Uns vorliegende Tonaufnahmen, (siehe weiter unten im Artikel), einer Bildungskonferenz in Montana zeigen, wie Lehrkräfte hinter verschlossenen Türen über den Umgang mit Diversitäts-, Gleichstellungs- und Inklusionsprogrammen (DEI) sprechen – und dabei Vergleiche ziehen, die tief blicken lassen. In mehreren Mitschnitten ist zu hören, wie pädagogische Fachkräfte elterliche Bedenken mit den Zensurpraktiken der Nationalsozialisten vergleichen und Strategien diskutieren, um zuvor verbotene Bücher wieder in Schulbibliotheken einzuführen – trotz des massiven politischen Drucks durch die Trump-Regierung, die Bundesmittel für Schulen mit DEI-Programmen kürzen will.
Vergleich mit NS-Zensur und „entarteter Kunst“
In einer Aufzeichnung aus einem Workshop über Kunstpädagogik spricht eine Lehrerin offen darüber, wie Zensurmechanismen in der Gegenwart Parallelen zu den 1930er Jahren aufwiesen. Wörtlich heißt es: „Ich denke an die Bewegung der ‚entarteten Kunst‘ und daran, was passiert, wenn Regierungen Kontrolle über Kunst und kulturelle Ausdrucksformen übernehmen – das ist eine sehr gefährliche Entwicklung.“ Sie verweist dabei auf den Fall der US-Fotografin Sally Mann, deren Werke – Darstellungen ihrer eigenen Kinder – wegen Nacktheit aus Ausstellungen entfernt wurden.
„Lehrkräfte sollten auf Zensur blicken und auf das Nazi-Regime – und darauf, was Hitler mit der Abstraktion tat“, sagt die Lehrerin in dem Mitschnitt. „Das wurde als unangemessen, abstoßend und ‚entartet‘ bezeichnet.“ Die Aufnahme stammt aus einer Sitzung, die sich offiziell mit Fragen der kulturellen Sensibilität in der Kunstpädagogik beschäftigte, inhaltlich jedoch wiederholt auf politische Themen und elterliche Einflussnahme in der Bildungsdebatte übergriff.
Wiedereinführung eines verbotenen Buches
Ein weiterer Mitschnitt, der uns vorliegt, aber noch nicht veröffentlicht ist, stammt aus einer Bibliotheks- und Rechtsfortbildung. Eine Mittelschul-Bibliothekarin beschreibt darin ihren „persönlichen Sieg“: Sie habe ein Buch mit expliziten Passagen – das zuvor von einer Kollegin entfernt worden war – stillschweigend wieder ins Schulinventar aufgenommen. „Vor etwa vier Jahren hatte ich ein Buch in meiner Bibliothek, das meine Kollegin ohne Rücksprache entfernt hat“, sagt sie. „Ich musste warten, bis ich es erneut bestellen konnte.“ Das Buch sei für Achtklässler gedacht, „und der fünfte Band ist besonders explizit“. Nach unseren Informationen handelt es sich um die vielfach diskutierte Graphic-Novel-Reihe Heartstopper, die seit 2021 in mehreren US-Bundesstaaten aus Schulbibliotheken entfernt wurde – unter anderem in Florida, Oregon und Mississippi.
Die Bibliothekarin bezeichnete die ursprüngliche Entfernung als „Zensur“ und ihre Wiedereinführung als „kleinen Zensurerfolg“. Die Heartstopper-Reihe, die eine Liebesgeschichte zwischen zwei britischen Teenager-Jungen erzählt, wird vom Verlag Scholastic für Jugendliche ab 14 Jahren empfohlen.
Gespräche über Widerstand gegen Elternproteste
Weitere Tonfragmente aus denselben Sitzungen zeigen Lehrkräfte, die offen darüber sprechen, wie man Programme zu Diversität und Gleichberechtigung fortführen könne, selbst wenn Eltern sich dagegen aussprechen. Diskutiert werden auch juristische Grauzonen – etwa, wie weit Lehrerinnen und Lehrer in Unterrichtsinhalten gehen dürfen, ohne gegen staatliche Vorgaben oder neue Bundesrichtlinien zu verstoßen. Eine der Sitzungen befasst sich mit „Mikroaggressionen am Arbeitsplatz“. Darin werden Beispiele zu rassistischen, geschlechtlichen und sexuellen Mikroaggressionen besprochen und Methoden vorgestellt, wie solche Situationen erkannt und thematisiert werden können – auch gegen Widerstände im Kollegium oder von Elternseite.
Die Aufnahmen stammen aus einem Zeitraum, in dem die US-Bildungspolitik stark unter Druck steht. Die Trump-Regierung hatte Schulen im Frühjahr aufgefordert, bis zum 24. April zu bestätigen, dass sie keine „illegalen DEI-Praktiken“ anwenden, um weiterhin Bundesmittel zu erhalten. Gleichzeitig setzten mehrere Bundesgerichte Teile dieser Verordnung aus, was zu erheblicher Unsicherheit in den Bildungseinrichtungen führte. Bis Ende April hatten 21 Bundesstaaten, der District of Columbia und Puerto Rico die geforderte Erklärung abgegeben, während andere Bundesstaaten – darunter Montana – sich weigerten. Im August leitete Montanas Generalstaatsanwalt Austin Knudsen eine Koalition aus 22 Staaten an, die den Obersten Gerichtshof aufforderte, „elterliche Rechte in Schulen wiederherzustellen“.
Brisante Einblicke in eine gespaltene Bildungsnation
Die Tonaufnahmen offenbaren eine wachsende Kluft zwischen Lehrkräften, Eltern und Politik – und das in einem Moment, in dem Bildung zum zentralen Schlachtfeld amerikanischer Innenpolitik geworden ist. Sie dokumentieren, wie tief das Misstrauen auf allen Seiten sitzt: zwischen pädagogischem Selbstverständnis, elterlicher Einflussnahme und einem Staat, der versucht, kulturelle Inhalte politisch zu regulieren. Aktuell prüfen wir weitere Aufnahmen, um diese redaktionell zu verifizieren. Teile davon werden derzeit transkribiert und für eine weitergehende Analyse aufbereitet.
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Wenn ich zurückblicke, wie ich im Alter von 13/14 angefangen habe in Bibliotheken nach kritischen Dokumentationen, satirischen Romanen und eigentlich allem über die katholische Kirche zu suchen, wird mir erst richtig bewusst, was es bedeutet, wenn auf einmal die Auswahl politisch begrenzt wird. Der kritische Geist, die Neugierde wird ausgebremst und somit die Möglichkeit, seine eigene Persönlichkeit auszubilden. Später schließt sich das Zeitfenster der natürlichen Neugierde, Arbeit, Familie werden wichtiger, neue Einflüsse seltener.
Dann schöpfen politische Bauernfänger die Früchte ihrer lähmenden Vorarbeit ab 😟.
ja, es ist heftig, aber noch erstaunlicher, dass es gar in Montana viele, viele Fragen und Überlegungen dazu gibt. Das zeigt, das Land lehnt sich mehr und mehr auf und daher sind diese Art der Recherche so wichtig. So muss man auch gegen die AFD recherchieren, mit den Worten der „Wähler“
Ich bin wirklich positiv überrascht.
In einem doch sehr riten Staat hätte ich das nicht erwartet.
Da sieht man aber, das Bildung wichtig ust.
Gebildete Menschen hinterfragen, sind neuguerig, offen für Veränderung.
Sie sind keine stumped Nachplapperer …. außer sie stellen das Geld über die Freiheit im Lernen.
Dumme Menschen sind einfach zu lenken, einfach gefügig zu machen. Sie glauben so ziemlich Alles …. siehe die MAGA Sekte.
Ich hoffe sehr, dass es mehr Lehrkräfte, Colleges und Schulen werden.
Ein Hoch auf die Universitäten, die sich Trumps Linie wiedersetzen.
Diese mutigen Menschen braucht es, gegen die all zu große Allmacht der MAGA Sekte.
Danke für diesen mutmachenden Bericht.