Was hatten die bloß in den Keksen? – Wenn die SPD Russland plötzlich umarmen will

VonRainer Hofmann

Juni 11, 2025

Es beginnt wie eine Szene aus einem schlecht gespielten Polit-Theaterstück. Vier ältere Herren, allesamt mit Parteibuch, Feder und friedensbewegtem Pathos, schreiben ein Manifest. Nicht irgendeines – sondern ein Dokument, das Deutschland sicherheitspolitisch zurück in die 1980er katapultieren will. Rolf Mützenich, Ralf Stegner, Norbert Walter-Borjans und Hans Eichel, flankiert von über 100 SPD-nahen Mitunterzeichnern, fordern nicht weniger als eine außenpolitische Kehrtwende: Raus aus der „Alarmrhetorik“, Schluss mit der Aufrüstung – und Gespräche mit Russland. Ja, mit dem Russland, das seit drei Jahren einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt. Ja, mit dem Russland, das mitten in Europa Kriegsverbrechen begeht. Und ja, mit genau jenem Russland, dessen Präsident ein imperialistisches Weltbild verfolgt, das sich weder durch Appelle noch durch Tee mit Olaf Scholz aus der Welt reden lässt.

Man fragt sich: Was war da bloß in den Keksen, die in dieser Runde gereicht wurden?

Denn das Dokument, so diplomatisch es sich auch zu geben versucht, ist ein Bekenntnis zur Augenwischerei. In seinem Zentrum steht die Behauptung, militärische Aufrüstung sei ein Sicherheitsrisiko – nicht für Russland, sondern für die NATO. Die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen mache Deutschland zum Ziel. Die geplanten Rüstungsausgaben – irrational. Die Verteidigungsstrategie – gefährlich. Die Bedrohungslage? Offenkundig vernachlässigbar, zumindest aus Sicht der Manifest-Autoren. Dass Putin täglich das Gegenteil beweist, scheint irrelevant. Dass dieser Krieg nicht durch Verhandlungen begonnen wurde, sondern durch Panzer und Bomben – ebenso. Das Friedensgerede versickert dort, wo die Realität beginnt: an der Frontlinie. Ralf Stegner nennt das Manifest einen „Diskussionsbeitrag“. Ein schöner Euphemismus für das, was in Wahrheit ein Zersetzungsversuch an der außenpolitischen Haltung der Bundesregierung ist. Stegner möchte die Friedenspolitik nicht den Militärexperten überlassen – wohl aber Politikern, die glauben, man könne Aggressoren zur Räson bitten, indem man ihnen die Tür aufhält. Es ist eine wohlmeinende Naivität, die brandgefährlich wird, sobald sie zum Handlungsprinzip wird. Und wenn Mützenich, Walter-Borjans und Eichel in dieses Horn stoßen, dann tut das weh – nicht nur aus sicherheitspolitischer Sicht, sondern auch, weil es die Glaubwürdigkeit jener SPD torpediert, die unter Scholz eigentlich den Anspruch erhebt, Verantwortung zu übernehmen.

Natürlich bleibt die Reaktion nicht aus. SPD-Fraktionssprecher Sebastian Fiedler nennt das Manifest „verstörend“ und „verärgert“. Die grüne Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger spricht aus, was viele denken: Dass dieser Kurs Putin nicht zur Gewaltlosigkeit bekehrt, sondern vielmehr seine Skrupellosigkeit belohnt. Während der Kreml neue Angriffsziele definiert, möchte ein Teil der SPD den Gesprächskanal öffnen – als gäbe es keine diplomatischen Trümmerhaufen, die der Kreml bereits hinterlassen hat. Was also tun mit diesem Papier? Einordnen, entlarven, widersprechen. Denn das Manifest ist nicht nur ein Debattenbeitrag – es ist ein Symptom. Ein Symptom jener sozialdemokratischen Sehnsucht, es möge doch bitte wieder alles so werden wie früher: mit Dialog, gegenseitigem Respekt und Gorbatschow. Doch diese Welt existiert nicht mehr. Und wer heute versucht, sie heraufzubeschwören, indem er an die Einsicht eines Autokraten appelliert, ignoriert nicht nur den Zustand der Welt – er gefährdet ihre Ordnung.

Die Frage ist nicht, ob man Frieden will. Die Frage ist, ob man ihn gegen jene verteidigt, die ihn zerstören. Und wenn selbst die SPD daran zu zweifeln beginnt, dann müssen andere Parteien Haltung zeigen. Denn sonst bleibt von der Zeitenwende bald nur noch ein pazifistisch verkleideter Rückschritt. Und vielleicht ein paar Kekse, deren Zutaten man lieber noch einmal prüfen sollte.

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Irene Monreal
Irene Monreal
3 Monate zuvor

Was bitte versteht man daran nicht, dass Putin nicht verhandelt?! Wenn diese Möchtegern-Strategen ehrlich wären, würden sie nicht von Verhandlungen sprechen. Wenn sie nicht so abgrundtief feige wären würden sie aussprechen, was sie denken: „Wir wollen, dass die Ukraine bedingungslos kapituliert, damit wir unsere Ruhe haben, uns die Taschen vollstopfen, wenn die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden und wir wollen die erneute Abhängigkeit von einem Diktator als Rettung der deutschen Wirtschaft verkaufen.
Und übrigens – nach uns die Sintflut, wenn Putin weitermacht sind wir zwar nicht vorbereitet, aber da können WIR doch nichts dafür“.

Last edited 3 Monate zuvor by Irene Monreal
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