Verlogene Heldenverehrung – Ulf Poschardt und die Rehabilitierung der Rechten

VonRainer Hofmann

September 11, 2025

Ulf Poschardt will einen Märtyrer schaffen. „Auf Charlie Kirk wurde geschossen“, schrieb er in einem pathetischen Facebook-Post, „die Aufnahmen auf X zeigen, wie er zusammenbricht, als er das tut, was er immer versucht hat: mit Argumenten und Sachlichkeit, in Ruhe auf Andersdenkende zuzugehen und mit ihnen zu sprechen.“ Es ist ein Satz, der klingt, als sei hier ein friedlicher Humanist mitten aus dem Leben gerissen worden. Aber es ist eine Verdrehung, eine Umdeutung – fast schon eine Heiligsprechung – eines Mannes, der sein ganzes Leben darauf verwendet hat, Hass zu säen, Minderheiten zu entmenschlichen und Gewalt zu rechtfertigen.

Charlie Kirk war kein „Debattenkünstler“. Er war ein radikaler, rechter Aktivist, der in seinen Podcasts das Massaker an Paul Pelosi instrumentalisierte und seine Zuhörer aufforderte, Geld für den Angreifer zu sammeln. Nach dem politischen Mord an der demokratischen Senatorin Melissa Hortman und ihrer Familie vor drei Monaten versuchte er, den demokratischen Gouverneur Tim Walz und dessen Partei mit dem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Er erklärte öffentlich: „Es ist den Preis wert, leider jedes Jahr einige Todesfälle durch Schusswaffen in Kauf zu nehmen, damit wir den Zweiten Verfassungszusatz haben können.“ – ein Satz, der Menschenleben zur Verhandlungsmasse macht. Wer das einen „Verteidiger der Debattenkultur“ nennt, hat entweder das Gedächtnis verloren oder will gezielt verharmlosen, wohin der rechte Kulturkampf geführt hat.

Siehe unseren Artikel vom 11. September 2025: https://kaizen-blog.org/charlie-kirk-tod-eines-polarisierers-zwischen-extremismus-und-gewalt/

Ulf Poschardt – Bild Facebook
Ulf Poschardts Post vom 10. September 2025

Die Kommentarspalte unter Poschardts Post liefert den Beweis, was solche Heldenmythen anrichten. „Unfassbar, so ist das leider, wenn man Werte vertritt und die Wahrheit spricht. Was sind wir für ’ne kranke linke Welt“, schrieb Thomas Momper. Mela Rauh klagte: „… es wird offensichtlich immer gefährlicher konservativ zu sein…“. Sylvia Bertrams sah schon eine Eskalation auch hierzulande: „Die Linken drehen langsam durch. Die werden auch in D immer aggressiver.“ Bastian Benner phantasierte vom „faschistoiden Kampf gegen Rechts“ und erklärte, physische Gewalt sei „längst kein Tabubruch mehr, solange es den Richtigen trifft“. Cornelius Bernhardus tobte: „Wieder eine ruchlose, linksterroristische Mordtat! Und das ekelhafte SHITBÜRGERTUM applaudiert!!“ – als hätte es hier einen staatlich organisierten Terroranschlag gegeben.

Andere malten den Untergang des Abendlandes: „Wenn man sieht, wie sich die Linken in den ZDF-Kommentarspalten darüber freuen, steht zu befürchten, dass die Antifa demnächst in Deutschland dazu übergeht, Nicht-Linke zu töten“, warnte Tim Radenbach. „Keine Sorge, liebe Freunde, bei uns in D wird sicher auch bald geschossen“, prophezeite Manfred Steinbach. Jörg Lindemann sekundierte: „Linke kennen keine Gnade, keine Empathie. Gewalt ist deren Sprache!“ Dietmar Kampka forderte unverhohlen: „Links-/islamistischer Terror muss mit allen Mitteln bekämpft werden.“ Das ist keine Trauerarbeit. Das ist politische Mobilmachung. Das ist der Versuch, aus einem Mann, der selbst Gewalt befördert hat, ein Opfer der „linken Welt“ zu machen – und daraus einen Freibrief für Rache und Eskalation abzuleiten. Genau das macht diesen Post von Poschardt so gefährlich: er bedient ein Narrativ, das die Täter-Opfer-Logik umkehrt.

Es gab auch Widerspruch. „Der Typ ist eher für Lügen und Verschwörungstheorien bekannt als für Sachlichkeit“, schrieb Artjom Altenhof. Eva Schweitzer erinnerte daran, dass Kirk selbst das Fehlen von Waffenkontrollen propagierte: „Das ist so, als tritt man für freie Fahrt für freie Bürger ein und wird dann mit 150 km/h überfahren, während man zu Fuß über eine Autobahn läuft.“ Sascha Meininger stellte die unbequeme Frage: „Haben Sie, Herr Poschardt, auch so viel Anteilnahme gezeigt bei den Attentaten auf Pelosi und die Familie Hortman?“ – eine Erinnerung daran, dass Empathie von rechts fast nie in Richtung demokratischer Opfer fließt.

Doch diese Stimmen gingen unter in einem Chor der Selbstverklärung. „Eine Stimme für Wahrheit und Recht wurde ausgelöscht. Tiefste Traurigkeit“, schrieb Aliana von Richthofen. „Er war Familienvater und einer der größten Kämpfer für Meinungsfreiheit“, erklärte Stephan Kluth. „Von einem linken Irren erschossen, weil er biologische und gesellschaftspolitische Wahrheiten ausgesprochen hat“, schwadronierte Björn Spielmann. Es ist dieselbe alte Erzählung: rechtsradikale Hetze wird zum mutigen Freiheitskampf verklärt, jeder Widerspruch zum Beweis der eigenen Verfolgung.

Poschardt weiß, welche Wirkung seine Worte haben. Er weiß, dass in der aufgeheizten Gegenwart ein Satz wie „in Ruhe auf Andersdenkende zuzugehen“ nicht beschwichtigt, sondern bestärkt. Er gibt der rechten Erzählung einen bürgerlichen, intellektuellen Überbau, der so tut, als ginge es um Diskurskultur, während es in Wahrheit um Macht geht – und um die Normalisierung einer Ideologie, die schon längst nicht mehr friedlich ist.

Die Wahrheit ist: Charlie Kirk war kein Märtyrer der Demokratie. Er war einer der lautesten Propagandisten eines Amerikas, das Minderheiten, Frauen, queere Menschen und politische Gegner entrechtet, einschüchtert und verfolgt. Er war ein Mann, der Gewalt relativierte, wenn sie den Gegner traf. Dass er nun selbst Opfer tödlicher Gewalt wurde, ist tragisch – aber es ist nicht das Ende einer Debattenkultur, sondern das Ende einer Figur, die selbst zur Radikalisierung beigetragen hat.

Wer heute so tut, als habe er nur „mit Argumenten“ gekämpft, schreibt Geschichte um. Und wer wie Ulf Poschardt diese Umdeutung betreibt, wird zum Stichwortgeber einer Bewegung, die längst im Modus der Revanche ist. Es ist diese Selbstgerechtigkeit, die gefährlich ist – nicht die angebliche „linke Aggression“.

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Ela Gatto
Ela Gatto
1 Monat zuvor

„…als er das tut, was er immer versucht hat: mit Argumenten und Sachlichkeit, in Ruhe auf Andersdenkende zuzugehen und mit ihnen zu sprechen“

Da könnte man wirklich nur 🤮🤮

Glaubt er das?
Oder ist es ihm nur Mittel zum Zweck um Hass und Hetze zu verbreiten?
Oder Beides?

Die 💩 nutzen den Tot dieses Mannes auch hier in Deutschland.
Auch hier wird ein faschistischer Hetzer zum diskutierenden Märtyrer stilisiert.

Das erinnert mich an die islamischen Hassprediger, die als Imane der Verständigung verklärt werden.

Oder die RAF Terroristen die man zu Aktivisten erklärt, die gesagt werden, weil sie eine andere Meinung als der Staat vertreten.

Kein Wort über die Gewalt, die von diesen Personen ausgeht.

Extremismus trägt viele Gesichter.
Man sollte Keines übersehen.

Josef Sanft
Josef Sanft
1 Monat zuvor

Dass Kirk tot ist weckt keinerlei Emotion in mir. Das ist Karma, wenn man Todesopfer in Kauf nimmt, um das Recht auf Waffenbesitz zu wahren. Blöd halt, wenn es einen dann selbst erwischt. Kirk war nur ein übler Hetzer und jemand, der massgeblich dazu beigetragen hat, der jungen Generation den MAGA-Schwachsinn
schmackhaft zu machen. Die Frage ist nur, was dieser Mord nun auslöst. Er wird mit Sicherheit zur weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen.

Heinrich
Heinrich
1 Monat zuvor

Danke für euren Mut.

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