Ukraine am Abgrund – Die Geschichte von Putins Winteroffensive, Trumps Friedensplan, ein Nikolaus und eine Villa in Spanien

VonRainer Hofmann

Dezember 6, 2025

Die Lage an der Front verschärft sich mit einer Geschwindigkeit, die selbst erfahrene Offiziere nervös macht. Während Donald Trumps Sondergesandter Steve Witkoff in Miami mit der ukrainischen Delegation über einen möglichen Waffenstillstand spricht, setzt der Kreml alles daran, Fakten zu schaffen. Wladimir Putin präsentierte in dieser Woche vor seinem Treffen mit US-Vertretern die angebliche Einnahme von Pokrowsk – ein Triumph, der sich in den Karten und Berichten aus dem Frontgebiet so nicht bestätigt, aber seine Botschaft war klar: Russland will den Krieg nicht beenden, sondern diktieren.

Putin ordnete Winterkampfbereitschaft an, deutete an, dass er von seinen Forderungen keinen Millimeter abrückt, und ließ diese Worte in der Nacht durch Gewalt untermauern. Mehr als 650 Drohnen und 51 Raketen flogen am Freitag und Samstag auf ukrainische Städte und Dörfer. Während Diplomaten Erklärungen formulierten, wütete der Krieg weiter.

Während die Frontlinie unter Dauerbeschuss steht, setzt Russland seine kombinierte Strategie aus militärischem Druck und gezielten Schlägen gegen die Energieversorgung fort. In der Nacht trafen Raketen und Drohnen erneut kritische Infrastruktur. In Fastiw wurde der Bahnhof vollständig zerstört. In den Regionen Kyjiw und Lwiw schlugen Marschflugkörper in Energieanlagen ein, in Luzk brannten Lebensmittel- und Lagerhallen lichterloh. Teile von Lwiw und Umgebung mussten zeitweise vom Netz genommen werden, in Riwne kam es ebenfalls zu Ausfällen. Selbst Industrieanlagen rückten ins Visier: In Dnipro steht ein Großlager des Herstellers „Millennium“ in Flammen. Diese Angriffe sind kein Nebenschauplatz, sondern Teil einer klaren Strategie – die Ukraine im Winter stromlos zu machen, Versorgungsketten zu brechen und die Bevölkerung zu zermürben, während Moskau gleichzeitig vorgibt, über Frieden zu sprechen.

Auf dem Schlachtfeld sieht es inzwischen düster aus. Russische Truppen rücken gleichzeitig an mehreren Frontabschnitten vor. In Pokrowsk kämpfen ukrainische Einheiten inzwischen um die letzten unkontrollierten Straßenzüge. Die Nachbarstadt Myrnohrad steht kurz vor der Einkesselung. In Saporischschja hat sich das Tempo der russischen Truppen sichtbar erhöht. Im Norden drängen sie weiter auf Kupjansk zu, im Osten schieben sie sich rund um Siwersk in Richtung ukrainischer Verteidigungslinien.

Viele Ukrainer bringen es inzwischen in einer klaren Formel auf den Punkt: „Der einzige Deal, der funktioniert, ist Russlands Niederlage.“ Dieser Satz wirkt hart, aber er beschreibt nüchtern die Lehre der vergangenen Jahre. Halbherzige Sanktionen, politische Rücksichtnahmen und das Hoffen auf Kompromisse haben Putin nie gebremst, sondern ermutigt. Erst konsequente Maßnahmen – echte Wirtschaftssanktionen ohne Schlupflöcher, ein Ende der europäischen Abhängigkeiten und militärische Unterstützung ohne politische Zögerlichkeit – könnten Moskaus Kalkül verändern. Alles andere verschiebt den nächsten Angriff nur in die Zukunft.

Militärexperten wie Emil Kastehelmi vom finnischen Black Bird-Team beschreiben die Lage nüchtern: Russland hat momentan die Oberhand. Der Punkt der Kapitulation sei noch nicht erreicht, sagt er, aber die Front wirke angeschlagen – angeschlagen genug, dass der Kreml glaubt, Forderungen stellen zu können, ohne Zugeständnisse machen zu müssen. „Die Zukunft sieht für die Ukraine wirklich düster aus“, sagt Kastehelmi. „Ich sehe keinen klaren Ausweg.“

Bakhmut

Trotzdem hält die ukrainische Armee die Linien. Noch. Doch sie biegen sich. Seit dem 1. November hat Russland laut der ukrainischen Analysegruppe DeepState rund 505 Quadratkilometer erobert – fast doppelt so viel wie im Oktober. Putins Ziel ist seit Jahren unverändert: die vollständige Kontrolle über die Region Donezk und damit über den gesamten Donbas. Dass er dafür weiteres Blutvergießen in Kauf nimmt, steht für Beobachter außer Frage. Die Kämpfe um Pokrowsk zeigen exemplarisch, wie sich der Krieg verändert hat. Über Monate hinweg haben russische Truppen die Stadt mit Artillerie, Drohnen und Gleitbomben zermürbt. Ab September, berichten ukrainische Soldaten, begann die Verteidigung unter der Last der Dauerschläge zu brechen. Ein Drohnenpilot beschreibt die Lage so: Russland setze Molnija-Drohnen in Serien ein, dazu Schwärme kleiner Kamikaze-Drohnen mit Sprengsätzen. Die Ukraine habe nichts Vergleichbares in dieser Masse. Sein Urteil über die angeblichen Friedenssignale Moskaus ist kurz und heftig: „Alles Bluff. Solange sie drücken können, drücken sie.“

Ukrainische Soldaten halten in nördlichen Teilen von Pokrowsk ihre Flagge.
Nach Angaben des Kommandos des 7. Korps handelt es sich um eine feste Position, nicht nur um einen Vorstoß oder Angriffstrupp.

Wer Pokrowsk fallen sieht, schaut automatisch auf die nächsten Städte: Slowjansk und Kramatorsk, seit Jahren stark befestigte Bastionen. Je näher Russland heranrückt, desto stärker wächst der strategische Druck auf die ukrainische Führung, die Front wenigstens dort zu halten. Manche Analysten zweifeln offen daran, ob das Verharren in Pokrowsk militärisch sinnvoll ist oder eher dem politischen Signal dient, nicht in eine Erzählung vom unvermeidlichen russischen Sieg hineinzurutschen. Jeder Rückzug würde Russland Auftrieb geben – aber jeder Tag Halten kostet Soldaten, Material und Zeit.

Zeit, die die Ukraine immer weniger hat. In Lyman berichten ukrainische Einheiten von Angriffen „in allen Richtungen“. Drohnen, Granaten, Raketen – nichts stoppt. Der Nebel der vergangenen Wochen macht Gegenangriffe noch schwieriger und begünstigt russische Vorstöße in kleinen Gruppen. In den Straßen von Kostiantyniwka mischen sich Kälte, Rauch und der Geruch verbrannten Treibstoffs. Ein Soldat schildert, wie sich Leichen von Zivilisten und Militärs zwischen den Ruinen überlagern, ohne dass sie geborgen werden können.

Kostiantyniwka

Während Pokrowsk im Fokus steht, hat Russland die Gelegenheit in Saporischschja genutzt und sich in nur wenigen Wochen rund 75 Quadratmeilen gesichert – fast 40 Prozent seines November-Zugewinns. Die Ukraine schickt Reserven, doch selbst Verstärkung dämpft das Tempo nur leicht. Kastehelmi warnt: „Das Tempo dort ist beunruhigend.“

Pokrowsk

Winter und Drohnen verändern die Front zusätzlich. Böden frieren, Fahrzeuge stecken fest, Drohnen hängen wie ein ständiges Auge über jedem Schützengraben. Infanterieangriffe, wie man sie aus früheren Kriegsphasen kennt, sterben aus. Statt einer klaren Linie entsteht ein breiter Streifen Todeszone, in dem beide Seiten kaum Boden gutmachen können, aber stetig Menschen verlieren.

Putins Berechnung bleibt dennoch stabil: Er hat Ressourcen, er hat Soldaten, er hat Geduld. Die russische Armee verschleißt sich selbst, aber sie verschleißt die Ukraine noch schneller. „Russland führt einen Abnutzungskrieg“, sagt Kastehelmi. „Sie versuchen, die Ukraine langsam militärisch zu brechen.“

Myrnohrad

Für die Stadt Myrnohrad, die direkt an Pokrowsk grenzt, sieht es bereits finster aus. Ein ukrainischer Zugführer beschreibt tägliche Angriffe, bei Tag und bei Nacht. Jede Straße kann zur Falle werden, jeder Weg zur Zielscheibe russischer Drohnen. „Wenn wir drei Leute haben, haben sie dreißig“, sagt er. „Ihre Ressourcen sind unfassbar. Aber auch sie haben nicht erwartet, dass wir so lange kämpfen.“

Der Besuch des Heiligen Mykolaj am Grenzübergang Rava-Ruska, ordnungsgemäß registriert vom 7. Karpaten-Grenzschutzregiment, wirkte inmitten eines düsteren Winters wie ein stiller Gegenentwurf zur russischen Zerstörung. Während ganze Städte in Schutt gelegt werden, hält die Ukraine ihre Grenze – und ihre Traditionen. Mykolaj, in der Ukraine weit bedeutsamer als der westliche Santa Claus, erinnert daran, dass die Russen zwar Häuser zerstören können, aber nicht das, was das Land im Innersten trägt. Die Botschaft war unübersehbar: Wir bewahren unsere Kultur, wir stehen weiter aufrecht gegen einen Feind, der alles verwüsten will – aber nie das, was uns ausmacht.

Die entscheidende Frage hängt nun über allen Frontabschnitten: Wie viel Zeit bleibt der Ukraine, bevor Putins Armee so weit vorstößt, dass politische Kompromisse nur noch Kapitulation bedeuten? Und wie realistisch sind Friedensgespräche, die den Namen nicht verdient haben, während Russland gleichzeitig neue Städte in Brand schießt?

Wolodymyr Selenskyj: „Ich habe die Teilnehmer des erst zweiten militärischen Gebetsfrühstücks in der Geschichte der Ukraine angesprochen. Heute ist für uns ein besonderer Tag, ein Tag mit doppelter Bedeutung. Heute feiern wir den Tag der Streitkräfte der Ukraine und den Nikolaustag, der am 6. Dezember von Christen in vielen Ländern Europas und der Welt begangen wird. Gemeinsam werden wir unser Recht auf Leben verteidigen, unser von Gott gegebenes Land; wir werden unsere Zukunft und einen gerechten Frieden schützen. Ich bin dankbar, dass all dies heute Gegenstand weit mehr als nur eines Gebets ist. Danke, dass Sie hier sind, dass Sie uns nahestehen und diese Einheit spürbar machen. An diesem Tag glaube ich, dass jedes Kind in der Ukraine das erhalten wird, was es sich so lange verdient hat – Stille statt Einschläge, Ruhe statt Luftalarme, verlässlichen Frieden statt all des Bösen. Ich danke Ihnen allen für Ihre Unterstützung, für jedes warme Wort und jede gute Tat, die der Ukraine zugutekommt.“

Trump setzt auf ein Abkommen, das schnell gehen soll und Druck auf Kyiv ausübt. Putin setzt auf Geländegewinne, die ihn selbstbewusst verhandeln lassen. Die Ukraine kämpft weiter, in einer Lage, die jeden Tag bedrohlicher wird.

Kommen wir an diesem Punkt nochmals zurück zu den Sanktionen gegen Russland – und vor allem dazu, wie sie umgesetzt werden. Denn Recherchen im Fall Nikita Michalkow zeigen, wie leicht sich russische Machteliten trotz aller Verbote in Europa weiter absichern. Der vom Kreml finanzierte Regisseur und Propagandist, dessen Sendung „Besogon“ seit Jahren staatliche Botschaften verbreitet, kassiert pro Folge rund fünf Millionen Rubel von Rosneft – getarnt als „Werbe- und Informationsplatzierungen“, obwohl in den Ausstrahlungen keine einzige Rosneft-Werbung zu sehen ist.

Gleichzeitig besitzt seine Familie eine Villa im Luxusort Sotogrande im Wert von etwa fünf Millionen Euro, registriert auf Ehefrau und Kinder, damit europäische Sanktionen ins Leere laufen. Michalkows Angehörige nutzen die Villa und weitere Wohnungen in Spanien regelmäßig. Von unserem befreundeten Navalny-Team erfuhren wir zudem, dass der Regisseur in Spanien sogar eine zweite Familie unterhält. Während in Russland über „Verzicht“ und „patriotische Härte“ geredet wird, zeigt dieser Fall, wie brüchig und lückenhaft westliche Sanktionsregime noch immer sind. Aber eine schicke Villa, oder?

Nikita Michalkow mit Putin

Ein Ende ist nicht in Sicht. Nur die Erkenntnis, dass jeder verlorene Kilometer den nächsten Verlust einfacher macht – und dass dieser Winter über mehr entscheiden könnte als über ein Land.

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