Die Schatten der Lüge – Pam Bondi, Epstein und das Versprechen vom Entsetzen

VonRainer Hofmann

Juli 1, 2025

Washington, Sommer 2025. Die Welt hat sich an viele Zumutungen gewöhnt. Doch manchmal gibt es Sätze, die aus dem Nichts auftauchen und sich in das öffentliche Bewusstsein graben wie ein Kratzer auf Glas. Einer dieser Sätze fiel vor wenigen Tagen im Weißen Haus. Pam Bondi, Justizministerin unter Donald Trump, sprach in den Mikrofonen der Hauptstadt von „zehntausenden Videos“ – angeblich aufgenommen von Jeffrey Epstein, angeblich mit Kindern, angeblich mit Material, das so abgründig sei, dass es das FBI zwinge, jede einzelne Aufnahme durchzugehen. Ihre Worte fielen beiläufig, fast nebenher, als wären sie nicht das, was sie sind: ein Sprengsatz im Keller eines Systems, das längst keinen Anspruch mehr erhebt, glaubwürdig zu sein. Bondi hatte bereits in der Vergangenheit behauptet, sie sitze auf einer Epstein-„Kundenliste“. Tags darauf verteilte das Justizministerium dann Akten an ausgewählte rechte Influencer – doch was in den Ordnern lag, war alt, belanglos, leer. Kein Name, kein Skandal, keine Wahrheit. Bondi verstummte nicht, sondern verdoppelte ihre Behauptung. In einem Restaurant, vor versteckter Kamera, sprach sie von „Tausenden von Videos mit kleinen Kindern“. Und als man sie zur Rede stellte, wiederholte sie ihre Worte auf offener Bühne. Die Welt hielt kurz den Atem an – und dann passierte wieder: nichts.

Nichts, das sich belegen ließe. Nichts, das ein Gericht gesehen hätte, keine Anklage, kein Indiz. Anwälte, die Epstein und Ghislaine Maxwell verteidigt hatten, reagierten fassungslos. Nicht, weil sie von der Schuld des Milliardärs nicht überzeugt wären – sondern weil diese angeblichen Beweise nie aufgetaucht sind. Nicht in den Verfahren, nicht in den Ermittlungsakten, nicht in den Zivilklagen. Wenn Bondi von einer Videoflut spricht, spricht sie von etwas, das bislang nur in ihrem Kopf existiert – oder in den Erwartungen eines Trump-Lagers, das sich seit Jahren an die Hoffnung klammert, der „tiefe Staat“ könne irgendwann zur Strecke gebracht werden, mit einem Knall, der alles hinwegfegt. Doch der Knall bleibt aus. Stattdessen: Schweigen. Das Justizministerium verweigert Antworten. Das FBI wiegelt ab. Und sogar Kash Patel, einst einer der treuesten Vasallen Trumps, nun Direktor der Bundespolizei, zuckt in einem Interview mit Joe Rogan nur die Schultern. Wenn es solche Videos gäbe, sagt er, „dann hätten Sie sie wohl längst gesehen“. Es ist kein Dementi. Es ist ein Sarkasmus. Der Fall Epstein war nie nur ein Fall. Er war immer auch Projektionsfläche, Schockraum, Schwarzweissbühne. Die Vorstellung, dass in seinen Villen Kameras liefen, dass dort Mächtige beim Verbrechen gefilmt wurden, gehört zur Grundausstattung jeder Verschwörungserzählung. Und doch: Die Beweise fehlen. Immer wieder tauchten Hinweise auf Überwachungssysteme auf, auf verschwundene Festplatten, auf Fotos nackter Mädchen, die in Wandsafes gefunden wurden. Doch keine dieser Spuren führte zu dem, was Bondi behauptet: einem systematisch geführten Videoarchiv des Grauens.

Stattdessen gibt es eine Fußnote in einem Zivilverfahren von 2023. Darin heißt es, Epsteins Nachlass habe „eine unbekannte Anzahl von Aufnahmen“ gefunden, die „möglicherweise Material mit sexuellem Missbrauch an Kindern“ enthalten könnten. Was genau gefunden wurde – unklar. Wie viele Aufnahmen – unbekannt. Ob es überhaupt strafrechtlich relevant ist – niemand weiß es. Ein Schutzbeschluss verbietet den beteiligten Anwälten, darüber zu sprechen. Was bleibt, ist ein Schatten. Und Bondis Stimme, die aus dem Schatten ein Flutlicht machen will. Die politische Wirkung war verheerend. Trumps eigene Anhänger reagierten enttäuscht, empört, verraten. Man hatte ihnen das große Finale versprochen – und geliefert wurde ein leerer Aktenschrank. Rechte Medien rebellierten, der Druck auf Bondi wuchs. Doch statt abzutreten, setzt sie auf Eskalation. Sie spricht nun von „tausenden Stunden Material“, das das FBI angeblich prüfe. Kein konkreter Zeitpunkt für die Veröffentlichung, keine Details, keine Namen. Nur der immergleiche Ton: Dräuen statt Aufklären, Drohung statt Beweis. Und so beginnt das Spiel von vorn. Eine neue Welle von Vermutungen, Andeutungen, Verschwörungen. Ein neuer Zyklus von Erwartungen und Enttäuschungen. Und in der Mitte eine Justizministerin, die sich immer weiter von der Sprache des Rechts entfernt – und sich stattdessen einer Sprache bedient, die nichts mehr beweisen muss, weil sie längst alles unterstellt. Es bleibt das bittere Gefühl, dass in diesem Amerika nicht nur Akten verloren gegangen sind, sondern Wahrheit selbst. Vielleicht hat diese auch einen Namen. Dass das Versprechen auf Aufklärung zur Waffe geworden ist. Und dass jene, die angeblich Licht in die Finsternis bringen wollen, sie in Wahrheit noch dunkler machen. Doch sind einige Journalisten an diesem Fall, die sich nicht verschrecken lassen und nicht von dem Gebell der Trump-Regierung einschüchtern lassen. Also Bondi, man sieht sich.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Älteste
Neueste Meist bewertet
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
0
Über ein Kommentar würden wir uns freuen.x