Der Befehl, der alles verändert – „Alle töten“

VonRainer Hofmann

Dezember 3, 2025

Donald Trump und sein Verteidigungsminister Pete Hegseth präsentierten den Angriff vom 2. September damals als Beweis dafür, dass ihre Regierung entschlossen gegen die Gewalt in der Region vorging. Ein Boot, elf Tote, ein schneller Erfolg – so sollte es aussehen. Doch je mehr Einzelheiten ans Licht kamen, desto klarer zeigte sich: Dieser Einsatz war kein sauberer Schlag gegen ein Kartell, sondern der Auftakt zu einer Operation, deren rechtliche und moralische Grundlagen brüchiger sind, als die Regierung wahrhaben will. Trump verbreitete das Video des Einschlags zuerst selbst und behauptete, man habe „klar identifizierte Terroristen“ getroffen. Beweise dafür legte er nicht vor. Der Verdacht, das Boot habe Verbindungen zu Nicolás Maduro, blieb unbelegt. Die Bilder, die veröffentlicht wurden, zeigten nur eine Explosion, keine Drogen, keine Strukturen eines Kartells, keine Namen. Trotzdem sprach der Präsident von „massiven Mengen“ an Schmuggelware, als würde allein seine Behauptung ausreichen, Zweifel beiseite zu schieben.

Hegseth verstärkte diesen Ton. In Interviews erklärte er, man habe „genau gewusst, wer in diesem Boot war“. Er beteuerte, den Angriff live gesehen zu haben, und stellte die Operation als Muster einer neuen Strategie dar. In wenigen Wochen folgten zwanzig weitere Schläge, 83 Menschen starben. Die Regierung präsentierte diese Zahlen wie eine Bilanz, nicht wie das Ende von Leben, deren Identität sie nicht einmal offenlegen wollte. Erstmals wurde dann bekannt dass zwei Männer den ersten Einschlag überlebt hatten. Und dass ein Admiral den zweiten Schlag befohlen habe, um einem Satz zu folgen, den der Verteidigungsminister zuvor ausgesprochen haben soll: „alle töten“. Zwei Worte, die in einem militärischen Kontext schwerer wiegen als jede politische Floskel. Zwei Worte, die eine Grenze markieren, bei der selbst langjährige Experten von Mord sprechen. Gleichzeitig konnten wir recherchieren, dass das Pentagon schon früh wusste, dass nach dem ersten Schlag Überlebende im Wasser waren – und dennoch einen weiteren Angriff ausführen ließ, um das Boot vollständig zu versenken.

Wenige Tage später bestätigte sich, dass die beiden Überlebenden tatsächlich bei einem zweiten Angriff starben. Wer die Verantwortung trägt, ist seither Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Der Kongress reagierte ungewöhnlich geschlossen. Ausschussvorsitzende beider Parteien kündigten Untersuchungen an – ein Zeichen dafür, dass der Verdacht nicht mehr nur politisches Rauschen ist, sondern ein Verdacht, der die Regierung in ihren Grundfesten trifft.

Hegseth weist alles zurück. In seinen öffentlichen Erklärungen spricht er von legalen Einsätzen und vom „Nebel des Krieges“. Er sagt, er habe keine Überlebenden gesehen. Dass er wenig später zugibt, die Operation nicht vollständig verfolgt zu haben, macht die Sache nicht besser. Trump wiederum beteuert, er habe von Details nichts gewusst, und erklärt, er glaube seinem Minister. Gleichzeitig sagt er, er hätte keinen zweiten Schlag gewollt. Diese beiden Aussagen stehen nebeneinander wie zwei widersprüchliche Versionen einer Geschichte, deren Wahrheit längst nicht mehr von der Regierung kontrolliert werden kann. Währenddessen wächst der Druck. Senatoren sprechen offen von einem möglichen Kriegsverbrechen. Juristen weisen darauf hin, dass es keinen bewaffneten Konflikt gibt, der einen solchen Befehl rechtfertigen könnte. Selbst wenn es einen gäbe, wäre das gezielte Töten Wehrloser eine Grenzüberschreitung, die in jedem Rechtsrahmen verboten ist. Einige werfen dem Pentagon vor, den Kongress mit Ausreden abgespeist zu haben, etwa der Behauptung, man habe das Wrack versenken müssen, um die Schifffahrt zu schützen. Niemand nimmt diese Erklärung ernst.

Am Ende steht ein Bild, das sich nicht mehr glattziehen lässt: ein Verteidigungsminister, der von sich behauptet, den Überblick zu haben, und gleichzeitig zugibt, nicht zu wissen, was nach dem ersten Einschlag wirklich geschah. Eine Regierung, die mit martialischen Worten Stärke demonstriert, während ein Video, das sie nicht veröffentlicht, Fragen aufwirft, die sie nicht beantworten will. Und ein Einsatz, der als politischer Triumph geplant war und nun die Frage eröffnet, ob die USA Menschen getötet haben, die bereits hilflos im Wasser trieben. Es ist ein Moment, der größer ist als eine einzelne Operation. Er zeigt, wie dünn die Linie ist, die eine Regierung von der Willkür trennt. Und er zeigt, wie gefährlich es wird, wenn ein Minister glaubt, Härte ersetze Verantwortung.

Updates – Kaizen Kurznachrichten

Alle aktuellen ausgesuchten Tagesmeldungen findet ihr in den Kaizen Kurznachrichten.

Zu den Kaizen Kurznachrichten In English
Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
0 Comments
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x