Moskaus unsichtbare Augen: Wie russische Drohnen Deutschlands Waffenrouten ausspähen, während Kiew brennt

VonRainer Hofmann

August 28, 2025

Die Schatten der Drohnen gleiten lautlos über die verschneiten Felder Thüringens. Unsichtbar für das bloße Auge, aber präsent auf den Radarschirmen deutscher Militärstützpunkte, ziehen sie ihre Kreise über jenen Routen, auf denen Tag für Tag amerikanische und europäische Waffentransporte gen Osten rollen. Es ist ein stiller Krieg der Aufklärung, der sich über deutschem Boden abspielt – während zeitgleich, tausend Kilometer entfernt, russische Raketen auf Kiewer Wohnviertel niedergehen.

Was westliche Geheimdienste und Militärexperten seit Monaten beobachten, liest sich wie das Drehbuch eines Spionagethrillers: Drohnen, die vermutlich im Iran gefertigt und von russischen Agenten gesteuert werden, sammeln systematisch Informationen über die Nachschubrouten der Ukraine-Hilfe. Die Bundeswehr spricht von einem erheblichen Sicherheitsrisiko. Deutsche Geheimdienstler vermuten, dass zumindest ein Teil dieser unbemannten Aufklärer von Schiffen in der Ostsee aus startet – eine maritime Schattenflotte, die ihre tödliche Fracht in den deutschen Luftraum entsendet.

Die große Sabotage-Welle ebbt ab – doch die Gefahr lauert weiter

Seth Jones vom renommierten Center for Strategic and International Studies hat die Zahlen penibel dokumentiert: Zwischen 2022 und 2023 vervierfachte sich die Zahl russischer Sabotageakte in Europa. Im darauffolgenden Jahr verdreifachte sie sich erneut. Lagerhäuser brannten in Großbritannien, ein Staudamm in Norwegen wurde attackiert, Unterseekabel in der Ostsee sollten zerstört werden. Der Kreml hatte seinen hybriden Krieg nach Westeuropa getragen. Doch dann kam die überraschende Wende: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres registrierte Jones nur noch vier Fälle, die eindeutig als russische Sabotageakte einzustufen waren. General Alexus G. Grynkewich, Chef des US European Command, führt diesen Rückgang auf die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit und die robusten Bemühungen europäischer Strafverfolgungsbehörden zurück. Die transatlantische Geheimdienstzusammenarbeit, die unter der Biden-Administration intensiviert und unter Trump fortgesetzt wurde, zeigte Wirkung.

Ein besonders spektakulärer Erfolg gelang den Behörden im Mai: Nach einem Tipp amerikanischer Geheimdienste nahmen deutsche Ermittler drei Ukrainer fest, die in eine russisch orchestrierte Verschwörung verwickelt gewesen sein sollen. Der perfide Plan: Spreng- oder Brandvorrichtungen sollten auf Frachtflugzeuge geschmuggelt werden. Die Pakete trugen Adressen in der Ukraine, doch die wahre Absicht bleibt im Nebel der Geheimdienstarbeit verborgen – sollten sie ihre tödliche Fracht bereits über deutschem Boden entladen oder erst am Zielort? Jones sieht in der momentanen Ruhe vor allem taktisches Kalkül: „Die Lage ist für die Russen schwieriger geworden. Aber es ist nicht unvernünftig anzunehmen, dass die Russen jetzt vorsichtiger agieren, während Verhandlungen laufen.“ Die Drohnenflüge über Thüringen seien „klassische Spionage“ – Moskau kartografiere systematisch, welche Firmen Waffen produzieren, welche Routen die Transporte nehmen, wann welche Lieferungen die ukrainische Front erreichen. Ein Informationsschatz, der jederzeit aktiviert werden könnte: „Wenn die Russen irgendwann aggressiver vorgehen wollen, wissen sie, welche Firmen exportieren und welche Routen genutzt werden. Das wäre nützlich für Sabotage- oder Unterwanderungsoperationen.“

Kiews blutigster Tag seit Alaska – wenn Diplomatie auf Raketen trifft

Als Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag vor die Presse trat, wischte er die Berichte über russische Drohnen in Deutschland mit einem müden Lächeln beiseite: „Es ist schwer, sich das vorzustellen. Die Deutschen würden es klar sehen und kaum dazu schweigen. Es klingt nach einer weiteren Zeitungsente.“ Zeitgleich – die grausame Ironie der Geschichte – schlugen in Kiew die ersten von 31 Raketen ein.

US- und deutsche Beamte erklären, dies könnte Sabotage unterstützen oder Russland Gefechtsfeld-Informationen liefern. Berlin plant, das Gesetz zu ändern, um dem Militär nach wiederholten Sichtungen in Ramstein und Bayern das Abschießen von Drohnen in der Nähe von Stützpunkten zu erlauben. Deutschland räumt ein, dass Störsender und Gegenmaßnahmen die Flüge nicht gestoppt haben – ein Hinweis auf Lücken in der Luftverteidigung.

Es war der 13. Tag nach dem vielbeachteten Gipfel zwischen Trump und Putin in Alaska, und Moskau sendete seine Botschaft in der einzigen Sprache, die es wirklich beherrscht: rohe Gewalt. 598 Drohnen und 31 Raketen verwandelten Teile der ukrainischen Hauptstadt in ein Inferno. Ein fünfstöckiges Wohnhaus kollabierte wie ein Kartenhaus. Im Einkaufszentrum im Herzen Kiews rissen die Explosionen klaffende Wunden in Beton und Stahl. Die Gebäude der EU-Mission und des British Council – Symbole westlicher Präsenz – wurden von Splittern zerfetzt.

Die ukrainische Luftabwehr kämpfte verzweifelt gegen den metallenen Hagel: 563 Drohnen und 26 Raketen konnten abgeschossen werden, doch was durchkam, reichte für ein Blutbad. 18 Tote, darunter vier Kinder. 45 Verletzte. Mehr als 500 Rettungskräfte kämpften sich durch Trümmer und Flammen, bargen Überlebende aus den Ruinen, sammelten die Leichensäcke zwischen verkohlten Bäumen. Eine 21-jährige Überlebende erzählte mit zitternder Stimme, wie sie mit ihrem Freund in den Keller gerannt war, als das Haus über ihnen zu bersten begann. Ein Nachbar berichtete von seiner Flucht durch brennende Autowracks und beißenden Rauch. In den U-Bahn-Stationen drängten sich Hunderte, die Schutz vor dem Bombardement suchten – Bilder, die an die dunkelsten Tage des Zweiten Weltkriegs erinnern.

Die Diplomatie der Ohnmacht

Präsident Selenskyj fand klare Worte für das, was alle sehen konnten: „Russland entscheidet sich für ballistische Raketen statt für den Verhandlungstisch. Es entscheidet sich dafür, weiter zu töten, statt den Krieg zu beenden. Und das bedeutet, dass Russland immer noch keine Konsequenzen fürchtet.“

Die diplomatische Choreografie, die auf den Angriff folgte, offenbarte die ganze Hilflosigkeit des Westens. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen telefonierte hastig mit Trump und Selenskyj, twitterte von „stählernen Stachelschweinen“ und forderte Putin an den Verhandlungstisch. Der britische Premier Keir Starmer bestellte den russischen Botschafter ein – eine Geste, so wirkungslos wie ein Papierschwert gegen einen Panzer. EU-Botschafterin Katarina Mathernova brachte es auf X bitter auf den Punkt: „Russlands ‚Frieden‘ letzte Nacht: ein massiver Schlag gegen Kiew mit Drohnen und Raketen. Das ist Moskaus wahre Antwort auf Friedensbemühungen.“

Trump selbst, der noch vor dem Alaska-Gipfel einen Waffenstillstand als Vorbedingung für Friedensgespräche gefordert hatte, war nach dem Treffen mit Putin umgeschwenkt. Jetzt sollten Gespräche ohne vorherigen Waffenstillstand beginnen – ein diplomatischer Sieg für den Kreml. „Jedes Gespräch mit ihm ist ein gutes Gespräch“, sagte Trump über Putin, um dann fast hilflos hinzuzufügen: „Und dann, leider, wird eine Bombe auf Kiew geladen, und ich werde sehr wütend.“ Wut ohne Konsequenzen – das ist die Formel westlicher Russland-Politik geworden. Während in New York Selenskyjs Stabschef und Sicherheitsratschef über Sicherheitsgarantien für ein künftiges Friedensabkommen verhandeln, das niemand garantieren kann, gleiten über Thüringen weiter die Drohnen. Sie kartografieren, sie spähen aus, sie sammeln Daten für den Tag, an dem Moskau beschließt, seinen hybriden Krieg wieder zu eskalieren. Die Sabotageakte mögen zurückgegangen sein, doch wie das International Institute for Strategic Studies warnt: Die Bedrohung bleibt, solange Europa keine koordinierte Antwort findet.

Russische Drohnen fliegen über Deutschland, um US- und alliierte Versorgungsrouten in die Ukraine auszuspähen – Konzentriert in Thüringen kartieren russische UAVs die Waffen-Korridore.

Der Krieg hat viele Gesichter. Manchmal trägt er die Maske der Diplomatie, manchmal zeigt er sich in brennenden Lagerhäusern oder zerstörten Unterseekabeln. An diesem Donnerstag zeigte er sein wahres Gesicht in den Trümmern Kiews und in den lautlosen Schatten über deutschem Boden. Es ist ein Krieg, der keine Grenzen kennt – weder geografische noch moralische. Und während der Westen noch über rote Linien debattiert, hat Moskau längst verstanden: In diesem Krieg gibt es keine Linien mehr, nur noch Ziele.

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Anja
Anja
3 Monate zuvor

Warum kann man die Drohnen nicht abschießen, vor allem wenn sie übers Meer kommen ?

Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Ich verstehe nicht, warum hier explizit Deutschland (aber es ist in Europa wohl nicht anders) nicht, rein gar nicht, reagiert.

Muss so eine Drohne erst abstürzen und Jemanden Verletzungen oder gar töten?
Und dann heißt es, wie in Polen, das war ein einmaliger technischer defekt.

Warum schließe man sich nicht zusammen und schießt die Drohnen ab?
Schon wenn sie über dem Meer in europäischen Luftraum eindringen.
Oder sofort bei Grenzübertritt an Land.

Wir haben das Recht dazu unsere Grenzen zu schützen.
Wenn eine russische Drohne die Grenze überfliegt, Pech gehabt. Wird sie abgeschossen.

Schlimm genug, dass wir nur hilflos mit Abfangjägern reagieren, wenn russische Flugzeuge zum x. Mal in Nato Luftraum eindringen.

Russland wäre nicht zimperlich und würde sie sehr schnell abschießen.

Putin kennt keine Diplomatie.
Ob ein Land den russische Botschafter eingestellt oder eine weitere lasche Sanktion verhängt wird…. das geht Putin am Allerwertesten vorbei.

Seit Jahren.
Warum begreift das Keiner?

Carola Richter
Carola Richter
3 Monate zuvor
Antwort auf  Ela Gatto

Deutschland hat seit 2012 keine Luftabwehr und ist armmeetechnisch blank. Die haben mit Mühe eine Einheit nach Litauen geschickt. Die Amis werden keine Drohne abschießen und solange keine Drohne Deutschland angreift, wird auch aus der NATO niemand schiessen. Unser BND hat keine eigenen Satelitten und ist wie die Ukraine auf amerikanische Satelitten für den Nachrichtendienst angewiesen. Deshalb hat Deutschland Angst und Putin lacht sich schlapp.

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