Einen Block entfernt stehen sie, dicht gedrängt, frierend, mit Papieren in der Hand. Männer, Frauen, Kinder – Migrantinnen und Migranten, die zu routinemäßigen Anhörungen gekommen sind, so wie es das Gesetz verlangt. Doch das Gesetz ist längst zur Falle geworden. Wer hier antritt, riskiert, von ICE-Agenten überfallen, festgenommen, getrennt zu werden – mitten in Manhattan, unter dem kalten Neonlicht eines Staates, der seine Menschlichkeit verloren hat.

Bilder sagen mehr als Worte. Gesichter, die man nicht vergisst. Tränen, die in den Asphalt sickern, bevor jemand sie überhaupt bemerkt. Jedes einzelne Schicksal ist ein Drama. Menschen, die nichts verbrochen haben – außer zu hoffen. Menschen, die in einem Land leben, das von einem faschistischen Präsidenten geführt wird, der Mitgefühl verachtet, Hass predigt und jeden Tag zeigt, dass er Stärke nur in Erniedrigung und Gewalt sieht.
Die Falle von New York City am 26 Federal Plaza an der Ecke Broadway und Franklin, plakatiert – nur einen Block entfernt von jenem Ort, an dem Migrantinnen und Migranten Schlange stehen, um an routinemäßigen Anhörungen teilzunehmen und dabei riskieren, von ICE-Agenten überfallen und von ihren Familien getrennt zu werden.

Während Demonstrierende immer wieder um das 26 Federal Plaza zogen, errichteten Aktivistinnen und Aktivisten für die Rechte von Migranten entlang des Zauns vor dem Gebäude ein provisorisches Mahnmal für die Inhaftierten und Abgeschobenen

Und doch: Inmitten dieser Brutalität gibt es Licht. Überall dort, wo Verzweiflung ist, stehen Menschen, die nicht wegsehen. Menschen, Organisationen und Anwälte – sie alle geben ihr Bestes, jeden Tag. Ganz, ganz viele großartige Menschen, Organisationen und Anwälte versuchen, vielen Menschen zu helfen, so gut sie können. Wir alle geben unser Bestes, vielen Menschen zu helfen. Wir tun, was wir können – mit den Mitteln, die uns bleiben. Es ist ein Kampf gegen die böse Windmühle, ja, aber wir müssen ihn führen. Jeder von uns. Weil man diesen Kampf schon ganz allein seinem eigenen Spiegelbild schuldig ist.

Er war unser grösste Kampf – „Der Kampf hat sich gelohnt – Andry Hernández Romero, das CECOT und das doppelte Exil eines Überlebenden“ unter dem Link: https://kaizen-blog.org/der-kampf-hat-sich-gelohnt-andry-hernandez-romero-das-cecot-und-das-doppelte-exil-eines-ueberlebenden/
Doch während draußen noch gekämpft wird, verwandelt sich drinnen die Justiz selbst in ein Werkzeug der Macht. Es begann mit einem Moment der Stille in einem Gerichtssaal in Concord, Kalifornien. Richterin Kyra Lilien unterbrach die Verhandlung einer Asylsuchenden, öffnete eine E-Mail und sagte nur: „Wir werden heute keine Anhörung haben – ich bin gerade gefeuert worden.“ Der Anwalt des Heimatschutzministeriums hielt es für einen Scherz. Doch Lilien stand auf, packte ihre Sachen und ging. Fast zeitgleich erhielten auch andere Richterinnen dieselbe Nachricht. In Virginia las Anam Petit die Kündigung zwischen zwei Verhandlungen. In Cleveland wurde Tania Nemer direkt aus dem Saal geholt, nachdem sie gerade noch einer Gruppe von Migranten ihre Rechte erklärt hatte. Niemand wusste, warum. Niemand bekam eine Begründung.

Seit Monaten räumt die Trump-Regierung die Einwanderungsgerichte auf – Richterinnen und Richter mit Erfahrung in der Verteidigung von Migranten verschwinden reihenweise. Offiziell spricht das Justizministerium von Routineprüfungen. In Wahrheit trifft es gezielt jene, die zu unabhängig denken. NPR dokumentierte mindestens 70 solcher Entlassungen zwischen Februar und Oktober. Fast die Hälfte der Betroffenen arbeitete zuvor ausschließlich in der Migrantenverteidigung. Genau diese Lebensläufe scheinen nun verdächtig zu sein.

„Keiner von uns hat eine Begründung erhalten“, sagt Lilien. „Aber die Muster sind zu deutlich, um Zufall zu sein.“ Auch Tania Nemer, früher selbst Anwältin für Asylsuchende, glaubt nicht an Bürokratie. „Ich erfülle das Profil“, sagt sie. „Frau, Migrationshintergrund, linke Vergangenheit – und zu menschlich.“
Das Justizministerium weist den Vorwurf zurück. In einer Stellungnahme heißt es, man beurteile Richter nach Leistung, Professionalität und Rechtsbefolgung. Doch in der Praxis trifft es immer wieder jene, die am Ende ihrer zweijährigen Probezeit stehen – in dem Moment also, in dem sie eigentlich unkündbar werden sollten. Die Folgen sind verheerend. Jeder Richter betreut Hunderte, oft Tausende Fälle. Wenn sie plötzlich gehen müssen, bleibt alles liegen. Verfahren, die kurz vor der Entscheidung standen, werden neu angesetzt – teilweise für das Jahr 2029. Menschen, die schon sechs Jahre gewartet haben, bekommen neue Termine, neue Richter, neue Unsicherheit.

Shira Levine, bis September Richterin in New York, erinnert sich an den Moment ihrer Entlassung. „Ich war mitten in einer Anhörung, als die E-Mail kam. Keiner war schockiert, alle wussten: Es war nur eine Frage der Zeit.“ Sie hatte einen Antrag der Regierung abgelehnt, ein Verfahren einzustellen. Wenige Stunden später war sie ihren Job los. Seit dem Sommer patrouillieren ICE-Beamte selbst in den Gängen der Gerichte, während drinnen verhandelt wird. Wer Entscheidungen fällt, die nicht in die politische Agenda passen, wird beobachtet – und oft ersetzt. Am härtesten trifft es die Menschen, deren Leben von diesen Entscheidungen abhängt: Familien, die jahrelang auf ihre Anhörung gewartet haben und nun wieder ganz von vorn beginnen müssen. Ihre Fälle werden an neue Richter übergeben, die schon jetzt völlig überlastet sind.

Unser Artikel: „Die neue Abschiebungsmaschinerie in New York – Trumps zweite Offensive und die Rückkehr der Angst“ unter dem Link: https://kaizen-blog.org/die-neue-abschiebungsmaschinerie-in-new-york-trumps-zweite-offensive-und-die-rueckkehr-der-angst/
Über 125 Richter sind in den letzten zehn Monaten gegangen – durch Kündigung oder Rücktritt. Gleichzeitig werden neue ernannt, meist mit Hintergründen im Militär, beim Department of Homeland Security oder bei ICE. Unabhängige Stimmen werden rar. Der neue Chef der Einwanderungsgerichte, Daren Margolin, war früher Marineoffizier und Regierungsjurist – entlassen wegen eines Waffenvorfalls, später zurückgeholt. Seine erste Amtshandlung: die Ernennung von 25 neuen Richtern, fast alle mit militärischer Vergangenheit. Kein einziger von ihnen hat je Migranten verteidigt.
Dana Leigh Marks, jahrzehntelang selbst Einwanderungsrichterin, nennt es einen Rückschritt um Jahrzehnte. „Der Chef des Anklägers darf nicht gleichzeitig der Chef des Richters sein“, sagt sie. „Aber genau dort sind wir wieder angekommen.“ Was hier geschieht, ist keine Verwaltungsreform, sondern ein Umbau der Justiz im Stillen. Loyalität ersetzt Erfahrung. Schnelligkeit ersetzt Recht. Und während neue, folgsame Richter vereidigt werden, sitzen draußen in den überfüllten Wartesälen Menschen, die seit Jahren nichts anderes wollen als gehört zu werden. Manche werden es nie.

Einen Block entfernt von den Hallen der Macht kämpft Amerika noch um seine Seele. Und solange irgendwo jemand einem anderen die Hand reicht, ist dieser Kampf nicht verloren.
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Beim Lesen spüre ich wie bei mir die Wut auf diese menschenverachtende Trumpmaschinerie hochsteigt, gleichzeitig Traurigkeit und Hilflosigkeit. Mir tun die vielen vielen betroffenen Menschen in den Staaten so leid😢. Trump und seine Vasallen zum 🤮😡😡😡. Ich habe seit Trumps Wiederkehr Gedanken, die ich lieber nicht aufschreibe.😷
..oh, das kennen wir, aber es wird alles gemacht und gegeben, um den menschen zu helfen
Ja Helga, es geht mir gleich betr. Gedanken, die auch ich lieber nicht aufschreibe. Es ist einfach grauenhaft was da abgeht….
…teils unvorstellbar und manche bilder veröffentlichen wir auch nicht, und wir zeigen schon hartes material
Das glaube ich sofort! Das menschliche Vorstellungsvermögen ist unglaublich – wie auch zu welch Handeln Menschen fähig sind.
Krasse Recherche. Danke.
..ja, das war sie, lieben dank
Danke für diese Recherche.
So funktioniert der Umbau in eine Diktatur.
Man ersetze ranghohe Militärs und Richter mit Linientreuen.
Da man den Supreme Court auch in der Tasche hat, ist das noch leichter.
Und die unkündbaren Richter, die nicht linientreu sind, leben jetzt sehr gefährlich
…gerne, wir kennen ja den plaza sehr gut, also von innen – die meisten journalisten gehen nicht rein …, wie will man dann dokumentieren?
Und wir haben uns gewundert, wie das damals im 3. Reich passieren konnte.
Es passiert vor unseren Augen, nicht nur in den USA.
…das stimmt leider und genau deshalb kämpfen wir so, auch wenn wir manchmal denken, das einige den ernst der lage noch nicht wirklich erkannt haben