Und es ward Zahl – Die Offenbarung des Diagramm-Propheten

VonRainer Hofmann

August 8, 2025

Es war ein Moment, wie er nur in der Gegenwart Donald Trumps entstehen kann: ein Podium, eine Menge, ein Präsident, und in seiner Hand nicht etwa die Verfassung, nicht etwa ein Konzept, sondern ein laminiertes Stück Pappe mit einem Chart. Kein Chart wie jeder andere, oh nein – dies war, so erklärte Trump mit der Begeisterung eines Mannes, der gerade den Heiligen Gral der PowerPoint entdeckt hat, „pretty amazing“. „This one chart really says it better than anything,“ begann er, als hätte er gerade die Quintessenz menschlicher Erkenntnis gefunden. „This is great. But this chart is pretty amazing. Right here. All new numbers.“ Er tippte mit dem Finger auf die farbigen Balken, als könne er durch Berührung den Lauf der Geschichte verändern. Zahlen wurden zu Propheten, Linien zu Offenbarungen, und irgendwo zwischen der X- und der Y-Achse muss die Wahrheit gewohnt haben – jedenfalls nach seiner Lesart.

Die Szene hatte etwas von einer Predigt, nur dass die Bergpredigt hier durch eine hastig ausgedruckte Excel-Grafik ersetzt war. Statt Seligpreisungen gab es Achsenbeschriftungen. Statt theologischer Tiefe gab es die unerschütterliche Gewissheit, dass alles, was nicht im Chart stand, auch nicht existierte. Trumps Stimme schwoll an wie die eines Fernsehpredigers kurz vor der Spendenaufforderung. „Look at this. Right here,“ wiederholte er, als ob er eine unsichtbare Gemeinde von Ungläubigen bekehren müsste. Und tatsächlich: Das Publikum nickte, als sähe es nicht bloß eine banale Statistik, sondern den Beweis für die eigene Auserwähltheit. Man konnte fast meinen, im Hintergrund höre man Engelschöre singen – oder war es doch nur der Ventilator im überhitzten Saal?

Es ist die besondere Kunst dieses Mannes, aus dem Nichts eine Offenbarung zu zaubern. Wo andere Zahlen prüfen, prüft er nur, ob sie ihm gefallen. Wo andere fragen, was ein Diagramm verschweigt, erklärt er, es sage „better than anything“. Das Diagramm wird zum Dogma, die Legende zur Liturgie, und Trump selbst zum Hohepriester der Prozentpunkte. Vielleicht liegt in diesem Bild mehr Wahrheit, als seine Kritiker wahrhaben wollen. Denn wenn die Welt heute eines liebt, dann ist es die einfache, visuelle Antwort auf komplexe Fragen. Ein Chart, ein Pfeil, ein Farbverlauf – und schon fühlt man sich erleuchtet. Der Prophet hat gesprochen, die Zahlen haben geoffenbart, und wer widerspricht, steht im Verdacht, gegen den heiligen Datensatz zu lästern. Am Ende legte Trump das Chart zur Seite, als habe er gerade das letzte Kapitel der Offenbarung vorgelesen. Die Menge applaudierte, nicht für die Zahlen, sondern für den Mann, der sie verkündet hatte. Es war, als hätte Moses die Gesetzestafeln auf Folie laminiert und in Comic Sans beschriftet. Und irgendwo, in einem Büro voller Analysten, weinte eine Excel-Tabelle leise.

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BjörnK
BjörnK
2 Monate zuvor

😂😂😂

Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

The best diagram ever, the greatest one 🙈🙈🤣🤣🤣

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