Es ist kaum eine Woche vergangen, seit sich Regenbogenfahnen durch die Straßen Washingtons zogen, als World Pride die Hauptstadt in ein Fest der Vielfalt verwandelte. Die Straßen waren bunt, die Botschaft klar: Gleichheit, Sichtbarkeit, Freiheit. Doch nun ist es, als hätte jemand den Vorhang zugezogen und das Bühnenbild radikal ausgetauscht. Aus Feiern wird Marschieren. Aus Pride wird Parade. Und aus Bürgerfest wird Machtdemonstration. Denn am kommenden Samstag marschiert die Armee – und mit ihr das Ego eines Präsidenten, der sich selbst gleich mit feiert.
Washington, die ohnehin am stärksten überwachte Hauptstadt der westlichen Welt, rüstet auf. Achtzehn Meilen sogenannter „Anti-Scale-Fencing“ – eine Art stählerner Beleidigung für jede offene Gesellschaft – werden errichtet. Dazu 175 Metalldetektoren, ein Schwarm Überwachungsdrohnen und Sicherheitsvorkehrungen, wie man sie sonst nur von Staatsbegräbnissen kennt. Doch diesmal wird niemand beigesetzt. Diesmal steht ein Mann im Zentrum, der das Gegenteil von Vergänglichkeit inszenieren will: Donald J. Trump, 79 Jahre alt, Präsident der Vereinigten Staaten, feiert seinen Geburtstag mit Panzern, Raketenwerfern und patriotischem Bombast. Und die Stadt tanzt – oder besser: marschiert – nach seiner Pfeife.
Matt McCool vom Secret Service spricht von „Hunderttausenden“, die erwartet werden. Die Polizei warnt vor „massiven Verkehrsbehinderungen“. Und während man sich im Emergency Operations Center der Homeland Security die Koordinationspläne um die Ohren schlägt, bereiten sich andere auf das Gegenteil vor: Protest, Widerspruch, Aufbegehren. Die größte Gegenveranstaltung nennt sich „No Kings Rally“. Kein König – das ist die subtile Erinnerung daran, dass diese Demokratie einmal aus dem Geist der Abgrenzung gegenüber autokratischer Macht geboren wurde.
Trump aber sieht das anders. Für ihn ist der 250. Geburtstag der US-Armee nicht nur ein patriotischer Feiertag – sondern ein Laufsteg. Und was wäre ein Laufsteg ohne Glanzstücke? Darum rollen M1-Abrams-Kampfpanzer und Paladin-Haubitzen durch die Innenstadt. 60 Tonnen Stahl pro Stück. So viel wiegt in etwa der Unterschied zwischen Staatsführung und Selbstverherrlichung. Dass dieses Spektakel ursprünglich als bescheidene Militärfeier geplant war, erwähnte sogar die stellvertretende Bürgermeisterin Lindsey Appiah. Doch dann, so sagte sie trocken, sei das Ganze „ein bisschen größer“ geworden, seit Trump seine Finger im Spiel habe. Washington sei es inzwischen gewohnt, „spontan und flexibel“ auf derartige Eskalationen zu reagieren.
Und doch stellt sich eine grundsätzliche Frage: Was sagt es über eine Demokratie, wenn ihre Armee öffentlich aufmarschiert – nicht zum Schutz, sondern zur Show? Wenn der Präsident nicht nur die Verfassung, sondern gleich auch die Stadt zur Bühne seiner Machtinszenierung macht? Wenn Zäune höher sind als je zuvor, nicht weil die Bedrohung wächst, sondern weil der Wille zur Abschottung zur politischen Doktrin geworden ist?
Noch gebe es keine konkreten Bedrohungen, heißt es aus dem FBI. Aber wer braucht schon äußere Feinde, wenn die größte Gefahr von innen kommt – aus einem Geist, der lieber kommandiert als zuhört, lieber regiert als dient, lieber marschieren lässt als debattiert?
Washington feiert Geburtstag. Nicht nur den der Armee, sondern den eines Mannes, der sich längst für unersetzlich hält. Und die Stadt? Sie schweigt nicht. Sie bereitet sich vor. Auf eine Parade, auf eine Protestwelle – und vielleicht auf ein weiteres Kapitel jener merkwürdigen Geschichte, in der sich Amerika selbst nicht mehr erkennt.