Wenn der Staat hungern lässt – und ein republikanischer Politiker im Pickleball-Kostüm das bessere Amerika zeigt

VonRainer Hofmann

November 1, 2025

Verzweiflung, die sich in Einkaufslisten niederschlägt – so beginnt dieser November für Millionen Amerikaner. In Miami sitzt Christine Tully an ihrem Küchentisch und notiert wie immer, was sie braucht: Hähnchen, Apfelsaft, Karotten. Und wenn sie irgendwo im Angebot sind, schreibt sie, „ein Dreierpack Steaks“. Sie ist 78, ehemalige Köchin in einem Diner, Urgroßmutter, und sie weiß nicht, ob sie in den kommenden Tagen überhaupt Geld auf ihrer Karte haben wird. 285 Dollar im Monat – so viel Unterstützung bekommt sie aus dem Programm, das in den Vereinigten Staaten die letzte Bastion gegen den Hunger ist. Und nun hängt es am seidenen Faden. „Ich bin einfach nur verwirrt“, sagt sie. „Wie konnte es so weit kommen?“

Die Antwort ist ebenso schlicht wie zynisch: ein politischer Stillstand, der längst zu einer sozialen Katastrophe geworden ist. Der Regierungs-Shutdown hat das Land seit einem Monat im Griff, und die Trump-Administration weigert sich, die Notfallfonds zu nutzen, die eigentlich genau für solche Krisen vorgesehen sind. Am Freitag griff die Justiz ein. Drei Bundesrichter – in Massachusetts, Rhode Island und im District of Columbia – verpflichteten die Regierung, die Auszahlung der Lebensmittelhilfe fortzusetzen. Das Gericht in Providence stellte klar, die Regierung „müsse die Gelder rechtzeitig oder so bald wie möglich für die Novemberzahlungen freigeben“. Doch selbst diese Urteile bringen keine sofortige Entlastung.

Trump, wie man ihn kennt – Selbstverliebt

Donald Trump reagierte spät am Abend mit einem Statement, das eher nach Rechtfertigung klang als nach Führungsverantwortung. Man werde die Mittel bereitstellen, „sobald ein Gericht klärt, wie wir das rechtlich umsetzen können“, schrieb er – und fügte an, die Zahlungen würden sich ohnehin verzögern, „weil die Demokraten die Regierung bis zum monatlichen Auszahlungstermin geschlossen halten“. So klingt es, wenn Hunger zur Waffe im politischen Machtspiel wird.

In den USA versuchen engagierte Bürgerinnen und Bürger, Hilfsorganisationen und selbst einige Politiker, den Betroffenen beizustehen.

Währenddessen laufen im ganzen Land die Telefone heiß. In Durham County, North Carolina, versuchen verzweifelte Menschen, jemanden im Sozialamt zu erreichen. „Wie soll ich meine Familie ernähren? Was mache ich jetzt? Soll ich lieber die Miete zahlen oder Essen kaufen?“, fragt eine Mutter. Maggie Clapp, die Leiterin der Behörde, kann nur zuhören. „Sie bombardieren uns mit Fragen, weil sie in einer Krise stecken“, sagt sie. „Und ich habe keine einzige sichere Antwort.“ Der Shutdown legt die Verwundbarkeit eines Systems offen, das jahrzehntelang als selbstverständlich galt. Seit der Food Stamp Act von 1964 das Programm dauerhaft verankerte, wurden die Leistungen nie unterbrochen. Doch diesmal droht genau das. Die Trump-Regierung argumentierte, man könne die Reserven nicht ohne ausdrückliche Genehmigung nutzen – dieselben Reserven, die eigens für Notfälle angelegt wurden. Vizepräsident J.D. Vance sprach von einem Präsidenten, der „alles versucht“ habe, den Shutdown schmerzfrei zu gestalten. Kritiker nannten es eine Farce.

Richterin Indira Talwani

Richterin Indira Talwani in Boston hielt die Argumentation der Regierung für unglaubwürdig. Sie verlangte bis Montag einen konkreten Plan, wie die Hilfen im November finanziert werden sollen. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie den Rechtsstaat nicht als Kulisse für politische Spiele versteht. Ihr Urteil war klar: Die Regierung sei verpflichtet, vorhandene Mittel zu nutzen, um die Versorgung der Bedürftigsten zu sichern.

Lebensmittel für bedürftige Menschen

Doch das Problem reicht weit über SNAP hinaus. Der Shutdown trifft ein Land, das seine soziale Infrastruktur schon zuvor auf Kante genäht hat. Rund 6,7 Millionen Frauen und Kleinkinder im WIC-Programm könnten in den kommenden Tagen den Zugang zu Babynahrung, Gesundheitschecks und Stillberatung verlieren. Nahezu sechs Millionen Haushalte, die Heizkostenzuschüsse erhalten, müssen sich auf Kälte oder Stromsperren einstellen. Und für mehr als 65 000 Kinder in Head-Start-Programmen, die von kurzfristiger Bundesfinanzierung abhängen, heißt das: kein Unterricht, keine Betreuung, keine Sicherheit. All das fällt zusammen mit den Kürzungen, die Trump im Sommer durchgesetzt hat. Das neue Haushalts- und Steuergesetz, von den Republikanern als „Modernisierung“ verkauft, ist in Wahrheit eine Demontage. Eine Billion Dollar weniger für Medicaid, 186 Milliarden weniger für SNAP – dazu neue Arbeitsauflagen, strengere Zugangskriterien, bürokratische Hürden. Millionen Menschen sollen in den nächsten Jahren aus den Programmen herausfallen.

„Es fühlt sich an, als stünden wir am Ufer und sähen eine Flutwelle auf uns zukommen“, sagt Robyn Hyden, Direktorin der Organisation Alabama Arise. „Aber wir wissen nicht, wann und wo sie trifft – weil niemand sagen kann, ob irgendjemand dieses Chaos noch in Ordnung bringt.“

Inzwischen versuchen Städte, Kirchen, Nachbarschaftsinitiativen und Tafeln, das Unmögliche zu leisten. Doch die Vorräte schrumpfen, die Preise steigen, die Not wächst. Für Millionen von Menschen, die von Woche zu Woche leben, geht es längst nicht mehr um Politik, sondern um das, was auf dem Teller liegt.

Nach fast elf Jahren an der Baldwin Wallace University verabschiedete sich der Republikaner Scott Schulz an seinem letzten Arbeitstag – umgeben von Kolleginnen und Kollegen, die diesen Ort für ihn besonders gemacht hatten. Dass dieser Abschiedstag ihn ausgerechnet an Halloween im Kostüm eines Pickleball-Spielers finden würde, hätte er selbst kaum erwartet – und doch, sagte er, „hätte es nicht perfekter sein können“ und meinte damit auch seine aktive Teilnahme am Verteilen von Lebensmitteln für bedürftige Menschen.

Und doch gibt es inmitten der Verzweiflung Zeichen von Mitmenschlichkeit, die leuchten – auch aus einer Richtung, aus der man sie nicht erwartet hätte. In Ohio, wo über eine Million Menschen unter Ernährungsunsicherheit leiden, hat sich ausgerechnet der republikanische Politiker Scott Schulz, Kandidat im 7. Kongressdistrikt (OH-07), an die Spitze einer spontanen Hilfsaktion gestellt. Nach fast elf Jahren an der Baldwin Wallace University beendete Schulz seinen letzten Arbeitstag – verkleidet als Pickleball-Spieler zu Halloween – mit einer Geste, die mehr sagt als jedes politische Statement: Er half, Essen zu verteilen.

„Mitgefühl ist einer der Gründe, warum der 7. Distrikt von Ohio und Amerika großartig sind“, sagte Schulz. Gemeinsam mit Andrey Stojic und Deb Callihan koordinierte er eine Spendenaktion zugunsten der St. Barnabas Food Pantry. Die Verwaltung der Bay Schools OH und das lokale Schulkomitee beteiligten sich mit beeindruckender Großzügigkeit

Scott Schulz bei der Verteilung von Lebensmittel am 31. Oktober 2025

Es sind diese Gesten, leise, unspektakulär und menschlich, die in einem Moment politischer Verhärtung den Unterschied machen. Während in Washington über Paragrafen gestritten wird, stehen in den Städten und Gemeinden Menschen nebeneinander, die einfach helfen – nicht, weil sie müssen, sondern weil sie verstehen, was auf dem Spiel steht.

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Helga
Helga
5 Tage zuvor

Es ist nicht zu verstehen was in USA passiert. Großartig ist wenn Republikaner verstehen dass es nicht so weitergehen kann.
Ich hoffe so sehr dass, Trump bald abtritt,egal auf welche Weise. Nur vor Vance graut mir auch sehr.

Ela Gatto
Ela Gatto
4 Tage zuvor

Hunger als Waffe, als Politikum ist unter aller …. da fällt nir bicht mal ein passendes Wort ein.

In keinem Shutdiwn wurde diese notwendige Hilfe eingestellt.
Nicht einmal im langen Shutdown in Trumps erster Amtszeit.

Menschen müssen entscheiden ob sie ihre Miete zahlen um ein Dach über dem Kopf zu haben oder ob sie etwas zu Essen auf den Tisch bringen.

Und Trumps Regierung kauft tenure Jets für Noem, recovery ein Badezimmer, reißt ein drittel des WH ein.
Dazu wird eine riesige laziness Halloween Party in Ma-a-Largo gefeiert. Mit allem Prunk… Hummer, Caviar.
Und keine 50 km weiter hunger Menschen.
Sie haben wohl „The Hunger Games“ gesehen und befanden es als perfekt.

Aber wenigstens gibt es ein paar Republikaner, die da nicht geradlinig mit machen.
Es wäre schön, wenn es mehr wären.

Meine MAGA Bekannten posten derzeit so etwas wie „wenn Du kein Geld auf SNAP hast, dann mach Chuck Schumer dafür verantwortlich und danach such Dir einen Job“ oder „ich habe bicht gearbeitet um Dich zu unterstützen. Such Dir einen Job und sorge selber für Dich und Deine Familie“ oder „wähle rot, denn nur die Republikaner sorgen für die Veteranen, anstatt für die Illegalen“ .
Das geht endlos weiter.

Und was ich unbrdingt noch sagen muss.
Die Republikaner, die sogenannte Pro-Life Partei, die Abtreibungen bis auf das Äußerste bekämpfen … lassen die Kinder fallen, sobald sie auf der Welt sind.
Da heißt es, kümmer Dich selber.

Diese verlogene Scheinheiligkeit.

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