Ein Treffen ohne Protokoll – und: Die Banalität des Schreckens – Wie ein Schulhofstreit den Epstein-Skandal entfachte

VonRainer Hofmann

Juli 18, 2025

Es gibt Begegnungen, die ein Leben verändern – und solche, die eine Weltordnung erschüttern, und warum niemand genauer hinschaute. Das Treffen zwischen Leslie H. Wexner, dem diskreten König des amerikanischen Einzelhandels, und Jeffrey Epstein, einem ehemaligen Lehrer und späteren Finanzberater mit ungewöhnlichem Zugang zu Vermögen, gehört zur zweiten Kategorie. Doch so folgenschwer ihre Allianz war, so wenig ist über ihren Anfang bekannt. Kein Vertrag, kein Protokoll, kein öffentlicher Moment – nur ein Schatten, der seither nicht mehr weichen will. Offiziell soll es Mitte der 1980er Jahre geschehen sein. Die Angaben variieren: Mal ist von 1986 die Rede, mal von 1987. Epstein, der zuvor als Lehrer an der Dalton School, er wurde dort ohne College-Abschluss eingestellt und dann kurzzeitig bei Bear Stearns gearbeitet hatte, sei über einen „gemeinsamen Bekannten“ an Wexner herangetreten – ein unauffälliger Satz, der in keinem Artikel weiter aufgeschlüsselt wird. Genannt werden Namen wie Robert Morosky oder Robert Meister, doch keine der vermittelnden Personen hat je öffentlich erklärt, warum ausgerechnet Epstein als „Berater“ ins Vertrauen gezogen wurde. Weder hatte er eine Lizenz als Vermögensverwalter noch nennenswerte Erfahrung im Finanzwesen. Was er hatte, war ein Talent: Menschen glauben zu machen, sie bräuchten ihn.

Epstein war zunächst Mathematiklehrer an der renommierten Dalton School in Manhattan. Er wurde dort ohne College-Abschluss eingestellt – auf Empfehlung des damaligen Schuldirektors Donald Barr, Vater von William Barr, Trumps späterem Justizminister. Ein Schüler-Vater bei Dalton, ein hochrangiger Manager bei Bear Stearns, war von Epstein beeindruckt und empfahl ihn für eine Stelle bei der Investmentbank. Dort begann Epstein als Junior Assistant im Bereich der Optionen, stieg schnell auf und wurde 1980 zum Limited Partner ernannt – obwohl er keine offizielle Lizenz als Broker oder Finanzanalyst hatte. Nach seinem Ausscheiden gründete Epstein Anfang der 1980er Jahre eine eigene Finanzfirma: zunächst J. Epstein & Co., später Financial Trust Co. mit Sitz auf den Virgin Islands. Seine Kundschaft war angeblich extrem exklusiv – es hieß, er verwalte nur das Vermögen von Milliardären.

Was dann geschah, entzieht sich jeder üblichen Logik. Innerhalb weniger Jahre avancierte Epstein vom unbekannten Ex-Lehrer zum faktischen Schatzmeister von Wexners Imperium. Er verwaltete nicht nur große Teile des Vermögens des Limited-Gründers – er erhielt auch Zugriff auf dessen Stiftungen, Immobilien, Firmenanteile. 1991 war Epstein plötzlich Miteigentümer von Southern Trust und VSD, 1996 übertrug ihm Wexner sogar das größte Stadthaus New Yorks in der East 71st Street – ein Geschenk, offiziell. Der Kaufpreis: null Dollar. Die Begründung: nie wirklich gegeben. Wexner war dabei kein gewöhnlicher Unternehmer. Er war der Mann hinter einem der größten Mode- und Einzelhandelsimperien Amerikas. Mit seiner Firma The Limited Inc. – später umbenannt in L Brands – kontrollierte er über Jahrzehnte hinweg Marken wie Victoria’s Secret, Abercrombie & Fitch, Bath & Body Works, Express und Henri Bendel. Seine Entscheidungen bestimmten Trends, Körperbilder und Milliardenumsätze. Victoria’s Secret allein prägte ganze Generationen von Frauen und war eine globale Projektionsfläche für Schönheit, Erotik und Konsum. Hinzu kamen Immobilienbesitz in Milliardenhöhe, insbesondere in Ohio und New York, sowie der Aufbau von New Albany, einer durchgeplanten Kleinstadt vor den Toren von Columbus – samt Polizei, Schulen, Golfclub und Stiftung, die bis ins politische Establishment reicht. Wexners Einfluss reichte bis nach Harvard, wo seine Stiftung großzügig Programme finanzierte, und in strategische Sicherheitskreise, etwa über das Wexner Israel Fellowship Program, das künftige Führungskräfte Israels ausbildete – in enger Kooperation mit israelischen Regierungsstellen. Wer Zugang zu Wexner hatte, hatte Zugang zu einem exklusiven Zirkel von Macht, Geld, Einfluss. Und ausgerechnet Epstein gehörte plötzlich zu diesem Zirkel. Nicht nur als Verwalter, sondern als verlängerter Arm – einer, der unterschrieb, entschied, vertrat. Als Wexner sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückzog, wurde Epstein zur inoffiziellen Schnittstelle zwischen dem Reichtum seines Mentors und der Welt, die ihn begehren sollte. Model-Castings, Jet-Set-Verbindungen, Harvard-Spenden – alles lief über Epstein. Er war der Mann, der sich elegant zwischen Mäzenatentum und Manipulation bewegte, zwischen Glamour und Grauzone. Und niemand schien es zu hinterfragen.

Warum aber ließ Wexner das zu? Warum band er sein Lebenswerk an einen Mann, über den praktisch nichts bekannt war? Eine einfache Antwort gibt es nicht – nur Hypothesen, die sich durch Lücken, Ungereimtheiten und Widersprüche hindurchschlängeln. Vielleicht war es Charme. Vielleicht Nützlichkeit. Vielleicht ein blinder Fleck. Vielleicht aber auch ein Pakt. Doch all das erklärt noch nicht, warum Epstein Jahre später überhaupt aufflog – und warum das Schweigen plötzlich brach. Für diesen Moment muss man an einen ganz anderen Ort zurückkehren. Nicht in die Welt der Millionäre und Privatjets. Sondern in eine Highschool-Turnhalle in Florida. Manchmal begann das Unvorstellbare mit etwas scheinbar Belanglosem. Kein geheimes Netzwerk, kein globales Komplott – sondern eine banale Szene: Zwei Mädchen, vierzehn Jahre alt, stritten sich im Februar 2005 in der Turnhalle der Royal Palm Beach High School. Eine Freundschaft zerbrach, Worte flogen, Tränen auch. Doch was niemand ahnte: Dieses Teenager-Drama setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, die die Vereinigten Staaten bis in ihre Grundfesten erschüttern sollte. Die eine, tief verletzt, vertraute sich zuhause ihren Eltern an und berichtete von dem, was die andere ihr einst anvertraut hatte. Ein älterer Mann. Geschenke. Massagen. Ein Haus in Palm Beach. Der Vater hörte zu – und meldete den Vorfall der Polizei. Was folgte, war keine heldenhafte Ermittlung, sondern ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie Institutionen versagten, wenn der Täter reich, mächtig und gut vernetzt war.

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Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Alleine schon der Anfang … Mathelehrer ohne Collegeabschluss lässt mir die Haare zu Berge stehen.

Und es zeigt deutlich, kenne die Reichen und Mächtigen und habe etwas gegen sie in der Hand (anders kann ich es mir nicht erklären) und Du kannst fast alles machen, was Du willst.

Das Epstein überhaupt gefallen ist grenzt fast an ein Wunder.
Ein Wunder, dass Moral und Gesetz über Geld standen.

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