Aus Versehen im Kriegsrat – Wie die Trump-Regierung einem Journalisten ihre Militärschläge über Signal verriet

byRainer Hofmann

March 24, 2025

Was wie ein Spionagethriller beginnt, ist in Wahrheit ein beispielloser Vorgang realer Machtpannen: Jeffrey Goldberg, Chefredakteur des renommierten Magazins The Atlantic, wurde im März 2025 versehentlich in eine geheime Chatgruppe der Trump-Regierung aufgenommen – und erhielt dort Live-Einblick in die Planung eines US-Militärschlags im Jemen. Die Gruppe hieß „Houthi PC small group“, lief über die verschlüsselte App Signal – und war offenbar der digitale Koordinationsraum für einen hochsensiblen Angriff auf Stellungen der Huthi-Miliz im Süden der Arabischen Halbinsel. Goldberg dachte zuerst an einen Fehler. Vielleicht ein Scherz. Vielleicht Deepfake. Doch dann fielen die Bomben – exakt auf die Ziele, über die er in der Chatgruppe gelesen hatte.

Die Chronologie der Panne

11. März: Goldberg erhält eine Signal-Anfrage von einem Nutzer namens „Michael Waltz“. Es ist der Nationale Sicherheitsberater der Trump-Regierung.

13. März: Er wird der Signal-Gruppe „Houthi PC small group“ hinzugefügt. Die Gruppe wird sichtlich neu aufgebaut – Mitglieder nominieren jeweils „ihren Mann“ für den „Tiger Team“-Einsatz gegen die Huthi.

14. März: Die Gruppe diskutiert aktiv über die bevorstehenden Angriffe. Es werden konkrete Zielvorschläge, Einsatzzeiten und Waffentypen besprochen. Auch Kommunikationspläne mit internationalen Partnern und die mediale Abfolge werden koordiniert.

15. März, 11:44 Uhr (Ostküstenzeit): Goldberg erhält eine Nachricht mit detaillierten Informationen zur bevorstehenden Operation: Zielkoordinaten, Einsatzarten (Cruise Missiles, Drohnen etc.), Zeitfenster.

15. März, ca. 13:50 Uhr: Die ersten Einschläge im Jemen werden öffentlich bekannt – genau nach dem Zeitplan der Chatgruppe.

Namen, Macht und Kontrollverlust – In der Gruppe vertreten: das Who’s Who der Trump-Regierung.

Hier ein Auszug der Signal-Nachrichten:

Michael Waltz (Sicherheitsberater): „Pulling together a tiger team…“

JD Vance (Vizepräsident): „Andy Baker for VP.“

Pete Hegseth (Verteidigung): „Dan Caldwell for DoD.“

Marco Rubio (Außenminister): „Mike Needham for State.“

TG (vermutlich Tulsi Gabbard, DNI): „Joe Kent for DNI.“

Scott B (vermutlich Scott Bessent, Treasury): „Dan Katz for Treasury.“

Brisant: Selbst intern gab es Unstimmigkeit – JD Vance zweifelte öffentlich im Chat:

„3 percent of US trade runs through the Suez. 40 percent of European trade does. […] I am not sure the president is aware how inconsistent this is with his message on Europe right now.“

(„3 Prozent des US-Handels laufen durch den Suezkanal. 40 Prozent des europäischen Handels tun das. […] Ich bin mir nicht sicher, ob dem Präsidenten bewusst ist, wie widersprüchlich das zu seiner aktuellen Botschaft gegenüber Europa ist.“)

Ein unfreiwillig offengelegter Riss in der Strategie – live lesbar für einen Journalisten. Diplomatie per App, oder sicherheitspolitische Selbstentblößung?

Dass ein Journalist ungefragt in eine militärische Planungsgruppe aufgenommen wird, ist kein Missgeschick, sondern ein massiver Verstoß gegen sämtliche Sicherheitsprotokolle. Die Verwendung einer App wie Signal – die zwar verschlüsselt, aber privat ist – für militärische Echtzeitplanung lässt Fragen offen, die noch lange nicht beantwortet sind. Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats bestätigte später die Echtheit der Kommunikation – und sprach von einem „technischen Versehen“. Die Mission sei dennoch „erfolgreich“ verlaufen. Doch der Erfolg auf dem Schlachtfeld ist nur eine Seite – der Kontrollverlust in der Kommandozentrale ist die andere. Ein digitaler Kriegsrat, geführt wie eine Projektgruppe in einer Messaging-App. Ein Präsident, dessen Regierung Bomben wirft – während die Protokolle fallen.

Zaporizhzhia als Eigentum, der Jemen als Spielbrett, und jetzt: der Krieg als Gruppenchat.

Wer wissen will, wie entgrenzt Macht im 21. Jahrhundert aussehen kann findet hier die Antwort. Denn wenn ein Krieg beginnt, und ein Journalist weiß es zuerst – läuft etwas sehr, sehr falsch.

Auf Nachfrage von Reporter:innen zu den Enthüllungen gab sich Donald Trump ahnungslos. „Ich weiß nichts darüber“, sagte er bei einem Treffen mit dem Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, und Louisianas Gouverneur Jeff Landry im Weißen Haus. Das Magazin selbst bezeichnete er abfällig als „nicht besonders erfolgreich“ und „eine Publikation, die demnächst dichtmacht“. Als ihm ein Journalist erklärte, dass es um Chatnachrichten zur Planung der Huthi-Angriffe gehe, entgegnete Trump nur: „Dann kann es ja nicht so schlimm gewesen sein – der Angriff war jedenfalls sehr erfolgreich.“

Später gab es doch noch erste Reaktionen aus dem politischen Washington – und sie fallen deutlich aus. Während das Weiße Haus selbst weiter schweigt, melden sich führende Demokraten im Kongress mit scharfer Kritik zu Wort. Der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Senat, Jack Reed, sprach von einem der „gröbsten Versäumnisse in Sachen operativer Sicherheit und gesundem Menschenverstand“, das er je erlebt habe. „Amerikanisches Leben steht auf dem Spiel“, so Reed.

Auch der Demokrat Jim Himes, Chef des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, zeigte sich „entsetzt“ über die Vorgänge. Wäre es ein einfacher Beamter gewesen, sagte er, „hätte man ihm sofort die Sicherheitsfreigabe entzogen und ein Strafverfahren eingeleitet“. Die US-Bevölkerung habe ein Recht auf Aufklärung, die er sich nun in der nächsten Ausschusssitzung einholen wolle. Die Senatorin und Irakkriegsveteranin Tammy Duckworth bezeichnete Verteidigungsminister Pete Hegseth auf X als den „am wenigsten qualifizierten Verteidigungsminister der Geschichte“ und warf ihm vor, durch das Leaken geheimer Kriegspläne per Gruppenchat „unsere nationale Sicherheit aktiv zu gefährden“.

Der Stille Krieg der Worte – Wie Trumps Kabinett Europa verachtet und Saudi-Arabien schützt – Ein Protokoll der Entgleisung – übersetzt und kommentiert

Gruppenname: „Houthi PC small group“.
Teilnehmer: JD Vance (Vizepräsident), Pete Hegseth (Verteidigungsminister), Michael Waltz (Nationaler Sicherheitsberater), Marco Rubio (Außenminister) – eine Runde, die nicht nur plant, sondern bewertet, verachtet, kalkuliert.

Die nachfolgenden Nachrichten wurden aus einem geleakten Signal-Chat übernommen. Die Zitate geben Einblick in ein Weltbild, in dem Verbündete zu Lasten, internationale Verpflichtungen zu Rechnungen und humanitäre Verantwortung zu Kalkulationsposten verkommen.

JD Vance, 8:45 AM:
„@Pete Hegseth if you think we should do it let’s go. I just hate bailing Europe out again.“

„Wenn du denkst, wir sollten es tun, dann los. Ich hasse es einfach, Europa schon wieder rauszuhauen.“

Pete Hegseth, 8:46 AM:
„Let’s just make sure our messaging is tight here. And if there are things we can do upfront to minimize risk to Saudi oil facilities we should do it.”

„Lass uns nur sicherstellen, dass unsere Kommunikation stimmig ist. Und wenn wir im Vorfeld etwas tun können, um das Risiko für saudische Ölanlagen zu minimieren, sollten wir es tun.“

Pete Hegseth, 8:49 AM:
„VP: I fully share your loathing of European free-loading. It’s PATHETIC.“

„VP: Ich teile deine Abscheu gegenüber dem europäischen Trittbrettfahren voll und ganz. Es ist ERBÄRMLICH.“

Pete Hegseth, 8:49 AM:
„But Mike is correct, we are the only ones on the planet (on our side of the ledger) who can do this. Nobody else even close. Question is timing. I feel like now was as good a time as any, given POTUS directive to reopen shipping lanes. I think we should go; but POTUS still retains 24 hours of decision space.”

„Aber Mike hat recht, wir sind die Einzigen auf dem Planeten (auf unserer Seite der Rechnung), die das tun können. Niemand sonst kommt auch nur annähernd infrage. Die Frage ist das Timing. Ich habe das Gefühl, jetzt ist so gut wie jeder andere Zeitpunkt, angesichts der Anweisung des Präsidenten, die Schifffahrtswege wieder zu öffnen. Ich denke, wir sollten es tun; aber der Präsident hat noch 24 Stunden Bedenkzeit.“

S.M., 9:35 AM:
„As I heard it, the president was clear: green light, but we soon make clear to Egypt and Europe what we expect in return. We also need to figure out how to enforce such a requirement. EG, if Europe doesn’t meet a requirement, we warn of the US successfully restores freedom of navigation at great cost there needs to be some further economic gain extracted in return.“

„So wie ich es verstanden habe, war der Präsident klar: grünes Licht. Aber wir müssen bald klarstellen, was wir von Ägypten und Europa im Gegenzug erwarten. Wir müssen auch herausfinden, wie wir so eine Forderung durchsetzen. Zum Beispiel: Wenn Europa eine Bedingung nicht erfüllt, und die USA erfolgreich die Freiheit der Schifffahrt wiederherstellen – zu hohen Kosten – dann muss daraus wirtschaftlich noch etwas für uns herausspringen.“

Was hier geschrieben wird, ist keine spontane Meinungsäußerung. Es ist politische Verachtung in Echtzeit. Die Vereinigten Staaten unter Trump sprechen nicht mehr mit der Welt – sie rechnen ab. Es ist die Sprache des Kalten Pragmatismus, in der „Verbündete“ nur so lange zählen, wie sie zahlen. Die USA, wie sie hier auftreten, lieben Europa nicht. Sie tolerieren es als Markt, als Puffer, als Zielscheibe. Es ist das Echo einer Weltordnung, die nicht auf Vertrauen, sondern auf Transaktion beruht.

Die Chatgruppe heißt „Houthi PC small group“. Doch was hier besprochen wird, ist größer als der Jemen, größer als Öl. Es ist ein Fenster in ein Denken, das die globale Ordnung zur Beute erklärt – und Moral zu einer Schwäche degradiert. George Orwell schrieb einst: „Political language is designed to make lies sound truthful and murder respectable.“ Und wer diese Zeilen liest, versteht: Der Krieg beginnt nicht mit Raketen. Er beginnt mit solchen Nachrichten.

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