organisationen leisten Großes, aber sie können nicht auf einen Schlag den Bedarf von Hunderttausenden Kindern decken.

Auf jede Mahlzeit, die eine Tafel ausgibt, kommen ungefähr neun Mahlzeiten, die durch SNAP bereitgestellt werden – aber viele Tafeln rechnen mit stark steigender Nachfrage, falls Millionen Menschen ab November 2025 keine Leistungen erhalten.
Die juristische Auseinandersetzung in Boston ist deshalb mehr als ein Streit um Zuständigkeiten. Sie ist ein Versuch, den letzten Damm zu halten, bevor die Politik Hunger wieder privatisiert und ins Reich der Wohltätigkeit verschiebt. Die Klageschrift der Bundesstaaten skizziert nüchtern, was auf dem Spiel steht: Ausfall von Leistungen führt zu Ernährungsunsicherheit, Hunger, Mangelernährung; Kinder lernen schlechter, sind unkonzentriert, müde, depressiv, auffällig. Die Folgekosten zahlen am Ende dieselben Systeme, die heute geschwächt werden: Schulen, Krankenhäuser, Sozialdienste. Der Widerspruch könnte größer kaum sein: Das Landwirtschaftsministerium behauptet, es könne die Reserven nicht nutzen; derselbe Staat hat Monate zuvor ein Omnibusgesetz verabschiedet, das Sozialprogramme zusammenstreicht, um Steuersenkungen zu finanzieren, die vor allem den Wohlhabenden und Konzernen zugutekommen. Der Rechnungshof hielt 2019 fest, dass Reserven nutzbar sind. Nun erklärt die Exekutive das Gegenteil. Das ist nicht nur eine Frage der Buchhaltung, sondern der Glaubwürdigkeit.
Für viele ist es kaum begreifbar, wie ein Land mit dieser wirtschaftlichen Kraft an den Punkt kommt, an dem Bundesstaaten die Bundesregierung verklagen müssen, damit Kinder nicht hungern. Die Antwort liegt nicht in einer Naturkatastrophe, sondern in politischem Willen. Wer SNAP als Druckmittel nutzt, setzt bewusst Angst frei. Wer das jährliche Messinstrument abschafft, kappt den Alarm. Wer den moralischen Imperativ der Ernährungshilfe in Kulturkämpfe zieht, macht Menschen zu Kulissen. Und doch gibt es Widerstand: Gouverneure, die klagen; Gesetzgeber, die versuchen, wenigstens das Nötigste zu sichern; Unternehmen, die spenden; Initiativen, die retten, was andere wegwerfen. Es ist ein Flickenteppich, und genau das ist das Problem. Ein Grundpfeiler des amerikanischen Sozialstaats darf nicht vom guten Willen Einzelner abhängen.

Der Shutdown hat das Land entgültig zerteilt in symbolische Bilder der Macht und konkrete Leere in Kühlschränken. Die Flugzeuge in Newark blieben am Boden, weil die Schichten in der Flugsicherung nicht besetzt werden konnten. Mitarbeitende im Kongress lesen Mails, dass sie kein Gehalt bekommen. Familien lesen Mails, dass die Essenskarte nicht geladen wird. In Kalifornien formuliert der Gouverneur Sätze, die aus der Wut geboren sind und doch nur eines wollen: einen Schalter umlegen, damit Behörden tun, wofür sie da sind. In den Südstaaten schlagen Freiwillige Kühlaggregate an, damit Brokkoli nicht verdirbt. In Texas stellt ein Supermarktriese Tische auf und kocht 340.000 Mahlzeiten für die Feiertage. Es ist, als ob ein Land gleichzeitig versucht, den Brand zu löschen und das Löschwasser abzudrehen.
Die Entscheidung, ob der Staat seine Pflicht erfüllt, liegt jetzt bei einer Richterin in Boston – und in den Händen von Politikerinnen und Politikern, die den Mut haben müssen, den Streit über alles andere zu stellen. SNAP ist kein Privileg. Es ist ein Mindestmaß an Schutz in einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt. Dass man diesen Schutz aussetzt, weil man sich in anderen Fragen nicht einigen kann, ist nicht nur schlechte Regierungsführung, es ist eine Grenzüberschreitung. Man wird sich in ein paar Jahren erinnern, wie diese Woche roch: nach leeren Regalen, nach Plastikschalen an Essensausgaben, nach Diesel in Lieferwagen von Initiativen, die Kühlschrankreste retten. Und man wird fragen, warum der Staat wegsah, obwohl er das Geld hatte, nicht um alles, aber um das Schlimmste zu verhindern.

Während in den USA Millionen Menschen nicht wissen, wie sie ihre nächste Mahlzeit bezahlen sollen, kämpft Donald Trump mit einem ganz eigenen Drama: der Fertigstellung seines Ballsaals. Marmorböden statt Mahlzeiten, Kristalllüster statt Lebensmittelmarken – Amerikas Hungerkrise trifft auf Trumps Baustellenkrise. Und irgendwo zwischen goldenen Vorhängen und kalten Buffets scheint die Moral einer Regierung verloren gegangen zu sein, die noch nie eine hatte.
Vielleicht ist das die einzige ehrliche Bilanz dieses Oktober: Die Krise war vermeidbar. Es gab Reserven. Es gab Präzedenz. Es gab Gesetzestexte, die nicht im Entferntesten zweideutig sind. Es gab Unternehmen, die halfen, weil sie es konnten, und Menschen, die schufteten, weil sie es mussten. Und es gab eine Regierung, die entschied, nicht zu handeln. Wenn Richterin Talwani in Boston die Notbremse zieht, gewinnen Millionen Menschen Zeit. Wenn nicht, werden Staaten aus eigenen Kassen zahlen, Foodbanks ihre Öffnungszeiten ausweiten, Kirchen ihre Keller öffnen, Nachbarn für Nachbarn kochen. Aber das wäre dann nicht Solidarität in einem funktionierenden System, sondern Widerstand gegen dessen Versagen. Nahrung ist kein Spielstein. Wer die Macht hat, sie auszuteilen, hat die Pflicht, niemanden verhungern zu lassen. Es ist so einfach – und in diesen Tagen so schwer.
Investigativer Journalismus braucht Mut, Haltung und auch Deine Unterstützung.
Stärken bitte auch Sie unseren journalistischen Kampf gegen Rechtspopulismus und Menschenrechtsverstöße. Wir möchten uns nicht über eine Bezahlschranke finanzieren, damit jeder unsere Recherchen lesen kann – unabhängig von Einkommen oder Herkunft. Vielen Dank!

Das alles ist Trump sowas von egal, im Gegenteil. Wenn Lebensmittelriesen spenden, sagt er sich mit Genugtuung „ihr kriegt genug (Steuererleichterungen) von mir“. Hat er nicht auch gefordert, die sollen halt mit den Preisen runtergehen, als Kritik an seinen Zöllen laut wurde? Um die Armen sollen sich die kümmern, die eh zu weich sind für diese Welt.
Am Ende kommt für ihn raus: die leben alle noch, das Geld können wir uns in Zukunft sparen. Ein zynischer Menschenfeind, den ich mir bildlich vorstelle, wie er hysterisch lachend Menschen durch einen Fleischwolf dreht.
…es ist schon erschütternd, dass zu sehen und zu dokumentieren
Und diese armen bürger hsben natürlich kein geld um sich identifikations karten wie einen pass oder führerschein ausstellen zu lassen. Also somit keine mlglichkeit zu wählen! Denn wer gibt geld aus für einen pass wenn man mit dem geld dringend nötige lebensmittel kaufen muss.?
…das ist ein Hamsterrad, und genau das ist eines der großen probleme
Gestern im ZDF Auslandsjournal kamen Rinderzüchter aus Virginia zu Wort, die äußerten, dass sie froh seien, dass sie mit Trump jemanden im WH hätten, der sich endlich um ihre Interessen kümmere. Ja, noch liefe nicht alles reibungslos, aber man müsse Geduld haben, Trump sei auf dem richtigen Weg, mit den Abschiebungen sowieso…
Eine leise Gegenstimme, ausgerechnet ein Latino mit US-Pass, durfte auch mal etwas sagen: er müsse inzwischen 4x härter arbeiten um die Hälfte dessen zu verdienen, was er vor der Ära Trump verdient habe…
Ich fand die Berichterstattung im ÖRR wieder einmal etwas dürftig und wundere mich immer weniger, dass die meisten Menschen in meinem Umfeld völlig ahnungslos von den Vorgängen in den USA sind.
Ich frage mich, was Trump und seine Administration mit diesem Aushungern einfacher Menschen bezweckt. Hält er 42 Mio Menschen für verzichtbar?
Vielen Dank für eure großartige und wichtige Aufklärungsarbeit, ohne die ich und viele andere ebenfalls ahnungslos geblieben wären!
ich danke dir, ja leider ist der ÖRR nicht sehr investigativ und lassen sich noch fast schon ausgesuchte Rancher vorführen, und dann in Virginia: hat zwar eine nennenswerte Viehwirtschaft, aber eher im kleinen bis mittleren Umfang – vor allem Weidehaltung im Westen, Blue Ridge oder Shenandoah Valley, oft kombiniert mit Milchvieh oder Mischbetrieben. Rinder (beef cattle) sind dort nicht die dominierende Wirtschaftsbranche, sondern Teil einer diversifizierten Landwirtschaft (Mais, Soja, Geflügel, Tabak, Forstwirtschaft). Das sagt schon alles über die Qualität, denn wenn ich Rinderzüchter befragen will, gehe ich ganz bestimmt nicht nach Virginia. Ebenfalls ist Virginia ein Staat, wo die Demokraten regieren…also echt witzig, das die dort Trumpanhänger befragen. Die sollten mal nach Nebraska, Arkansas, Kansas … gehen
Wow, mit diesem Hintergrundwissen ist die Reportage gestern ja noch viel schlechter als vermutet. Mir kam das Ganze so vor, dass die Reporter hochselektiv in der Auswahl ihrer Interviewpartner waren, so dass dem Deutschen vor dem Fernseher vorgespielt wird, dass alles okay sei in den USA. Es wird nichts mehr wirklich kritisch hinterfragt oder eingeordnet und bin der Meinung, dass dies mal deutlich anders war.
Ich denke nicht, dass Ihr Zeit habt Euch so etwas anzuschauen, aber ich wollte es zumindest belegen:
https://www.zdf.de/play/magazine/auslandsjournal-138/auslandsjournal-vom-29-oktober-2025-100
Liebe Grüße aus Hessen 👋
Ich danke dir, ja, wir werden auf jeden Fall reinschauen. leider ist das Problem der Berichterstattung bekannt und macht uns das Leben nicht leichter. Liebe Grüsse
Das ist einfach grotesk, gerade vor dem Hintergrund, wie wichtig hier in Deutschland Informationen über diese 1-zu-1-Blaupause der AfD ist. Ich bin erst seit Trump aufmerksam geworden, wie „neutral“ sich der ÖRR bei der Berichterstattung verhält. Der ÖRR wurde gegründet, um freie Informationen, fern von Weisungen aus der Politik, zu gewährleisten. Und nur aus diesem Grund zahlt das Volk „seinen“ Rundfunk selbst.
Jetzt ist er praktisch von der CDU gesteuert und durchsetzt. Wir müssten eine Campagne starten, weil Politiker definitiv nichts in den Aufsichtsräten und Chefetagen des ÖRR verloren haben!
… ja, das ist leider ein Problem, darum kämpfen wir Investigativen so sehr dagegen an, dazu haben wir natürlich nicht die finanziellen Mittel wie der ÖRR ….
Menschen als Faustpfand zu nutzen ist für mich der absolute Tuefpunkt des moralischen Verfalls.
In den USA, einem der reichsten Länder der Welt, war leider das Risiko unter der Armutsgrenze zu leben immer schon groß.
Staatliche Hilfen sind gering.
Aber jetzt noch den Ärmsten die Lebensgrundlage zu entrepreneur und den Demokraten dafür die Schuld zu geben ist 🤮🤮
Es war Geld für die 2 Jets von Noem da.
Es ist Geld für Trumps Wochenendflûge nach Florida da
Es ist Geld für ICE und die ganze Militärstaatmaschinerie da.
Und auf der anderen Seite hingern fast 45 Millionen Amerikaner.
Let the Hunger Games begin 😞
In Texas wird gebetet…. und die glauben, dass nur die Demokraten daran schuld sind.
Wenn jetzt ein kleiner Teil durch private Spenden, Hilfsorganolisationen abgefangen wird.
Ich bin mir sicher Trump und seine Regierung werden sagen „seht ihr, es geht auch so. Wir brauchen kein SNAP Programm“
…es ist aktuell der wahnsinn was läuft und trotzdem muss man den weg ruhig weitergehen, recherchieren, gerichte und froschkostüme. das ist viel verlangt, aber ein bürgerkrieg bringt niemanden etwas