„Wo Worte fehlen – das neue Gesicht der Unmenschlichkeit“

VonRainer Hofmann

Mai 30, 2025

Ein Artikel über das vierjährige Mädchen, das Trump aus den USA werfen will.

Es gibt Geschichten, bei denen selbst geübte Beobachter innehalten. Fälle, so grausam in ihrer Banalität, dass man fast meint, im falschen Film zu sein. Dieser hier ist einer davon. Und das sagt viel – denn wir haben in den letzten Monaten vieles gesehen: wir haben uns durch Gerichtsakten gewühlt, Deportationsflüge nach El Salvador verfolgt, Kinderheime in Guatemala dokumentiert, Dossiers über ICE-Razzien gelesen, in denen kein Richter mehr zu helfen wagte. Doch dieser Fall – dieser vierjährige Körper mit schwarzem Rucksack, lebendig nur durch eine Nährlösung – steht am Rande dessen, was ein demokratisches Gemeinwesen noch aushalten kann.

Die Trump-Regierung hat entschieden: Das Mädchen soll gehen.
Obwohl Ärztinnen und Ärzte bestätigen, dass sie ohne medizinische Versorgung binnen weniger Tage sterben wird. Obwohl es keine Behandlung in Mexiko gibt. Obwohl sie in Kalifornien seit Monaten stabilisiert wird. Und obwohl sie nicht einmal sprechen kann, wenn der Schmerz sie überrollt – nur weinen.

Was für ein Land sind wir geworden, wenn ein Präsident einem sterbenskranken Kind das Recht auf Leben abspricht – nicht aus Notwendigkeit, nicht aus Gesetzeszwang, sondern aus ideologischem Kalkül? Wenn Donald Trump in dieser Woche von „Staatsräson“ und „Systemkorrektur“ spricht, wenn sein Heimatschutzministerium ausweichend auf Presseanfragen reagiert, wenn sich niemand findet, der sagt: Bis hierhin und keinen Schritt weiter – dann zerbricht nicht nur ein moralisches Fundament, dann zerbricht unsere Vorstellung von Menschlichkeit selbst.

Es ist ein Fall, der alles in sich trägt, was falsch läuft in dieser neuen Ära: die Umkehr des Schutzes ins Gegenteil, die Verachtung gegenüber Schwäche, die Vergöttlichung von Härte, das Spiel mit dem Tod – als administrative Maßnahme.

Dass dieses Kind überlebt, hängt am seidenen Faden einer intravenösen Ernährung. Sie trägt das Gerät auf dem Rücken. Ein schwarzer Beutel, der ihren kleinen Körper mit dem versorgt, was andere Kinder einfach essen. In Mexiko war sie ans Krankenbett gefesselt. Heute geht sie in den Park. In den Supermarkt. Sie lebt. Noch.

Ihre Mutter, Deysi Vargas, hat auf Spanisch gesagt, was sich mit kaltem Zittern ins Gedächtnis brennt:

„Mit der Hilfe, die sie in den USA bekommen hat, kann meine Tochter die Welt sehen. Leben wie ein normales Mädchen.“

Doch das ist zu viel in Donald Trumps Amerika. Menschlichkeit hat in dieser Welt keinen Platz mehr, wenn sie nicht ins Raster passt – nicht in die Statistik, nicht ins Einwanderungsmodell, nicht in die politische Verwertbarkeit.

Das Parole-Visum, einst Hoffnungsträger für humanitäre Ausnahmen, wird nun zur Falle. Die Familie hat erneut einen Antrag gestellt, doch es kommt keine Antwort. Nur ein formales Schreiben, das die drohende Abschiebung erwähnt. Ein Präsident, der sich öffentlich nicht äußert. Ein Staat, der schweigt.

Und wir? Uns fehlen die Worte.
Dabei leben wir von Worten. Schreiben, sprechen, dokumentieren – das ist unser Beruf, unsere Pflicht, unser Versuch, gegen das Dunkel anzuschreiben. Doch hier, an dieser Stelle, bricht etwas. Vielleicht, weil das Leben eines Kindes nichts wiegt gegen das Ego eines Mannes, der sich Gott wähnt. Vielleicht, weil niemand aufsteht in jenen Gängen der Macht, in denen einst „never again“ ein Schwur war.

Es ist nicht nur ein medizinischer Notfall. Es ist ein moralischer Abgrund. Und Donald Trump – das muss man in aller Klarheit sagen – steht nicht am Rand dieses Abgrunds. Er hat ihn geschaffen. Mit Kälte. Mit Willen. Und mit einem Maß an Grausamkeit, das kaum noch fassbar ist.

Amerika 2025.
Ein Ort, an dem ein kleines Mädchen mit einem schwarzen Rucksack um ihr Leben kämpft – und der Präsident sagt: Sie soll gehen.

Was für ein böser Mann.
Was für ein verdammter Moment in der Geschichte.

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Angela
Angela
3 Monate zuvor

Danke für diesen Artikel. Auch wenn er einfach nur traurig macht. Diesem Kind die lebensnotwendigen Hilfen zu verweigern ist sowas von falsch und unnötig.

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