Amerikas bleierner Atem – Wie Trump, ICE und die stille Gewalt den Globus erschüttern

VonRainer Hofmann

Juni 13, 2025

Es geschah am hellichten Tag, auf dem 3700er-Block des Whittier Boulevards in Los Angeles. Eine weiße Limousine biegt langsam in die Straße ein, zwei Kinder auf der Rückbank, eine Frau auf dem Beifahrersitz. Sekunden später rammt ein hellblauer Van das Fahrzeug von vorn, ein weiteres Auto blockiert den Weg nach hinten. Türen fliegen auf, Männer mit gezogenen Waffen springen heraus, Nebel steigt auf – chemisch, beissend. Der Fahrer hebt die Hände. Er ergibt sich. Doch Zeugen sagen: Er wurde herausgezerrt.

Es ist ein Bild, das sich einbrennt. Nicht nur wegen seiner Brutalität. Sondern weil es in sich trägt, was Amerika unter Donald Trump erneut geworden ist: ein Land, das den Ausnahmezustand nicht ausruft, sondern lebt. Offiziell handelte es sich um einen „gezielten Zugriff“. Die Festnahme eines „gewalttätigen Randalierers“, so das Heimatschutzministerium. Der Mann habe einen CBP-Beamten geschlagen, schrieb Tricia McLaughlin, Sprecherin der Behörde, auf X. Kein Unfall. Keine Überreaktion. Sondern ein „targeted arrest“. Mit Kindern auf der Rückbank. In einer Wohngegend. Los Angeles steht seit Tagen unter Druck. ICE-Razzien, Proteste, Tränengas, Ausgangssperren. Die Straßen wirken wie das Endstadium einer Demokratie auf Zeit. Was hier geschieht, ist kein Einzelfall. Es ist Methode. Die Grenze ist längst überall. Die Uniformen, das Vokabular, die Angst. In San Antonio verschwinden Menschen aus ihren Häusern, in Fresno werden Migranten auf Parkplätzen abgeholt, in Chicago patrouillieren unmarkierte Fahrzeuge ohne Gerichtsbeschluss. Der Rechtsstaat hat Pause.

Donald Trump hat das ICE-Regime zur Speerspitze seiner zweiten Präsidentschaft gemacht. Seine Rhetorik ist martialisch, seine Maßnahmen sind es auch. Abschiebungen ohne Verfahren. Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung. DNA-Tests bei Kindern. Sammelverhaftungen an Bahnhöfen. Und jetzt: gezielte „Rammfestnahmen“ auf offener Straße. Die Botschaft ist klar – und sie reicht über die Vereinigten Staaten hinaus. Denn was in Los Angeles geschieht, bleibt nicht in Los Angeles. Der Geist dieser Politik greift über. Frankreich verwehrt Minderjährigen das Asyl. Großbritannien baut Geflüchtetenlager in Ruanda. Italien lässt Schiffe auf dem Meer kreisen. Deutschland diskutiert über Grenzzäune. Die Rhetorik wandert, und mit ihr die Legitimation zur Gewalt. Wenn die größte Demokratie der Welt Menschen wie Tiere jagt, wie sollen es kleinere anders tun?

Und doch gibt es Widerstand. In den Straßen. In den Herzen. In den Worten. Die Proteste gegen die ICE-Razzien in Kalifornien reißen nicht ab. Anwälte sprechen von Menschenrechtsverletzungen, von Erschütterung durch Einschüchterung. Aktivistinnen erinnern an das Kindeswohl, an die Genfer Konventionen, an das Menschsein. Aber sie stoßen auf eine Regierung, die ihre Gegner nicht als Bürger, sondern als Feinde betrachtet. Was bleibt, ist das Bild eines Vaters, der mit erhobenen Händen vor den Augen seiner Kinder verhaftet wird. Weil ein Staat beschlossen hat, dass jedes Vergehen zur Gefahr erklärt werden kann. Dass jedes Gesicht eine Bedrohung ist. Dass Gewalt keine Entgleisung, sondern ein Instrument ist. Amerikas Atem ist bleiern geworden. Und die Welt hält ihn an. Oder macht mit.

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