Washington / Nashville – Es ist ein Fall, der längst über juristische Fragen hinausweist – ein Symbol geworden ist für den Umgang einer Regierung mit Recht, Wahrheit und Menschenleben. Der Bauarbeiter Kilmar Abrego Garcia, der nach seiner irrtümlichen Abschiebung nach El Salvador und einem spektakulären Rücktransport auf US-Boden wieder vor Gericht steht, soll nun von einem Mann belastet werden, dessen eigene Akte an Widersprüchlichkeit kaum zu überbieten ist. Wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht, hat die Trump-Administration entschieden, Jose Ramon Hernandez Reyes, 38 Jahre alt, vor der Abschiebung zu bewahren – als Gegenleistung für seine Kooperation gegen Abrego Garcia. Hernandez, der selbst wegen Menschenschmuggels und illegaler Wiedereinreise verurteilt wurde und zudem in Texas wegen „deadly conduct“ schuldig gesprochen wurde – er hatte betrunken mit einer Schusswaffe auf offener Straße gefeuert –, wurde laut den Dokumenten frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen und in eine Übergangseinrichtung verlegt. Er darf mindestens ein Jahr in den USA bleiben. Warum diese Gnade? Er ist der „erste Kronzeuge“ der Anklage gegen Kilmar Abrego Garcia, wie aus den Unterlagen hervorgeht, die der Washington Post vorliegen. Laut dem US-Heimatschutzministerium (DHS) soll Hernandez der Eigentümer des SUV gewesen sein, mit dem Garcia 2022 angeblich Migranten transportiert habe – ein Vorwurf, der sich auf eine Verkehrskontrolle durch die Tennessee Highway Patrol stützt. Diese Kontrolle ist der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Verfahrens.
Doch was auf dem Papier wie eine schlüssige Zeugenführung aussieht, wirft in Wahrheit immer mehr Fragen auf – vor allem über das Handeln der Regierung selbst. Denn während der zentrale Belastungszeuge vor der Abschiebung geschützt wird, ringt das Gericht weiterhin mit der Frage, ob man dem Justizministerium überhaupt trauen kann. Am Freitag beantragten Garcias Anwälte offiziell, dass der Angeklagte weiter in Haft bleibt – ausgerechnet, weil man nicht mehr glauben könne, was Regierungsstellen zur Frage einer möglichen erneuten Abschiebung äußern. Die Anwälte formulierten es unmissverständlich: „Wir können keinerlei Zusicherungen der Regierung in dieser Angelegenheit Glauben schenken.“ Dabei hatte sich zuletzt angedeutet, dass Richterin Barbara Holmes in Nashville bereit gewesen wäre, Garcia auf freien Fuß zu setzen, um auf sein Verfahren wegen angeblichen Menschenschmuggels zu warten. Doch angesichts der widersprüchlichen Aussagen aus Washington bleibt sie zögerlich. Zu groß ist die Sorge, dass ICE (Immigration and Customs Enforcement) ihn noch vor Prozessbeginn erneut verschleppen könnte – eine Wiederholung des Verfassungsbruchs vom März, als Garcia unter Missachtung gerichtlicher Anordnungen nach El Salvador deportiert wurde.
Kilmar Abrego Garcia, der in Maryland gelebt und als Bauarbeiter gearbeitet hatte, wurde durch diese Abschiebung zum Inbegriff des autoritären Kurses der zweiten Trump-Regierung. Sein Fall mobilisierte Bürgerrechtsgruppen, Senatoren, UN-Vertreter und die internationale Presse. Erst auf massiven Druck – und nach einem Beschluss des Obersten Gerichtshofs – wurde er Mitte Juni in die USA zurückgeholt. Seitdem ist klar: Die Vorwürfe gegen ihn stehen auf äußerst wackligem Fundament. „Preposterous“, nennen seine Anwälte die Anklage – absurd, grotesk. Und nicht wenige Beobachter fragen sich: Was ist ein Zeugnis eines mehrfach vorbestraften Mannes wert, der durch seine Kooperation eine Abschiebung abwendet? Was bedeutet es für den Rechtsstaat, wenn Glaubwürdigkeit gegen Gnade getauscht wird – in einem Fall, der das Schicksal eines Unschuldigen entscheidet? Draußen vor dem Bundesgericht in Nashville steht unterdessen eine Frau mit einem Porträt von Kilmar Abrego Garcia in der Hand: Katheryn Millwee, Aktivistin, Unterstützerin, Zeugin eines Rechtsdramas, das die Vereinigten Staaten auch nach innen entblößt. Denn die eigentliche Frage ist längst nicht mehr, ob Kilmar Abrego Garcia schuldig oder unschuldig ist – sondern ob die Institutionen dieser Regierung überhaupt noch Willens und in der Lage sind, Gerechtigkeit walten zu lassen. Garcia hat auf nicht schuldig plädiert. Das Verfahren geht weiter. Doch der Schatten, den es wirft, reicht weit über Nashville hinaus – bis in das Herz der amerikanischen Demokratie.