Feuer über Kiew – und Schweigen im Westen: Wie lange will Europa noch zusehen? – „Präsident Trump ist sehr gut informiert“, erklärte Selenskyj

VonRainer Hofmann

Juli 4, 2025

Es war eine Nacht, die die Luft zerschnitt wie ein glühendes Messer. Kurz vor Mitternacht begannen in Kiew die Sirenen zu heulen. Wenige Minuten später war der Himmel über der ukrainischen Hauptstadt ein flackerndes Mosaik aus Feuersäulen, Detonationen und abstürzenden Drohnen. Russland hatte erneut zugeschlagen – präzise, erbarmungslos, in Serie. Ziel: die Lebensadern der Stadt. Zhuliany, der internationale Flughafen im Süden Kiews, stand bald in Flammen. Menschen liefen schreiend durch die Terminals. Bilder zeigen eine völlig zerstörte Ankunftshalle, verkohlte Wracks, Trümmer, die einst Hoffnung und Mobilität bedeuteten. Gleichzeitig wurde ein Dutzend weiterer Einschläge aus Wohngebieten gemeldet. Ballistische Raketen, Drohnen, sogenannte Gleitbomben. Es war der schwerste Angriff seit Beginn des Jahres – und er kam zu einem Zeitpunkt, der alles andere als zufällig wirkt. Nur Stunden zuvor hatte das Weiße Haus „vorübergehend“ die nächste Tranche militärischer Hilfe für die Ukraine gestoppt. Begründung: interne Prüfverfahren. Inmitten dieser Eskalation kam es am 4. Juli zu einem brisanten Telefonat zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und US-Präsident Donald Trump. „Wir haben über die russischen Luftangriffe und die Lage an der Front gesprochen. Präsident Trump ist sehr gut informiert“, erklärte Selenskyj später. Man habe sich auf Maßnahmen zur Stärkung der ukrainischen Luftverteidigung verständigt – insbesondere auf die Ausweitung des Schutzes des ukrainischen Luftraums. Darüber hinaus sei eine enge Kooperation bei der Drohnenproduktion mit amerikanischen Partnern vereinbart worden. „Wir sind bereit für direkte Projekte mit den USA – das ist für unsere Sicherheit von entscheidender Bedeutung“, sagte Selenskyj. Das Gespräch fand nur einen Tag nach einem Telefonat zwischen Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin statt. Laut Kreml bekräftigte Putin dabei, dass Russland seine Kriegsziele in der Ukraine „weiterverfolgen“ werde – ungeachtet aller amerikanischen Appelle zu einem Waffenstillstand. Trump äußerte sich im Nachgang enttäuscht: „Ich glaube nicht, dass er wirklich auf ein Ende der Kämpfe hinarbeitet.“ Und dann das: Die USA hatten kurz zuvor die Lieferung wichtiger Waffensysteme – darunter Patriot-Raketen und präzisionsgelenkte Artilleriemunition – gestoppt. Der offizielle Grund war eine Überprüfung der Bestände. Kiew warnte eindringlich, dass diese Verzögerung die Luftverteidigung schwäche und Moskau ermutige. Neue Sanktionen oder weitere Hilfspakete hat die Trump-Regierung bislang nicht beschlossen – trotz anhaltender russischer Aggression.

Und Europa? Sitzt an einem runden Tisch, schaut auf einen Bildschirm und wartet auf das nächste Statement. Man ruft zur Deeskalation auf, man verurteilt die Angriffe, man prüft weitere Sanktionen. Worte, die längst nicht mehr wiegen. Worte, die in Kiew klingen wie Hohn. Denn während Feuerwehrleute brennende Kinderspielplätze löschen und Notärzte Amputationen bei Kerzenlicht vornehmen, fragt sich ein ganzer Kontinent: Wie lange will man diesen Krieg noch outsourcen? Wie oft noch „schärfste Verurteilung“, bevor man den eigenen Mut misst? Währenddessen trifft sich am Donnerstag in Rom die internationale Politik zur großen Wiederaufbau-Konferenz. Friedrich Merz wird als deutscher Bundeskanzler die Eröffnungsrede halten. Gastgeber sind Italien und die Ukraine, das Ziel: möglichst breite internationale Hilfe beim Wiederaufbau eines Landes, das gleichzeitig brennt. Parallel dazu laden Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer zu einer Videokonferenz der sogenannten „Koalition der Willigen“, die sich – nach dem außenpolitischen Rückzug der USA – mit der militärischen Unterstützung der Ukraine befasst. Auch Präsident Selenskyj wird sich zuschalten. Und so steht sie nun wieder im Raum, diese absurde, fast groteske Gleichzeitigkeit europäischer Symbolpolitik: Wiederaufbaupläne, während in derselben Nacht Flughäfen explodieren. Rhetorik der Hoffnung, während Blut an Kellertreppen klebt. Ein diplomatisches Parkett, auf dem man über das Morgen spricht, während das Heute in Asche zerfällt. Es ist, als würde man die Fenster eines brennenden Hauses polieren, während die Bewohner um Hilfe schreien.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer stehen in diesem Moment allein. Allein mit ihrem Mut. Allein mit ihrem Schmerz. Und zunehmend auch allein mit ihrem Zorn. Denn was gestern Nacht geschah, war kein „militärisches Ziel“, kein „Kollateralschaden“, kein „Teil des Krieges“ – es war Terror. Der gezielte Versuch, eine Stadt zu lähmen, ein Land zu brechen, ein Volk zu demoralisieren. Man zerstört Flughäfen, um die Türen nach Westen zu verschließen. Man trifft Wohnblöcke, um das Leben selbst zu entwerten. Und man tut all das unter dem Mantel des Schweigens – diplomatisch abgestützt durch ein Amerika, das seine Waffen zählt und seine Worte wägt. Es stellt sich also die unausweichliche Frage: Was genau ist die Strategie? Was bedeutet es, wenn sich die zwei aggressivsten Männer unserer Zeit eine Stunde lang besprechen – just in dem Moment, in dem der Verteidigungsnachschub aussetzt und die Bomben wieder fallen? Und was wird Europa tun, wenn Kiew fällt? Wenn Odessa brennt? Wenn Putin seinen Marsch nach Westen fortsetzt – nicht in Worten, sondern in Panzern? Man hört oft, dieser Krieg sei „eine Bewährungsprobe“. Für die Ukraine, für die NATO, für das Völkerrecht. Doch vielleicht ist er längst mehr als das. Vielleicht ist er der Spiegel, in dem wir sehen, was von unserer moralischen Selbstgewissheit übrig bleibt, wenn Raketen in der Dunkelheit einschlagen. Und vielleicht ist das, was wir dort sehen, weniger beruhigend, als wir uns je hätten vorstellen können.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
2 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Ela Gatto
Ela Gatto
2 Monate zuvor

Außer dem ûblichen „wir verurteilen es auf das Schärfste“ und „wir stehen an der Seite der Ukraine“ passiert seit Kriegsbeginn nicht wirklich viel.

Ja, wir nehmen Flüchtlinge auf.
Ja, wir liefern teilweise Waffen
Ja, wir unterstützen finanziell.

Aber es reicht schlicht nicht.
Wenn die Europäer weiter so rumeiern, dann fällt die Ukraine und mit ihr die „Sicherheit“ Europas.

Vielleicht sollten wir schon mal russische lernen?

Denn von den USA ist nichts mehr zu erwarten.
Tru*** schielt nur auf Deals.
Außerdem will er ja Grönland annektieren.
In seinen Augen viel einfacher, wenn Russland die Ukraine einnimmt.

China Ist nicht an einem Frieden interessiert.
Damit legitimiert es sich die sicher stattfindende Annektion Taiwans.

Esther
Esther
2 Monate zuvor

Trump verarscht alle…die Ukraine, die EU und andere Partner! Nur beim Putler kriecht er in den A….und lässt sich von dem verarschen…
Der gehört weg…sobald wie möglich!

2
0
Would love your thoughts, please comment.x