200 Signale im Schatten – Wie die Ortung von Mobiltelefonen auf Epstein Island eine verstörende Wahrheit andeutet

VonRainer Hofmann

Juli 19, 2025

Es ist eine jener Enthüllungen, die sich nicht mit einem Skandal zufrieden geben. Sie öffnen ein Fenster in eine Parallelwelt – leise, präzise, unausweichlich. Fast 200 Mobiltelefone wurden auf Little St. James geortet, Jeffrey Epsteins berüchtigter Privatinsel in der Karibik, lange nachdem der Finanzier offiziell als verurteilter Sexualstraftäter galt. Die Spuren stammen nicht aus FBI-Akten oder offiziellen Ermittlungen, sondern aus den Tiefen kommerzieller Datenströme. Es ist ein digitales Echo, das zurückweist auf Menschen, Bewegungen und Machtverhältnisse – und dabei die Frage stellt: Wer war wirklich dort, und, sind erschütternd präzise: Sie zeigen nicht nur, wann und wie sich Personen auf der Insel bewegten – von Epsteins Dock über sein umstrittenes Tempelgebäude bis zu den Cabana-Häusern am Strand –, sondern auch, wohin sie nach ihrer Abreise flogen oder zurückkehrten. Mehr als 166 Wohn- und Arbeitsorte in den USA konnten rekonstruiert werden – von Gated Communities in Michigan über Nachtclubs in Miami bis zu Straßenabschnitten gegenüber dem Trump Tower in Manhattan. Die Reiserouten beginnen oft am Ritz-Carlton auf St. Thomas, führen per Boot zur Insel, verweilen kurz – und verlieren sich dann wieder im Nebel der Anonymität. Doch diese Daten sind mehr als nur technische Artefakte. Sie sind Teil eines Machtkartells aus Geld, Geheimhaltung und Missbrauch. Die meisten der registrierten Geräte waren nur für wenige Stunden auf der Insel aktiv. Einige kehrten nie wieder zurück, andere tauchten später an Orten auf, die in Epsteins Netzwerk immer wieder genannt wurden: Palm Beach, New York, Washington. Und obwohl kein einziger Name in den Daten genannt wird, lassen sich durch Abgleich mit bekannten Fluglisten, Gästebüchern und Gerichtsakten auffällige Muster erkennen – darunter Reisen prominenter Persönlichkeiten, deren Kontakte zu Epstein bislang als marginal abgetan wurden. Die Brisanz liegt nicht nur in der schieren Menge der Bewegungsdaten, sondern in ihrer historischen Tragweite. Während Epstein 2008 bereits verurteilt war – unter einem fragwürdigen Deal, der ihm eine Haftzeit von nur 13 Monaten in einem Privatflügel eines Gefängnisses gewährte – reißt der Besucherstrom zu seiner Insel nicht ab. Noch in den Jahren 2016 bis 2019 zeigen die Daten ein reges Treiben; und am 6. Juli 2019 wurden die letzten Signale aufgefangen, kurz vor der Verhaftung von Epstein. Die digitale Kartografie offenbarte nicht nur die logistische Infrastruktur eines mutmaßlichen Missbrauchsrings, sondern auch die Lücken in einem Rechtssystem, das sich gegenüber Reichtum und Einfluss als bemerkenswert desinteressiert erwies.

Die Firma Near Intelligence, mittlerweile umfirmiert in Azira, hat die Daten offenkundig nicht im Auftrag der Strafverfolgung gesammelt, sondern als Nebenprodukt der globalen Überwachungsökonomie. Die US-Datenschutzgesetze erlauben diese Form der Ortung, solange sie nicht ausdrücklich durch Schutzkategorien wie Kliniken oder religiöse Einrichtungen eingeschränkt wird. Dass Epsteins Insel offenbar nicht zu diesen Schutzräumen zählt, sagt mehr über das System als über die Technik. Die Geschichte dieser Daten endet nicht mit der Insolvenz des Unternehmens. In internen Berichten finden sich Hinweise auf Verträge mit dem Pentagon, auf dubiose Werbepartner, auf die gezielte Überwachung von Abtreibungskliniken im Auftrag konservativer Gruppen. Und sie endet nicht mit Little St. James: Auch Epsteins Anwesen in Palm Beach, sein Anwesen in New Mexico und der Yacht-Hafen auf St. Thomas, über den viele Transfers abgewickelt wurden, tauchen in den Koordinaten auf. Eine geheime Infrastruktur – jetzt offengelegt durch die Spuren, die niemand zu löschen vermochte. Es ist ein Blick in die Doppelmoral eines digitalen Zeitalters, in dem Privatsphäre käuflich und Gerechtigkeit optional ist. Der vielleicht beunruhigendste Aspekt: Die gleiche Technologie, die über Jahre zum Schutz von Werbekampagnen diente, hätte auch zum Schutz potenzieller Opfer eingesetzt werden können – wurde es aber nicht. Und so bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Nicht das System hat versagt. Es hat genau so funktioniert, wie es entworfen wurde – nur eben nicht für alle.

Es ist kein Beweis im juristischen Sinne, was diese Karten und Koordinaten zeigen. Aber sie sind ein Beweis dafür, dass Spuren bleiben – auch wenn das System sie nicht sehen will. Vielleicht war das der Anfang eines Journalismus, der sich nicht mit dem zufrieden gibt, was gesagt wird. Sondern der fragt, wo jemand war. Und was er dort getan hat. Und während die Welt sich abwendet, beginnt ein anderer Prozess: der Umbau. Im Mai 2023 kaufte der US-Investor Stephen Deckoff (SD Investments) sowohl Little St. James als auch die benachbarte Insel Great St. James für 60 Millionen Dollar – das Geld floss an Epsteins Nachlassverwaltung. Ab 2024 starteten großflächige Bauarbeiten, 2025 soll ein exklusives, 25-Zimmer-Luxusresort eröffnen. Das ehemalige Symbol sexueller Ausbeutung wird neu verpackt: neue Wege, weiße Fassaden, moderne Architektur. Ab 2026 will man zahlungskräftige Gäste empfangen – mit Helipad, Villen, Poolanlagen. Der neue Name der Insel ist noch unbekannt. Die Geschichte, die sie erzählt, wurde längst umgeschrieben.

Fortsetzung folgt …

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Ela Gatto
Ela Gatto
5 Monate zuvor

Das ist ein interessanter Bericht.

Diese Daten dürften Trumps Rechte Basis und die Verschwörungstheoretiker beteuert weiter auf die Offenlegung aller Dokumente zu drängen.

Ist eigentlich bekannt, wer dieser Käufer der Insel ist?
Zu „welchem Dunstkreis“ er gehört?

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