Ein Urteil gegen die Menschlichkeit – Der Supreme Court gibt Trump grünes Licht für Abschiebungen in Drittstaaten

VonRainer Hofmann

Juni 24, 2025

Washington – Es war ein Tag, an dem nicht das Recht, sondern die Macht triumphierte. Am 23. Juni 2025 hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten mit sechs zu drei Stimmen entschieden, dass die US-Regierung unter Donald Trump fortan wieder Migrant:innen in sogenannte Drittstaaten abschieben darf – Länder, die weder Herkunftsland noch Ankunftsland sind, sondern geopolitische Ausweichstationen auf der Flucht vor Krieg, Elend und Verfolgung. Orte wie Djibouti, Honduras oder Georgien – wo keine Familie wartet, kein Schutz winkt, kein Verfahren verlässlich garantiert werden kann.

Das Urteil hob eine einstweilige Verfügung des Bundesbezirksgerichts in Boston auf. Richter Brian Murphy hatte im April (Az. 1:25‑cv‑1234) entschieden, dass Abschiebungen in Drittstaaten nur dann zulässig seien, wenn den Betroffenen zuvor reale Möglichkeiten zur rechtlichen Anfechtung und Beweisführung eingeräumt wurden – eine Auffassung, die nun durch die konservative Mehrheit des Supreme Court pulverisiert wurde. Chief Justice John Roberts und seine fünf konservativen Kolleg:innen – Clarence Thomas, Samuel Alito, Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett – verweigerten jede schriftliche Begründung. Kein Satz, kein Absatz, keine Darlegung juristischer Erwägungen. Diese absichtsvolle Sprachlosigkeit ist nicht bloß Ausdruck institutioneller Arroganz – sie ist der Offenbarungseid eines Gerichts, das sich längst in den Händen fanatisierter MAGA-Hardliner befindet. Ein solches „Urteil“, gefällt ohne erkennbare rechtliche Argumentation, entbehrt jeder rechtsstaatlichen Legitimität. Es verdient den Namen Urteil nicht – es ist vielmehr eine Regime-Depeche, eine diktierte Vollzugsanweisung aus dem Maschinenraum der Macht. Wer so richtet, spricht nicht Recht – er exekutiert. Und wer so schweigt, tut es nicht aus Demut vor dem Gesetz, sondern aus Verachtung für seinen Geist. Man muss es aussprechen: Die Richtermehrheit hat sich mit diesem Akt zum Scharfrichter-Tribunal des Trumpismus gemacht. Die institutionelle Selbstverleugnung, das absichtliche Schweigen anstelle argumentativer Verantwortung, ist ein politischer Akt im Mantel richterlicher Zurückhaltung – und damit ein Angriff auf die Grundlagen der Gewaltenteilung.

Die Gegenstimme kam dennoch mit Nachdruck: Sonia Sotomayor, unterstützt von Elena Kagan und Ketanji Brown Jackson, veröffentlichte eine 19-seitige Dissenting Opinion, in der sie das Urteil als „groben Missbrauch richterlicher Autorität“ bezeichnete. Wer Migranten in Länder abschiebe, in denen Folter, Verfolgung oder Tod drohten, breche nicht nur moralische Grundprinzipien – sondern auch die Verfassung. Sie warnte, diese Entscheidung gefährde Migrant:innen und setze sie möglicherweise „Folter oder Tod“ aus. Das Urteil sei ein Rückfall in eine Politik, die weder Menschlichkeit noch rechtsstaatliche Maßstäbe kenne. Konkret ging es um acht Migrant:innen – darunter Personen aus Kuba, Myanmar, Laos, Mexiko, Vietnam und dem Südsudan – die laut Klageschrift zu einem US-Militärstützpunkt in Djibouti nahe der südsudanesischen Grenze deportiert wurden. Sechs von ihnen waren vorbestraft, was die Trump-Regierung als Sicherheitsrisiko einstufte. Doch Richter Murphy hatte ausdrücklich festgestellt, dass selbst in solchen Fällen ein Mindestmaß an rechtlichem Schutz gelten müsse. Die Kläger hätten keine realistische Möglichkeit gehabt, das Risiko von Gewalt oder Verfolgung in den Drittstaaten glaubhaft darzulegen.

Sonia Sotomayor, Ketanji Brown Jackson, Elena Kagan

Das Department of Homeland Security (DHS) begrüßte das Urteil als „Sieg für die Sicherheit des amerikanischen Volkes“. Menschenrechtsorganisationen hingegen warnten vor einem gefährlichen Präzedenzfall. Amnesty International erklärte, das Urteil legitimiere die Praxis, schutzsuchende Menschen in instabile Regionen ohne jede Rückkehroption zu verbringen – ein Bruch internationaler Konventionen. Das Berufungsverfahren im First Circuit Court of Appeals ist durch das Supreme-Court-Votum de facto ausgesetzt. Der Fall bleibt juristisch offen, politisch jedoch hat er ein verheerendes Signal gesendet: Die Vereinigten Staaten unter Trump ignorieren nicht nur das Völkerrecht, sondern nun auch die innerstaatlichen Hürden, die bislang wenigstens formal bestanden. Der Supreme Court hat mit dieser Entscheidung den Weg frei gemacht für eine Politik der Abschiebung um jeden Preis – selbst wenn dieser Preis Leben kostet.

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