Amerikas neuer Angriff auf Europa – Trumps Strategiepapier ist eine Kriegserklärung für einen ganzen Kontinent

VonRainer Hofmann

Dezember 5, 2025

Donald Trumps Regierung hat ein Papier veröffentlicht, das wie ein politisches Beben über Europa rollt. In nüchternem Amtsdeutsch, aber mit einer ideologischen Wucht, die selten so offen formuliert wurde, erklärt Washington den europäischen Staaten, sie stünden vor dem „schroffen Risiko einer Auslöschung ihrer eigenen Zivilisation“. Dahinter steckt nicht nur eine Diagnose, sondern eine Agenda: Die Vereinigten Staaten wollen nach eigener Darstellung jene Parteien stärken, die Migration begrenzen, Nationalstolz betonen und den gesellschaftlichen Kurs in Europa neu ausrichten. Wer gemeint ist, sagt Washington nicht – doch die Hinweise sind eindeutig: Reform U.K., die AfD, andere rechtspopulistische Kräfte, die seit Jahren gesellschaftliche Konflikte anheizen. In einem 33-seitigen Dokument spricht die US-Regierung davon, Europa sei auf dem Weg, „unkenntlich“ zu werden. Und sie behauptet, einzelne NATO-Staaten könnten „mehrheitlich nicht-europäisch“ werden, wenn nicht schnell gegengesteuert werde.

Trump setzt diesen Ton bewusst. In seinem Vorwort feiert er das Papier als „Wegweiser“, der sicherstellen solle, dass Amerika „die größte und erfolgreichste Nation der Menschheitsgeschichte“ bleibe. Dass ein solcher Anspruch nun unmittelbar mit Forderungen verknüpft wird, europäische politische Systeme umzubauen, macht das Dokument zu einem offenen Eingriff in innere Angelegenheiten. Die Formulierungen erinnern an jene Theorien, die von einem angeblichen Austausch der Bevölkerung sprechen – Ideen, die in Europa seit Jahren von Extremisten gestreut werden und die in den USA nun die Sprache eines amtlichen Strategiepapiers prägen.

Die Botschaft an Europa ist unmissverständlich: Washington hält die EU für ein Gebilde, das Freiheit beschneidet, Opposition niederhält und Menschen mundtot macht. Ausgerechnet eine Regierung, die in den eigenen Reihen politische Gegner diffamiert, Medien anfeindet und Institutionen unter Dauerbeschuss stellt, erklärt Brüssel zum Feind der Freiheit. Im Kapitel „Förderung europäischer Größe“ heißt es, Europa müsse seine „zivilisatorische Selbstsicherheit zurückgewinnen“ und sich von „regulatorischer Erstickung“ lösen. Dahinter steckt eine Sichtweise, die demokratische Verfahren und soziale Sicherungssysteme nicht als politische Entscheidungen respektiert, sondern als Fehler, die korrigiert werden müssten – notfalls mithilfe externer Druckmittel. Das Papier geht sogar so weit zu behaupten, Europa werde in zwanzig Jahren „nicht wiederzuerkennen“ sein, und stellt offen infrage, ob bestimmte europäische Staaten ihren Platz in der Welt überhaupt noch so sehen würden wie jene, die einst die NATO gegründet haben.

Besonders drastisch wird das Strategiepapier dort, wo es Europa die Fähigkeit abspricht, sich selbst zu verteidigen oder politisch zu stabilisieren. Die Autoren schreiben, viele Staaten Europas seien von „instabilen Minderheitsregierungen“ geprägt, die oppositionelle Stimmen unterdrückten, und eine „große Mehrheit“ der Bevölkerung sehne sich nach Frieden, könne diesen aber wegen angeblicher politischer Verwerfungen nicht durchsetzen. Diese Konstruktion – Europa als politisch handlungsunfähiger Kontinent, dessen demokratische Mechanismen angeblich versagen – baut eine Legitimation für genau jene Einflussnahme auf, die das Papier im nächsten Satz fordert: Die USA müssten „Widerstand gegen Europas derzeitige Entwicklung kultivieren“ und europäische Gesellschaften in Richtung eines politisch anderen Europa formen.

Die Spannungen waren ohnehin hoch. Kurz zuvor hatte die EU eine Strafe von 140 Millionen Dollar gegen Elon Musks Unternehmen X verhängt – wegen irreführender Gestaltung seines Verifikationssystems. Noch bevor die Strafe publik wurde, wetterte Vizepräsident JD Vance gegen Brüssel und forderte, man müsse „freie Rede unterstützen, nicht amerikanische Unternehmen wegen Müll bestrafen“. Die Wortwahl passt zu dem, was das Strategiepapier beschreibt: Europa als Gegner, nicht als Partner.

Im Papier folgt anschließend ein Abschnitt, der besonders in Berlin und Paris für Alarm sorgt. Dort heißt es, die Ukraine-Invasion habe „Deutschlands externe Abhängigkeiten perverserweise erhöht“, und deutsche Chemiekonzerne bauten nun „einige der größten Verarbeitungsanlagen der Welt in China, mit russischem Gas, das sie zuhause nicht mehr bekommen“. Die Botschaft ist klar: Europa sei nicht nur unfähig, sich zu verteidigen – es treffe auch wirtschaftliche Entscheidungen, die Washington für gefährlich hält. Zugleich behauptet das Papier, viele europäische Staaten „verdoppelten“ ihren angeblich falschen Kurs und schwächten damit ihre eigenen Armeen. Das ist kein beiläufiger Vorwurf, sondern eine offene Delegitimierung demokratischer Wirtschafts- und Sicherheitspolitik.

Während Europa scharf angegriffen wird, formuliert die US-Regierung für andere Regionen eine erstaunlich sanfte Linie. Im Kapitel über den Nahen Osten heißt es, die USA sollten aufhören, Länder wie Saudi-Arabien zu „belehren“ oder ihnen Reformen aufzuzwingen. Man solle „die Region akzeptieren wie sie ist“ – ein Satz, der mehr über Washingtons Prioritäten verrät als jede diplomatische Formel. Kein Wort über die Ermordung eines Journalisten, deren Billigung der saudische Kronprinz laut CIA gegeben haben soll. Nichts über politische Gefangene, Gewalt gegen Frauen oder den Abbau grundlegender Rechte. Dass dieselbe Regierung Europa belehrt, während sie autoritäre Herrschaftsstrukturen im Nahen Osten als gegeben hinnimmt, zeigt die Schieflage dieses neuen Weltbilds. Der Vergleich ist nicht zufällig: Europäische Staaten werden behandelt wie ungezogene Partner, Golfmonarchien wie souveräne Freunde.

Putin dürfte große Freude an diesem Strategiepapier haben

Auch beim Thema Russland trägt das Dokument eine Handschrift, die in Europa Alarm auslöst. Die US-Regierung spricht abwertend über „europäische Beamte mit unrealistischen Erwartungen im Ukrainekrieg“ und kritisiert Regierungen, die angeblich die Opposition „unterdrücken“. Gleichzeitig fordert das Papier, die USA müssten „die Wahrnehmung beenden und die Realität verhindern, dass die NATO ein ständig expandierendes Bündnis“ sei – ein Satz, der in seiner Struktur kaum vom Wortlaut Wladimir Putins zu unterscheiden ist. Dass im selben Abschnitt von der „Wiederherstellung strategischer Stabilität mit Russland“ gesprochen wird, während Europa gleichzeitig kulturell und politisch als instabil dargestellt wird, verstärkt die Befürchtung, Washington wolle die Partnerschaft mit Europa zugunsten eines neuen Gleichgewichts mit Moskau neu sortieren.

Europaweit wächst die Sorge, Trump wolle nationalistische Bewegungen gezielt aufwerten, um die EU zu schwächen und die transatlantische Ordnung neu zu definieren. Carlo Calenda, ein italienischer Senator aus dem pro-europäischen Lager, sprach offen davon, Trump sei ein „Feind Europas“ und ein „Feind der Demokratie“. Versuche, ihn diplomatisch zu umwerben, seien gescheitert. „Er ist ein Tyrann, und man begegnet einem Tyrannen nicht mit Freundlichkeit.“ Dass das Strategiepapier parallel dazu ein Bekenntnis abgibt, die USA seien „sentimental an Europa gebunden“ – besonders an Großbritannien und Irland – wirkt wie eine hohle Formel: ein freundliches Etikett auf einem Dokument, das Europa systematisch zerlegt. Nur einer applaudiert: Viktor Orbán. Ohne das Strategiepapier direkt zu erwähnen, lobte er in einem Radiointerview die Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur Beendigung des Krieges und kritisierte die EU für ihre Unterstützung der Ukraine. „Starke handeln, Schwache reden“, sagte er. Es ist die rhetorische Linie eines Mannes, der seit Jahren versucht, Europa zu spalten – und der nun Rückenwind aus Washington bekommt.

Das neue US-Strategiepapier ist weit mehr als ein diplomatisches Statement. Es ist ein Angriff auf das politische Selbstverständnis eines ganzen Kontinents. Es stellt Partnerschaften infrage, die über Jahrzehnte Vertrauen aufgebaut haben. Und es versucht, Europa nicht durch Diskussion zu verändern, sondern durch Druck. Die Botschaft lautet: Passt euch an – oder Amerika baut die Bühne für eure Gegner. Wie Europa darauf reagiert, wird darüber entscheiden, ob es sich den Kurs diktieren lässt oder selbstbewusst eine Antwort formuliert, die diesem beispiellosen Eingriff gerecht wird.

Genau davor haben wir immer gewarnt, und es ist einer der Gründe, warum wir viele unserer Recherchen und Informationen aus Amerika nach Europa bringen. In Zeiten wie diesen sind Informationen entscheidend – verlässliche, nicht auf den Markt zugeschnittene. Deshalb sehen wir auch die Situation mit der AfD als gefährlich an: eine Partei, die in einer Regierung sofort an die Seite von Trump und Putin springen würde. Eine Konstellation, die kaum ein anderes Land so hart treffen würde wie Deutschland. Vielleicht verstehen Sie unseren Kampf jetzt ein wenig besser.

Updates – Kaizen Kurznachrichten

Alle aktuellen ausgesuchten Tagesmeldungen findet ihr in den Kaizen Kurznachrichten.

Zu den Kaizen Kurznachrichten In English
Abonnieren
Benachrichtigen bei
guest
2 Comments
Älteste
Neueste Meistbewertet
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Observer
Observer
7 Stunden zuvor

Das ganze läuft offen seit 2016…

Irene Monreal
Irene Monreal
7 Stunden zuvor

Es gibt keinen einzigen Tag, an dem sich die Katastrophe nicht noch vergrößert! Und ich bin heilfroh, dass es derart engagierte Leute wie euch gibt, die unermüdlich über diese, für viele noch viel zu abstrakte Gefahr aufklären!
Immer noch höre ich „was gehen uns die USA an?“ Die USA sind ein überwältigender, weltweiter Brandbeschleuniger und alle rechtsnationalen Bewegungen sind sich im klaren, dass es heißt „Jetzt oder nie“ Jeder einzelne fühlt sich, ermuntert durch die größte Wirtschaftsmacht der Welt, wie Endspielgegner, die nur noch kurz durchhalten müssen, um…, ja, um was zu tun, zu sein, zu haben? Es ist die reine Zerstörungswut der Ungebildeten, Unempathischen, die auf ein paar Figuren setzen, die sie anlügen, sie aufstacheln, missbrauchen und buchstäblich für dumm verkaufen.
Ich vertraue auf uns Europäer, wir Vernünftigen sind mehr – aber ich habe nicht einen Funken Vertrauen in unsere Führung, schon gar nicht in die deutsche. Auch, was die EU anbelangt macht sich Hoffnungslosigkeit breit, aber vielleicht rüttelt dieses unverschämte Pamphlet endlich die richtigen Leute auf.

Zuletzt bearbeitet am 7 Stunden zuvor von Irene Monreal
2
0
Deine Meinung würde uns sehr interessieren. Bitte kommentiere.x