Urlaub im Schatten der Scharia – Wie die Taliban Afghanistan für Tourist:innen öffnen wollen

VonRainer Hofmann

Juni 29, 2025

Kabul, Juni 2025 – Mit Motorrädern, Campervans, Fahrrädern oder Linienflügen aus Istanbul und Dubai reisen sie an: Neugierige aus Europa, Abenteuerlustige aus Asien, Weltenbummler mit GoPro und Visa im Pass. Sie alle wollen dorthin, wo man bis vor Kurzem nur im Kontext von Krieg, Taliban und Terror dachte: nach Afghanistan. In ein Land, das jahrzehntelang von Bomben erschüttert wurde – und nun Tourismus als neue Hoffnung begreift. Die Taliban, seit August 2021 wieder an der Macht und international nicht anerkannt, empfangen diese Gäste mit offenen Armen. „Die afghanische Bevölkerung ist herzlich und will Touristen willkommen heißen“, sagt Qudratullah Jamal, stellvertretender Minister für Tourismus. Im Interview mit der Associated Press klingt er wie ein PR-Sprecher eines friedliebenden Himalaya-Königreichs: Tourismus bringe wirtschaftlichen Aufschwung, internationale Verständigung, sogar „spirituellen Nutzen“. In Wahrheit steckt dahinter ein bemerkenswerter Balanceakt: Die Taliban-Regierung inszeniert sich als gastfreundlich – während sie Afghaninnen weiterhin aus Parks, Schulen und dem öffentlichen Leben verbannt. Trotz dieser Widersprüche kommen sie: Fast 9.000 ausländische Tourist:innen reisten laut Behörden im vergangenen Jahr ein, allein im ersten Quartal 2025 schon knapp 3.000. Für Afghanistan, das international isoliert und wirtschaftlich ausgezehrt ist, ein Hoffnungsschimmer. Die Taliban fördern den Sektor gezielt – mit Visa, Schulungen (ausschließlich für Männer) und einer eigenen Tourismusakademie. Reisen ins Blaue, wortwörtlich: Etwa zu den leuchtenden Seen des Band-e-Amir-Nationalparks oder zu den Klippen von Bamiyan, wo einst die gigantischen Buddha-Statuen standen, bevor sie 2001 gesprengt wurden. Auch dorthin zieht es wieder Besucher – trotz eines tödlichen Anschlags im Mai 2024, bei dem sechs Menschen, darunter drei spanische Tourist:innen, erschossen wurden.

Dass das Land sicherer geworden ist, ist unbestritten. Die Phase täglicher Selbstmordattentate und Bombenanschläge scheint vorbei. Doch sicher ist Afghanistan nicht. Der IS-Ableger „ISKP“ ist weiterhin aktiv. Und auch die staatliche Gewalt bleibt real – vor allem für Afghaninnen. Frauen dürfen weder in Parks noch in Fitnessstudios, dürfen ab Klasse 6 nicht mehr zur Schule, keine Berufe mehr ausüben. Schönheitssalons sind verboten, Gesichtsschleier vielerorts Pflicht. „Ein ethisches Dilemma“, nennen das manche Reisende. Andere blendeten es bewusst aus oder wollten sich vor Ort selbst ein Bild machen. So wie Illary Gomez aus Frankreich und ihr britischer Partner James Liddiard. Ein Jahr lang debattierten sie, ob ihre Reise durch Afghanistan moralisch vertretbar sei. Schließlich fuhren sie – und berichten nun von „herzlichen Begegnungen“, „beeindruckenden Landschaften“ und einem Gefühl, mit dem Besuch nicht das Regime zu stützen, sondern den Menschen zu helfen. „Das Geld fließt zu den Leuten, nicht zur Regierung“, sagt Liddiard. Staatliche Stellen nehmen diese Ambivalenz billigend in Kauf. Während Einheimische unter rigiden Regeln leiden, dürfen ausländische Frauen oft Parks betreten, solange sie ein Kopftuch tragen. Gesichtsschleier werden in Kabul kaum verlangt. Tourismus als Schaufenster der Toleranz – für Ausländer, nicht für Afghanen.

Tourismus, so Qudratullah Jamal, sei nicht nur ökonomisch sinnvoll. Es baue Brücken, fördere „Verständnis und Talente“, verringere die „Distanz zwischen den Völkern“. Es gehe um kulturellen Austausch, internationale Beziehungen – und, ja, auch um Handel. Was bleibt, ist das Paradox eines Landes, das sich weltoffen gibt, während es die Hälfte seiner Bevölkerung unterdrückt. Afghanistan wirbt um westliche Reisende – mit Gastfreundschaft, Natur und Geschichte. Doch wer durch Bamiyan wandert oder den Panjshir hinauffährt, kann sie nicht ignorieren: die Geister der Vergangenheit, das Schweigen der Frauen, die unsichtbaren Grenzen des Jetzt. Wer hier reist, reist immer auch zwischen den Zeilen.

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Ela Gatto
Ela Gatto
3 Monate zuvor

Wie kann man nur, besonders als Frau, in ein Land reisen, wo Frauen komplett entrechtet sind?
Das kann ich nicht verstehen, absolut nicht.

Erinnert mich an eine Fahrt durch einen Zoo.

Und von wegen, dassdas Geld bei den Leuten ankommt. Die Taliban kassieren da mehr wie reichlich ab.

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