Ein fliegender Moment – und ein Abgeordneter in schwerer Erklärungsnot

Brad Sherman kennt die Mechanik der öffentlichen Aufregung besser als viele seiner Kollegen. Seit fast drei Jahrzehnten sitzt der Demokrat aus Kalifornien im Repräsentantenhaus, ein erfahrener Haushalts- und Außenpolitikexperte, Mitglied im einflussreichen Committee on Financial Services und im Committee on Foreign Affairs. Ein Mann, der sonst nüchterne Berichte, Finanzausschüsse und internationale Abkommen kommentiert – nicht Bilder, die Millionen Menschen auf ihren Smartphones sehen.

Doch genau so ein Bild hat ihn nun eingeholt. Auf einem Flug am 14. November 2025, irgendwo über den Vereinigten Staaten, hielt ein Passagier sein Handy hoch und fotografierte Sherman, der über sein iPad gebeugt saß. Auf dem Bildschirm waren Frauen in Unterwäsche und Bikinis zu sehen, offenbar aus seinem „Für dich“-Feed auf X. Die Szene verbreitete sich in wenigen Stunden rasant – 5,4 Millionen Aufrufe bis zum nächsten Morgen. Der Vorwurf war klar formuliert: ein Kongressabgeordneter, der im Flugzeug Pornografie anschaut. Sherman weist das entschieden zurück. Er sagt, er habe nur durch seinen X-Feed gescrollt. „Wenn ich ein Bild einer Frau sehe – schaue ich es mir dann länger an als einen Sonnenuntergang? Ja“, sagte er später. „Ich muss mehr als tausend Posts durchgescrollt haben.“ Die Bilder seien ihm „durch die Algorithmen“ angezeigt worden. Das sei nicht sein Interesse, sondern das Resultat eines Systems, das ungefragt Inhalte ausspucke. Sein Gesicht spricht eine andere Sprache.

Ob diese Erklärung trägt, bleibt offen. Denn ein uns vorliegendes Video zeigt eher einen Mann, der gezielt auf der Seite scrollt, der nicht zufällig kurz hinsieht, sondern sichtbar länger auf den Bildschirm starrt. Es wirkt nicht wie ein vorbeifliegender Moment. Genau deshalb zweifeln viele an seiner Deutung. Schaut man in sein Gesicht, es spricht Bände.

Die politische Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Donald Trump Jr. kommentierte den Vorgang mit einem knappen „Yikes!!!!“. Nancy Mace, die erst jüngst unangenehm auffiel, als sie an einem Flughafen Polizeibeamte anschrie, nutzte die Gelegenheit für eine Breitseite gegen demokratische Doppelmoral. Aus dem Weißen Haus kam Spott von Kommunikationsdirektor Steven Cheung: „Bruh. What a total gooner.“ Sherman antwortete kühl und gezielt: „Bruh. Release the #EpsteinFiles.“

Damit traf er einen Nerv. Seit Monaten wächst der Druck auf die Regierung, die Epstein-Unterlagen offenzulegen. Republikaner wie Marjorie Taylor Greene fordern die sofortige Veröffentlichung. Demokraten wie Marc Veasey versuchen, das Justizministerium per Gesetz zur Herausgabe zu verpflichten. Und Sherman selbst gehört zu jenen, die schon länger auf Transparenz drängen. Dass er nun diesen Vorfall nutzt, um wieder auf Epstein zu verweisen, zeigt, wie sehr das Thema die amerikanische Politik durchzieht.

Trotzdem bleibt die Frage bestehen, die ihn nun begleitet: War seine Erklärung glaubwürdig? Oder war der Flug nur ein unglücklicher Moment, in dem ein erfahrener Politiker dabei erwischt wurde, etwas anzusehen, was er in der Öffentlichkeit nie zugeben würde? Selbst Sherman räumt ein, dass es unpassend war. „Ist es angemessen? Nein“, sagt er offen. Doch ob das reicht, um die Debatte zu beruhigen, wird sich erst zeigen. Denn in einem politischen Klima, in dem jedes Bild zum Urteil werden kann, bleibt kaum Raum für Zwischentöne.

Was bleibt, ist ein Abgeordneter, der in seinen Ausschüssen über Bankenregulierung, internationale Sicherheit und Auslandsfinanzierung entscheidet – und der nun gegen ein Bild ankämpft, das ihm im schlimmsten Moment etwas anderes zuschreibt. In Zeiten wie diesen entscheidet oft nicht die Wahrheit, sondern der Ausschnitt. Und dieser Ausschnitt verfolgt ihn nun auf Schritt und Tritt.