Europa stellt sich quer – und Trumps Ukraine-Plan wankt wie nie zuvor

VonRainer Hofmann

Dezember 9, 2025

Der Tag in London hätte für Donald Trump kaum ungünstiger laufen können. Während er in Washington lauthals behauptete, der ukrainische Präsident habe sein „Friedensangebot“ nicht gelesen, formierte sich in Downing Street ein Bündnis, das unmissverständlich klarmachte, dass Europa nicht bereit ist, als Kulisse für einen Deal herzuhalten, der entlang russischer Forderungen geschrieben wurde. Trump wollte Tempo. Er wollte eine schnelle Lösung. Doch die Wirklichkeit des Krieges, die politischen Linien der Ukraine und die wachsende Nervosität europäischer Staatschefs zeigen ihm nun Grenzen, die er nicht selbst setzen kann. Volodymyr Selenskyj legte den entscheidenden Satz bereits auf dem Flug nach Brüssel fest. „Wir haben kein Recht – weder nach ukrainischem Recht noch nach internationalem Recht – und auch kein moralisches Recht, eigenes Land zu verschenken.“ Damit stellte er die Frage der territorialen Integrität auf eine Ebene, die jenseits politischer Manöver liegt. Für die Ukraine ist sie nicht verhandelbar. Und genau an diesem Punkt bricht Trumps Plan auseinander: Sein Vorschlag, die gesamte Donbas-Region Russland zu überlassen, ist für Kiew nicht mehr als ein fremdbestimmter Versuch, das Ende eines Krieges zu diktieren, dessen Folgen das Land selbst tragen müsste.

In London traf Selenskyj auf Keir Starmer, Emmanuel Macron und Friedrich Merz – eine Runde, die Trump gern als Statisten betrachtet hätte, die sich dankbar an die amerikanische Vorlage halten. Doch die Gespräche verliefen anders. Starmer sprach offen von einer „kritischen Phase“, Macron von der Notwendigkeit einer „gemeinsamen Position“, Merz von Skepsis gegenüber Teilen der US-Vorschläge. Alle drei machten deutlich, dass Europa kein Feigenblatt sein wird, das ein Abkommen abnickt, das in Moskau gefeiert würde und in Kiew als Kapitulation empfunden werden müsste. Während Trump den Druck erhöht, wächst in Europa die Überzeugung, dass die Ukraine nicht zwischen die Fronten transatlantischer Eitelkeiten geraten darf.

Trump selbst versucht, die Verantwortung für die stockenden Gespräche umzulenken. Er behauptet, Selenskyj habe den Vorschlag nicht gelesen, und inszeniert sich als geduldiger Vermittler, dessen Angebot nur einer Unterschrift bedarf. Doch hinter den Kulissen zeigt sich ein anderes Bild: Das Weiße Haus drängt auf rasche Ergebnisse, drängt auf Zugeständnisse, drängt auf eine Konfliktbeendigung, die vor allem für die USA politisch verwertbar wäre. Die dabei entstehende Schieflage ist offensichtlich. Russland sieht sich bestätigt, dass die Forderung nach vollständiger Aufgabe des Donbas nicht nur haltbar, sondern verhandelbar sei. Das ist eine Illusion, die weder Europa noch die Ukraine teilen.

In Brüssel soll Selenskyj anschließend mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprechen. Beide wissen, dass die Sicherheitsarchitektur Europas auf dem Spiel steht. Sollte die Ukraine zu einem Landstückverzicht gezwungen werden, würde das Signal weit über Osteuropa hinausreichen. Es wäre eine Einladung an Moskau, jede zukünftige Vereinbarung wieder infrage zu stellen. Zugleich wäre es ein Bruch mit der Grundidee europäischer Sicherheit: Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden. Und genau dieser Punkt wurde im Londoner Treffen mehrfach betont. Für Europa ist die Frage territorialer Integrität nicht nur eine politische Linie – sie ist eine rote Linie.

Der amerikanische Druck steht im Kontrast zu der Realität, die das ukrainische Militär gerade erlebt. Russische Truppen gewinnen in Teilen des Ostens wieder Boden, während die Ukraine ihre Ausbildung, Mobilisierung und Rekrutierung verbessert, um langfristig durchhalten zu können. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Ein „frieren wir die Front ein“-Deal wäre jedoch kein Frieden, sondern ein Waffenstillstand auf Zeit – und dürfte Russland strategische Vorteile verschaffen, die Europa teuer zu stehen kommen könnten. Auch die Episode um drohende Drohnen über Selenskyjs Flugzeug während seines Irland-Besuchs zeigt, wie sehr Moskau versucht, die diplomatischen Räume zu stören, in denen über die Zukunft des Krieges verhandelt wird. Irische Behörden sprachen von einer „koordinierten Bedrohung“. Es war ein Versuch, Schwäche zu demonstrieren und Zweifel zu säen. Doch in London zeigte sich das Gegenteil: ein geschlossener europäischer Block, der sich nicht vorführen lässt.

Trump versucht derweil, die Erzählung zu drehen. Ein Artikel, den er teilte, sprach von „machtlosen Europäern“. Doch der Tag in Downing Street hat eher gezeigt, dass Europa bereit ist, klare Linien zu setzen – nicht gegen Amerika, sondern gegen die Vorstellung eines Friedens, der keinem Frieden gleicht. Macron formulierte es deutlich: Europa hat viele Karten in der Hand. Die wirtschaftliche Stärke, die militärische Unterstützung für Kiew, die Sanktionen gegen Russland – all das sind Elemente, die Washingtons Schnellschüsse abfedern können. Währenddessen wächst in den USA die Ungeduld. Trump Jr. deutete unverblümt an, sein Vater könne die Unterstützung für die Ukraine ganz einstellen, wenn diese sich nicht füge. Das ist nicht nur politisch instabil, sondern ein Signal an Moskau, dass Washington bereit wäre, gegen eigene Partner zu handeln, um ein Abkommen zu erzwingen. Selenskyj weiß das – und genau deshalb hat er in Europa Rückhalt gesucht, um den amerikanischen Druck auszubalancieren.

Der Tag endet mit einer nüchternen Einsicht: Trumps Plan wankt, weil er nicht die Realität des Krieges abbildet, sondern die politische Realität eines Präsidenten, der einen schnellen Erfolg braucht. Europa hingegen weiß, dass es nicht um Symbolik geht. Es geht um die Zukunft eines Landes, dessen Kampf darüber entscheidet, ob militärische Gewalt in Europa wieder ein legitimes Mittel zur Veränderung von Grenzen wird. In London wurde deutlich, dass sich Europa diese Frage nicht von Washington beantworten lässt.

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Helga M.
Helga M.
18 Stunden zuvor

Und es geht um die gesamteuropäische Zukunft, siehe Strategiepapier.

Marlene Schreiber
Marlene Schreiber
14 Stunden zuvor

Das wurde doch auch einmal Zeit.

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