Amerikas Absturz in den Aberglauben – 37 Prozent der GOP-Anhänger stellen den Holocaust in Frage – Was eine Umfrage des Manhattan Institute wirklich zeigt

VonRainer Hofmann

Dezember 7, 2025

Die Umfrage stammt nicht von einem linken Kampagnenbüro, sondern vom Manhattan Institute, einem konservativen Thinktank, der der republikanischen Welt normalerweise eher wohlgesonnen ist. Genau das macht die Zahlen so brisant. Abgefragt wurde, was Anhänger der heutigen GOP (Republikaner) von Aussagen halten, die das Institut selbst „häufig als Verschwörungstheorien bezeichnete Ideen“ nennt. Die Befragten sollten sagen, ob sie diese Aussagen für wahr, falsch oder unsicher halten. Aus den Antworten wurde ein „Netto-Zustimmungswert“ berechnet: Zustimmung minus Ablehnung. Was dabei herauskam, ist ein Blick in ein politisches Milieu, das sich Schritt für Schritt von überprüfbaren Tatsachen entfernt.

Beim Ursprung von COVID-19 liegen die Werte weit jenseits der Vorsicht, mit der Fachleute über die Laborfrage sprechen. 65 Prozent der befragten Republikaner sagen, das Virus sei aus einem Labor in China ausgetreten. Nur 27 Prozent halten diese Behauptung für falsch, 8 Prozent wissen es nicht. Das ergibt einen Netto-Zustimmungswert von plus 38 Punkten – ein gewaltiger Ausschlag. Hier geht es nicht mehr um „könnte sein“, hier ist der Laborunfall für eine deutliche Mehrheit schon zur festen Überzeugung geworden, unabhängig davon, wie dünn die Beweislage dafür ist.

Nicht weniger gefährlich ist der Blick auf die Wahl 2020. Laut Manhattan-Institute-Umfrage sind 51 Prozent der GOP-Anhänger überzeugt, die Präsidentschaft sei durch gefälschte Stimmzettel oder gehackte Wahlmaschinen entschieden worden. 40 Prozent widersprechen, 9 Prozent sind unsicher. Netto bleiben plus 11 Punkte. Gerichte, Wahlbehörden, republikanische Wahlleiter in den einzelnen Bundesstaaten – all das scheint gegen die Erzählung vom Betrug kaum noch anzukommen. Die Lüge vom „gestohlenen Sieg“ ist in diesem Lager längst zur Grundüberzeugung geworden. Wer so denkt, akzeptiert Niederlagen nicht mehr als Teil eines demokratischen Prozesses, sondern als Beweis dafür, dass das System angeblich gegen einen arbeitet.

Beim 11. September 2001 verschiebt sich das Bild leicht, bleibt aber verstörend. 41 Prozent der Befragten glauben, die Anschläge seien von weiteren Akteuren getragen worden, möglicherweise unter Duldung oder Mitwirkung der eigenen Regierung. 48 Prozent widersprechen, 11 Prozent wissen es nicht. Das ergibt einen Netto-Wert von minus 7. Rein rechnerisch überwiegt also die Ablehnung – aber nur knapp. Fast die Hälfte hält eine Variante der bekannten „Inside Job“-Thesen für plausibel. Zwei Jahrzehnte Untersuchungen, Kommissionen, Akten – und trotzdem steht dieses Misstrauen einfach im Raum.

Richtig bitter wird es bei den Aussagen zum Holocaust. Die Frage lautete, ob die Ermordung der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus „stark übertrieben“ sei oder nicht so stattgefunden habe, wie Historiker sie beschreiben. 37 Prozent der GOP-Anhänger stimmen dem zu. 56 Prozent halten diese Aussage für falsch, 8 Prozent sind unsicher. Netto landet diese Behauptung bei minus 19 – doch die eigentliche Zahl, die im Hals stecken bleibt, ist die 37. Mehr als ein Drittel eines großen politischen Lagers in den USA glaubt, eines der best dokumentierten Verbrechen der Geschichte sei überzeichnet oder im Kern anders gewesen. Wenn solche Zweifel gesellschaftsfähig werden, ist das kein Randproblem, sondern ein Alarmzeichen.

Auch bei der Mondlandung von 1969 zeigt sich, wie tief das Misstrauen in staatliche Institutionen und Wissenschaft reicht. 36 Prozent der befragten Republikaner glauben, NASA habe die Landung von Apollo 11 gefälscht. 53 Prozent widersprechen, 11 Prozent sind unentschlossen. Netto ergibt das minus 17. Damit ist die Skepsis größer als die Zustimmung – aber ein Drittel der Befragten hält einen der wichtigsten technischen Schritte des 20. Jahrhunderts für eine Inszenierung. Wer die eigenen wissenschaftlichen Erfolge für Täuschung hält, verliert irgendwann die Fähigkeit, neue Erfolge überhaupt noch zu erkennen.

Die letzte abgefragte Behauptung betrifft Kinderimpfungen. 33 Prozent der GOP-Anhänger sind der Meinung, Impfungen in der Kindheit würden Autismus auslösen. 48 Prozent verneinen das, 19 Prozent wissen es nicht. Netto: minus 15. Dass ein Drittel an diesen Zusammenhang glaubt, obwohl die ursprüngliche „Studie“ seit Jahren als Betrug entlarvt ist, zeigt, wie erfolgreich Angstkampagnen gegen die moderne Medizin sind. Hier geht es nicht nur um schiefe Weltbilder, hier geht es um ganz reale Gesundheitsrisiken für Kinder, die ungeschützt bleiben, weil ihre Eltern auf Lügen vertrauen.

Man kann all diese Werte einzeln durchgehen, Zahl für Zahl. Richtig sichtbar werden sie aber erst, wenn man sich klar macht, wer sie erhoben hat. Das Manhattan Institute ist kein linkes Alarminstrument, sondern ein konservativer Thinktank, dem man gewiss nicht nachsagen kann, er wolle die Republikanische Partei gezielt schlecht aussehen lassen. Trotzdem kommt genau dieses Bild heraus: eine Partei, deren Basis in zentralen Fragen mehr Vertrauen in Gerüchte legt als in überprüfte Informationen. Eine Partei, in der bei einigen Themen die Zustimmung zu offensichtlichem Unsinn höher ist als das Vertrauen in belegte Forschung, amtliche Prüfungen oder historische Dokumentation.

Die Umfrage zeigt damit nicht einfach ein paar schräge Meinungen am Rand. Sie zeigt, wie brüchig die gemeinsame Grundlage geworden ist, auf der eine Demokratie Entscheidungen treffen muss. Wenn fast zwei Drittel einer großen Wählergruppe den Ursprung einer Pandemie für geklärt halten, obwohl die Forschung noch ringt, wenn die Hälfte eine verlorene Wahl für gestohlen hält und mehr als ein Drittel beim Holocaust von „Übertreibung“ spricht, dann geht es nicht mehr nur um unterschiedliche politische Positionen. Dann steht die Frage im Raum, ob man überhaupt noch denselben Wirklichkeitsbegriff teilt.

Auch ein anderer Teil der Umfrage lässt aufhorchen, denn er zeigt, wie tief rassistische und antisemitische Einstellungen inzwischen in der republikanischen Basis verankert sind. Fünfzehn Prozent geben offen zu, selbst rassistische Ansichten zu vertreten, weitere zweiundzwanzig Prozent winken ab und erklären, sie hätten genug von „Cancel Culture“ und solche Einstellungen dürften niemandem schaden. Zwölf Prozent wollen die Stimmen dieser Menschen nutzen, solange sie nicht in Führungspositionen rücken, während sechsunddreißig Prozent sagen, dass solche Personen in ihrer Bewegung keinen Platz haben. Beim Antisemitismus sind die Zahlen noch erschreckender: Zwölf Prozent bekennen sich zu entsprechenden Haltungen, neunzehn Prozent möchten sie nicht verurteilen, und nochmals zwölf Prozent halten sie für politisch nützlich. Fast die Hälfte lehnt sie ab, doch der Rest zeigt, dass ein bedeutender Teil der republikanischen Wählerschaft bereit ist, antisemitische Sichtweisen hinzunehmen oder sogar zu integrieren. So entsteht ein Klima, in dem Vorurteile salonfähig werden und politische Bewegungen beginnen, sich von grundlegenden demokratischen Werten zu entfernen.

Dass diese Diagnose ausgerechnet aus einem konservativen Institut kommt, ist der vielleicht deutlichste Hinweis darauf, wo die GOP heute steht. Nicht im Streit um die beste Steuerpolitik, nicht in einer harten, aber ehrlichen Auseinandersetzung um Migration oder Außenpolitik – sondern in einem Milieu, in dem Misstrauen zur Grundhaltung geworden ist und Behauptungen scheinbar wichtiger sind als Belege. Genau das machen diese Balken sichtbar. Und je länger man auf sie schaut, desto klarer wird, dass es hier nicht um eine akademische Debatte geht, sondern um die Frage, wie lange eine Demokratie es sich leisten kann, dass ein großer Teil eines politischen Lagers so weit von der Wirklichkeit abdriftet. Die komplette Umfrage und Analyse finden sie hier: https://manhattan.institute/article/the-new-gop-survey-analysis-of-americans-overall-todays-republican-coalition-and-the-minorities-of-maga?

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