Es beginnt mit einem Satz, so schlicht wie schneidend: „Die Umstände der Einreise der 3 Somalier und die Rolle linker NGOs wie Pro Asyl müssen aufgeklärt werden.“ Gesagt von Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, und getragen vom Unterton einer Politik, die nicht aufklären, sondern anklagen will. Nicht fragen, sondern festlegen. Was auf den ersten Blick wie eine Forderung nach Transparenz erscheint, entlarvt sich im Licht des Kontextes als Teil eines größeren Angriffs: auf das Asylrecht, auf rechtsstaatliche Prinzipien, auf eine Gesellschaft, die mehr sein will als nur Abwehrreflex.
Weidel ist nicht allein. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), ein Verband, der sich längst vom Bild einer moderaten Arbeitnehmervertretung entfernt hat, reicht Strafanzeige ein. Der Verdacht: Einschleusen von Ausländern, Beihilfe zur unerlaubten Einreise, Urkundenfälschung. Betroffen: Unbekannte, namentlich aber Pro Asyl, jene Organisation, die seit Jahrzehnten dokumentiert, begleitet, juristisch absichert. Die Anzeige stützt sich auf nichts weiter als Mutmaßungen und Unterstellungen – ein Vorgang, der an autoritäre Verhältnisse erinnert, nicht an rechtsstaatliche Kultur. Es ist diese gezielte Verschiebung der Begriffe, mit der Weidel und ihre Verbündeten operieren. Nicht die Fluchtursachen stehen im Zentrum, sondern die Flucht selbst. Nicht die Gründe, die jemanden aus Somalia in Bewegung setzen – Hunger, Terror, Rechtlosigkeit –, sondern das Mobiltelefon, das jemandem in Polen ausgehändigt wurde. Nicht die rechtliche Verpflichtung zur Prüfung eines Asylantrags, sondern die Behauptung, NGOs betrieben ein Schleusernetzwerk. Es ist ein Denken, das Menschlichkeit für Verdacht hält und Recht für Schwäche.
Und dann ist da der zweite Satz, nicht minder bezeichnend: „In den USA erklärt Merz richtigerweise, der grassierende Antisemitismus hänge mit der Migrationspolitik zusammen.“ Auch dieser Satz stammt von Alice Weidel. Auch er zielt nicht auf Erkenntnis, sondern auf Einrahmung. Migration wird zum Code, zur Chiffre für alles Bedrohliche, Fremde, Dunkle. Der Antisemitismus, jahrhundertelang in Europa kultiviert, wird plötzlich „importiert“. Die Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft? Ausgelagert. Die Shoah? Ein Schatten aus der Vergangenheit, der heute zur Projektionsfläche gemacht wird, um neue Feindbilder zu schaffen. Was in beiden Aussagen mitschwingt, ist ein demokratischer Bankrott. Nicht im institutionellen Sinne, sondern in jenem tieferliegenden, kulturellen: die Weigerung, Komplexität zuzulassen. Die Abneigung gegen Differenzierung. Die Lust an der einfachen Schuldzuweisung. Wer Pro Asyl als „Teil eines Schleuserrings“ bezeichnet, wer Geflüchtete allein aufgrund ihrer Flucht kriminalisiert, wer Gerichte kritisiert, weil sie Verfassungsrecht durchsetzen – der steht nicht am Rand des demokratischen Diskurses, sondern will diesen Diskurs selbst abschaffen.
Besonders fatal: Die DPolG, die sich in dieser Gemengelage als verlängerter Arm einer radikalisierten Innenpolitik inszeniert. Sie erhebt nicht einfach eine Anzeige. Sie schürt Misstrauen, sie markiert zivilgesellschaftliche Akteure, sie verleiht rechten Narrativen einen Anstrich institutioneller Seriosität. Und sie tut dies in einem Klima, in dem autoritäre Sehnsüchte gedeihen, in dem die Polizei mehr und mehr zur Projektionsfläche eines populistischen Sicherheitsdiskurses wird. Eine Gewerkschaft, die sich so verhält, hat den Anspruch auf Neutralität längst verloren. Sie verteidigt nicht die Verfassung – sie verengt sie. Dabei könnte man – möchte man – erinnern: an Artikel 1 des Grundgesetzes, an die Genfer Flüchtlingskonvention, an die Urteile der Verwaltungsgerichte, die das Verhalten deutscher Behörden gegenüber Schutzsuchenden immer wieder rügen. Man könnte aufzeigen, dass Somalia zu den unsichersten Ländern der Welt gehört, dass Menschen dort vor Hunger, Milizen, sexueller Gewalt fliehen. Man könnte erklären, dass die Nutzung von Schleusern kein Verbrechen ist, sondern oft der einzige Ausweg in einer Welt ohne legale Fluchtwege. Man könnte – aber man müsste sich darauf einigen, dass Menschenwürde nicht verhandelbar ist.
Was bleibt, ist ein Bild der Erschöpfung: ein Staat, der sich von rechts radikalisieren lässt, eine Öffentlichkeit, die unter Dauerbeschuss steht, eine Gesellschaft, die sich entscheiden muss, was sie zulassen will. Der Angriff auf die drei Somalier, auf Pro Asyl, auf das Asylrecht selbst ist mehr als ein politischer Ausfall. Er ist ein Testfall für das moralische Immunsystem dieses Landes. Und die Frage, die sich stellt, ist einfach und schwer zugleich: Wer sind wir, wenn wir zulassen, dass Flüchtlinge zu Verdächtigen werden, weil sie Schutz suchen? Wenn wir schweigen, während die Sprache der Ausgrenzung wieder zum Ton der Politik wird? Wenn wir hinnehmen, dass ein paar Tweets reichen, um ganze Menschenrechte in Frage zu stellen?
Wer flieht, ist kein Verbrecher. Aber wer daraus ein Verbrechen macht, verrät, was ihn wirklich stört: Nicht das „Wie“ der Einreise. Sondern das „Dass“ überhaupt jemand kommt, den man nicht eingeplant hatte.
Willkommen in einem Land, das sich entscheiden muss. Zwischen Angst und Recht. Zwischen Weidel und Würde.