Europa grillt sich selbst – Die Welt steht in Flammen, aber der Veggie-Burger ist das Problem

VonRainer Hofmann

Oktober 8, 2025

Die Welt taumelt. In den USA lässt Donald Trump wieder Panzer gegen Demonstranten auffahren und nennt es „innere Sicherheit“. In der Ukraine bombardiert Wladimir Putin jeden Winkel, den er noch erreichen kann. In Deutschland wissen Familien nicht mehr, wie sie den Wocheneinkauf bezahlen sollen. Und in Spanien steht eine ganze Generation am Rand des Arbeitsmarkts und winkt resigniert von dort aus. Und mitten in dieser brennenden Welt erhebt sich Europa – um endlich durchzugreifen. Das EU-Parlament hat entschieden, dass Tofu nicht länger „Wurst“ heißen darf. Ein Meilenstein der Zivilisation. Ein Manifest gegen den semantischen Verfall. Während draußen die Gesellschaft zerbricht, wird drinnen die Sprache gerettet.

355 Abgeordnete stimmten in Straßburg für das, was man nur als mutigen Schlag gegen den größten Feind des Abendlands bezeichnen kann: den Veggie-Burger. Denn irgendwo da draußen, so fürchtet die französische Abgeordnete Céline Imart, könnte ein unbedarfter Europäer in Versuchung geraten, einen Erbsenproteinfladen zu kaufen – und ihn für Fleisch halten. Und das darf nicht sein. Nicht in diesen Zeiten. Nicht, solange noch irgendeine Metapher für Fleisch übrig ist. In einer Welt, in der man Kriege nicht mehr beendet, sondern nur pausiert, erklärt Brüssel den Feldzug gegen sprachliche Verwirrung. Tofu soll Tofu heißen, und wenn Europa dabei zugrunde geht, dann wenigstens klar beschriftet.

Foodwatch nennt das Ganze „Unsinn“. Aber das ist zu kurz gedacht. Was ist schon Unsinn in einer Epoche, in der Trump wieder Militär in amerikanische Städte schickt, während Hedgefonds Milliardengewinne einfahren, und in der die EU sich nicht einmal auf ein gemeinsames Asylsystem einigen kann – aber dafür endlich weiß, wie Soja heißen darf? Horst Koller vom Wurstverband beteuert, niemand werde in Deutschland getäuscht – schließlich stünde „vegan“ ja vorne drauf. Und irgendwo in Niedersachsen nickt jemand zufrieden und denkt: Wenigstens das funktioniert hier noch.

Bei der Rügenwalder Mühle versteht man die Ironie. Dort sagt man offen, dass niemand ein „Bratstück“ kaufen will. Zu Recht. „Bratstück“ klingt nach Baumarkt, nicht nach Mittagessen. Aber Logik spielt keine Rolle mehr, solange das Regelwerk stimmt. Europa wirkt inzwischen wie eine Betriebsversammlung auf der Titanic. Während das Wasser in den Maschinenraum dringt, diskutiert man über die korrekte Bezeichnung des Bordbuffets. Die einen reden über Inflation, Krieg und den Zerfall der Demokratie – die anderen über Wortlaut und Produktetiketten.

Vielleicht ist das das wahre Vermächtnis dieser Abstimmung: Europa als Sprachfriedhof einer untergehenden Vernunft. Während Trump die Demokratie mit einem Lächeln zerlegt, Putin den Völkermord administrativ verwaltet, Jugendliche in Südeuropa keine Zukunft sehen und deutsche Alleinerziehende mit drei Jobs überleben – erklärt das EU-Parlament: Wir haben alles im Griff. Wir haben den Veggie-Burger besiegt. Man kann das alles als Symbol sehen: für Realitätsflucht mit institutioneller Mehrheitsentscheidung. Oder für den letzten Triumph der Bürokratie über die Wirklichkeit. In jedem Fall bleibt das Gefühl, dass dieser Kontinent dringend etwas bräuchte, was längst verboten ist – Substanz.

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Laura Kirchner
Laura Kirchner
22 Stunden zuvor

Wie ich schon einmal schrieb: wir leben im Zeitalter der Unvernunft und ich möchte die zunehmende Verdummung noch hinzufügen…
Gut, Wurst darf nicht mehr vegan sein…und are we great again yet? Alle Probleme unserer Zeit sind jetzt gelöst?
Cancel culture kommt von den Erzkonservationen und Rechten.
Merz und seine Kompetenzattrappen sprechen immer wieder davon wie wichtig es sei die Industrie und Wirtschaft zu stärken. Na, da bin ich ja gespannt, ob sie den stark wachsenden Markt der fleischfreien Alternativprodukte und dessen Unternehmen schützen werden oder ob sie lieber an dem Kulturkampf teilnehmen und diesen Markt schädigen wollen…aber ich denke wir alle kennen die Antwort…
wer soll denn diese Politiker, aber auch die Institutionen der EU ernst nehmen, die sie mit solchen Stellvertreterkriegen beschäftigen und beschädigen?

Ela Gatto
Ela Gatto
21 Stunden zuvor

Genau das ist das was mich an Europa so massiv stört.
Ein riesiger, unbeweglicher und teurer Wasserkopf.
Der sich mit schwachsinnigen Verboten beschäftigt anstatt sich mit den wirklich wichtigen Problemen zu beschäftigen

Benitomo
Benitomo
19 Stunden zuvor

Und wenn wir jetzt noch flächendeckend jeglichen Ansatz von Gendern verbieten, dann können wir wieder beruhigt weiterschlafen, denn unsere Welt ist gerettet!

Alexandra Christiansen
Alexandra Christiansen
10 Stunden zuvor

Mir fällt nichts mehr dazu ein. Scheint ja das größte Problem gewesen zu sein was wir hier in Europa haben🤔 es knallt in allen Ecken dieser Erde aber ob Veggie Burger Burger heißen darf ist das wichtigste? 🙄

Eine Frage an Rainer warum kann ich auf eurer Facebook Seite nicht kommentieren? Kann Gefällt mir drücken aber mehr leider nicht.

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