Venezuelas Verteidigungspläne – und was sie über die Angst vor einem Angriff verraten

VonRainer Hofmann

Dezember 2, 2025

Venezuela wirkt in diesen Wochen wie ein Land, das sich innerlich bereits auf den Ernstfall vorbereitet. Hinter verschlossenen Türen, fernab öffentlicher Pressekonferenzen, haben Militärs und Regierungsberater zwei Szenarien entworfen, die nur in einem Fall aktiviert werden sollen: wenn die Vereinigten Staaten militärisch eingreifen. Die Pläne sind nicht offiziell bestätigt, aber sie stammen aus Dokumenten und Aussagen, die sich über mehrere Jahre hinweg wiederholen – und genau deshalb lohnt es, sie ernst zu nehmen.

Recherchen zeigen auf, dass der erste Plan so alt ist wie die Geschichte asymmetrischer Kriege: die Verteilung der Streitkräfte auf unzählige kleinere Einheiten, die im ganzen Land verstreut in vorbereiteten Stellungen sitzen. Mehr als 280 solcher Punkte sollen existieren. Von dort aus wären Sabotageakte, Hinterhalte, Angriffe im Guerilla-Stil möglich – nicht als klassischer Krieg, sondern als Versuch, einen überlegenen Gegner auszubremsen. Die politische Führung weiß, dass sie einem offenen Schlagabtausch kaum gewachsen wäre. Deshalb setzt dieser Teil des Konzepts auf Zermürbung, Überraschung und die schlichte Tatsache, dass ein Land wie Venezuela schwer zu kontrollieren ist, wenn überall kleine, mobile Gruppen aktiv sind.

Venezolanische Militärangehörige trainieren Zivilisten

Der zweite Plan trägt innerhalb der Regierung einen Namen, der keinen Zweifel an seiner Absicht lässt: „Anarchisierung“. Gemeint ist ein Szenario, in dem Geheimdiensteinheiten und regierungsnahe bewaffnete Gruppen aktiviert werden, um gezielt Chaos zu stiften. Brennpunkt wäre Caracas, die Hauptstadt, das politische Zentrum. Das Ziel wäre nicht ein militärischer Sieg, sondern Unregierbarkeit. Ein Land, das im eigenen Inneren brennt, kann nicht ohne Weiteres besetzt oder neu geordnet werden – genau darauf setzt dieses Konzept. Wer den Gegner nicht stoppen kann, soll ihm zumindest jede Kontrolle unmöglich machen. Dass diese Pläne nicht öffentlich bestätigt werden, überrascht nicht. Aber die Hinweise darauf kommen aus verschiedenen Richtungen: ehemalige Offiziere, militärische Berichte, interne Analysen, die über die Jahre immer wieder auftauchen. Auffällig ist, wie stark sie sich ähneln. Und genau das macht die Lage brisant. Wenn ein Land, das seit Jahren mit wirtschaftlicher Not, Materialmangel und Abwanderung kämpft, dennoch an solchen Szenarien arbeitet, sagt das viel über die Angst von Maduro vor einem möglichen Angriff – und über das Vertrauen in die eigene Schlagkraft.

Gleichzeitig bleiben viele Punkte unklar. Die Regierung vermeidet jede Bestätigung. Die genaue Zahl der Stellungen, die operative Fähigkeit der Einheiten, die Rolle bewaffneter Gruppen – all das beruht auf Quellen, die nicht unabhängig geprüft werden können. Dazu kommt der Zustand der Armee: veraltete Ausrüstung, schlecht bezahlte Soldaten, sinkende Moral. Wer sich die Realität im Land anschaut, erkennt schnell, dass der Erfolg solcher Pläne unwahrscheinlich sind. Sie wirken eher wie die letzten Züge eines Systems, das weiß, wie schwach es geworden ist, aber dennoch auf Wehrhaftigkeit setzt.

Und doch zeigt sich in diesen Überlegungen ein politischer Dauerbrenner. Staaten, die sich bedroht fühlen, entwerfen nicht nur militärische Antworten, sondern Szenarien, die den Preis eines Angriffs so hoch wie möglich treiben sollen – ganz egal, wie gering die Aussicht auf einen klassischen Sieg ist. Venezuela spielt damit auf Zeit. Auf Unsicherheit. Auf die Angst vor einem Konflikt, der außer Kontrolle geraten könnte. Ob diese Pläne jemals aktiviert werden, weiß niemand. Aber allein ihre Existenz – gestützt durch wiederholte Berichte aus glaubwürdigen Quellen – zeigt, wie gespannt die Lage inzwischen ist. Ein Land, das sich so gründlich auf den Ausnahmezustand vorbereitet, glaubt nicht mehr an politische Lösungen. Es richtet sich darauf ein, dass das, was heute noch undenkbar wirkt, morgen Realität sein kann. Und genau das macht die Situation gefährlich.

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Ela Gatto
Ela Gatto
4 Stunden zuvor

Sehr interessante Recherche.

Ich verstehe, dass Venezuela sich nicht der Zangskolonialisierung der USA unterwerfen will.

Maduro ist ein Diktator, keine Frage.
Aber eine durch die jetzige US-Regierung gestützte neue venezulanische Regierung würde nichts für die Menschen vetbessetn.
Es ginge nur um den Schutz US-Deals. Kritik nicht gestattet, das Volk uninteressant.

Egal wie man es dreht, das Volk ist und bleibt der Verlierer in dieser ungleichen Auseinandersetzung

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