Eine formelle Beschwerde, ein Berg an Beweisen – und eine Justizministerin, der das Wasser bis zum Hals steht.
Es gibt Momente in der Geschichte, in denen sich das Recht unterordnet, sich beugt, sich auflöst. Nicht durch Gewalt allein, sondern durch jene subtile, klebrige Mischung aus Loyalität, Angst und Macht, die Systeme verformt, Institutionen verbiegt, Menschen bricht. Die Person, um die es hier geht, heißt Pamela Jo Bondi. Einst war sie Generalstaatsanwältin von Florida. Nun ist sie Justizministerin der Vereinigten Staaten unter Donald Trump, in dessen zweiter Amtszeit das Recht zunehmend einem Willen gewichen ist: Dem seinen.
Am 1. Mai 2025 reichten die Kongressabgeordneten Dave Min und Mike Levin gemeinsam mit einem Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen eine formelle Beschwerde bei der Florida Bar ein – der Anwaltskammer des Bundesstaates Florida. Diese ist für die Überwachung ethischer und beruflicher Standards von Jurist:innen zuständig. Sie kann Mitglieder verwarnen, suspendieren oder im äußersten Fall ausschließen (Disbarment), wenn sie gegen geltende Standesregeln verstoßen haben. Die Beschwerde gegen Bondi wurde auf Grundlage wochenlanger,monatelanger journalistischer Recherchen, Rechtsanwälten, juristischer Auswertungen und öffentlich zugänglicher Regierungsdokumente formuliert. Es ist der erste koordinierte Vorstoß, Bondi berufsrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Vorwürfe sind zahlreich, präzise und schwerwiegend: Bondi habe in systematischer Weise das Justizministerium in ein politisches Instrument zur Sicherung von Trumps Macht umgebaut. Sie soll gezielt Ermittlungen gegen politische Gegner veranlasst, Verfahren gegen Unterstützer Trumps fallengelassen und richterliche Anordnungen ignoriert haben. Der Fall Kilmar Abrego Garcia – ein unschuldiger Mann, der trotz eines Gerichtsbeschlusses nach El Salvador deportiert wurde – steht exemplarisch für diese Verachtung rechtsstaatlicher Prinzipien.

Was sie Bondi vorwerfen, ist eine Auflistung systematischer Zerstörung. Die Umwandlung des Justizministeriums in eine politische Waffe. Die Einsetzung einer sogenannten „Weaponization Working Group“, die in internen Memos den Ton vorgab: Loyalität zu Trump ist Pflicht, Widerworte sind Ketzerei. Staatsanwälte, die sich weigerten, Trumps Linie zu vertreten, wurden gefeuert. Veteranen, die einst gegen Korruption, gegen die Einflussnahme ausländischer Regime oder gegen das Kapitol am 6. Januar 2021 ermittelten, mussten gehen oder unterschreiben: Rückzug oder Gefolgschaft.
Paul Rosenzweig, einst selbst Bundesanwalt, sagt es so: „Trump verwandelt das Justizministerium in seine persönliche Anwaltskanzlei. Das ist eine Absage an die Herrschaft des Rechts.“ Die Umrisse dieser Verwandlung sind klar. Ermittlungen gegen politische Gegner wurden forciert, unter anderem gegen Chris Krebs und Miles Taylor. Prozesse gegen Führungskräfte in Unternehmen, die Trumps Agenda nicht stützten, wurden fallengelassen. Die Ermittlungen gegen Eric Adams, Bürgermeister von New York, wurden abrupt beendet, nachdem dieser zu Trumps Einwanderungskurs überlief.
Im April schloss das Justizministerium unter Bondis Leitung seine eigene Krypto-Taskforce, nachdem Führungspersonen aus der Branche, die Trump finanziell unterstützt hatten, Druck ausgeübt hatten. Gleichzeitig wurde die Anwendung des „Foreign Corrupt Practices Act“, ein Instrument gegen internationale Bestechung, für sechs Monate pausiert. Was einst die juristische Waffe gegen globale Vetternwirtschaft war, ist heute ein stumpfes Dekor.
Doch es ist nicht nur die Auslassung, die erschüttert, sondern die aktive Drohung. Bondi erklärte in einem Interview mit Fox News, man werde Richter, die sich gegen Trumps Dekrete stellten, „verfolgen und anklagen“. Das sei keine Polemik mehr, sondern Anklagepolitik im Dienste des Präsidenten. Als eine Richterin in Milwaukee verhaftet wurde, weil sie angeblich die Festnahme eines Migranten blockierte, war es Bondi, die weitere Richter öffentlich warnte. Das Vertrauen in die dritte Gewalt, ohnehin fragil, wurde mit einem Satz pulverisiert: „Sie sind nicht über dem Gesetz. Wir werden Sie zur Rechenschaft ziehen.“
Die Zivilrechtsabteilung des DOJ, einst ein Symbol für Gleichheit und Bürgerrechte, leert sich. Anwälte kündigen massenhaft, da der Fokus nun auf der Verfolgung von Elite-Unis und linken Demonstranten liegt. Klagen zu Wahlrecht, Polizeigewalt oder Diskriminierung: gestrichen. Die Prioritäten Trumps sind klar. Und Bondi exekutiert.
Daniel Richman, Professor und ehemaliger Bundesanwalt, nennt das Verhalten „eine systematische Aushöhlung der rechtsstaatlichen Mission des DOJ“. Barbara McQuade, ehemalige Staatsanwältin, sieht in Bondis Memos eine „Instrumentalisierung der Justiz“ und warnt: „Dies zerstört das öffentliche Vertrauen in die Regierung.“ Selbst Ty Cobb, einst im Weißen Haus unter Trump, spricht von einem „Krieg gegen die Rechtsstaatlichkeit“.
Besonders bezeichnend ist Bondis Umgang mit dem Fall Kilmar Abrego Garcia. Ein Gericht hatte seine Abschiebung nach El Salvador gestoppt. Dennoch wurde er deportiert. Die Reaktion Bondis? Schweigen. Die Reaktion der Gerichte? Fassungslosigkeit. Hier wurde nicht nur ein Rechtsakt ignoriert, sondern ein Mensch seiner Freiheit, vielleicht seines Lebens beraubt.
In einer funktionierenden Demokratie wäre dies der Moment für eine Entlassung. In der Realität des Jahres 2025 wird stattdessen eine Beschwerde bei der Anwaltskammer eingereicht. Es ist ein Akt der Hoffnung, der Anstand retten will, wo Gewalt regiert. Doch die Frage bleibt: Reicht das? Oder ist es nur ein letzter Ruf in einem System, das längst auf andere Stimmen hört?
Was mit Bondi geschieht, entscheidet nicht nur über ihre Lizenz. Es ist eine Prüfung, ob das Recht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen – oder ob es schweigend untergeht.