Trump hat nun Zugriff auf Kaliforniens Nationalgarde – und Newsom verlor, weil er sich auf die falsche Social-Media-Schlacht einließ

VonRainer Hofmann

Oktober 23, 2025

Es war ein Urteil, das in Sacramento wie ein Donnerschlag einschlug – und in Washington wie eine Rückkehr alter Machtverhältnisse gefeiert wurde. Der 9. U.S. Circuit Court of Appeals in San Francisco hat am 22. Oktober 2025 die Wiederaufnahme des Falls Newsom v. Trump abgelehnt. Damit steht fest: Donald Trump darf in seiner Funktion als Präsident die Nationalgarde Kaliforniens föderalisieren, um sie für „nationale Sicherheitsaufgaben“ einzusetzen – ein Euphemismus für die Ausweitung der massiven Einwanderungsoperationen entlang der Westküste. Das Verfahren, das ursprünglich von Gouverneur Gavin Newsom und dem Staat Kalifornien gegen Trump, Verteidigungsminister Peter Hegseth und das Verteidigungsministerium geführt wurde, hatte das Ziel, die Unabhängigkeit der kalifornischen Nationalgarde zu schützen. Newsom argumentierte, dass Trumps Anweisung, die Garde zur Unterstützung von ICE-Operationen einzusetzen, gegen das Prinzip der bundesstaatlichen Souveränität verstoße. Doch das Berufungsgericht entschied anders.

Das Gremium bestand aus den Richtern Mark J. Bennett, Eric D. Miller und Jennifer Sung. Die Entscheidung fiel ohne Anhörung vor dem gesamten Gericht – das sogenannte „en banc“-Verfahren wurde ausdrücklich verweigert. Die offizielle Mitteilung, unterzeichnet von der Clerk des Gerichts, Molly C. Dwyer, liest sich nüchtern: Ein Richter habe zwar eine erneute Beratung beantragt, doch eine Mehrheit der aktiven Richter habe dies abgelehnt. Die Wiederaufnahme sei abgelehnt. Punkt.

Richterin Marsha S. Berzon legte eine gesonderte Stellungnahme bei, Richter Ronald M. Gould eine abweichende Meinung – ein Zeichen dafür, dass selbst innerhalb des liberalen 9th Circuit die Nerven blank liegen. Gould, einst einer der entschiedensten Gegner Trumps, warf dem Gericht indirekt vor, sich der politischen Realität zu beugen. Berzon mahnte, die Entscheidung sende ein gefährliches Signal, da sie den föderalen Zugriff auf staatliche Ressourcen praktisch grenzenlos mache. Doch die Mehrheit der Richter wollte die Sache offenbar beenden. Für Trump ist das Urteil mehr als nur ein juristischer Sieg – es ist eine Machtdemonstration. Der Präsident kann nun, gestützt auf die Entscheidung aus San Francisco, Kaliforniens Nationalgarde unter Bundeskommando stellen, um die sogenannte „Operation Homeland Purity“ auszubauen. Der Einsatz umfasst nach Regierungsangaben „logistische und sicherheitsrelevante Unterstützung“ bei der Festnahme und Abschiebung von Migranten. Interne Dokumente des Verteidigungsministeriums zeigen jedoch, dass die Pläne weit über Logistik hinausgehen: Sie sehen auch die Bereitstellung bewaffneter Einheiten für Grenz- und Flughafeneinsätze vor.

Newsom hatte sich monatelang als Widerstandssymbol gegen Trumps Einwanderungspolitik inszeniert – und tat genau das, was Trump erwartete: Er trug den Konflikt in die sozialen Medien. Seine scharfen X-Posts, in denen er den Präsidenten als „Verfassungsbrecher“ und „autoritären Opportunisten“ bezeichnete, gingen viral. Doch sie hatten den gegenteiligen Effekt. Viele warnten ihn davor, predigten fast beschwörend, sachlich zu bleiben, sich nicht auf Trumps Social-Media-Schlachten einzulassen. Trump nutzte sie, um die Auseinandersetzung zu personalisieren, die Debatte von juristischer auf emotionale Ebene zu ziehen – und Newsom als schwachen Gouverneur darzustellen, der „X spielt, während Amerika sich schützt“.

Ein Mechanismus, der auch in Deutschland längst zu beobachten ist: Die AfD hat die Logik der Empörung perfektioniert. Wer sich auf ihre digitalen Provokationen einlässt, verliert die Deutungshoheit. Nicht die Fakten bestimmen die Debatte, sondern das Tempo, die Lautstärke, das Spiel mit der Aufmerksamkeit. Genau das ist der Fehler, den Newsom machte – und den viele in Berlin, München oder Dresden derzeit wiederholen.

Während Newsom über Föderalismus und Rechtstaatlichkeit sprach, sprach Trump über „Grenzen“ und „Sicherheit“. Die Sprache gewann, nicht das Recht. Kalifornien hatte zwar die besseren Argumente, Trump jedoch den Resonanzraum.

In politischen Kreisen gilt das Urteil daher auch als Lektion in der Macht der Inszenierung. Newsom, der sich seit Monaten als Gegenfigur zu Trump profilieren wollte, unterschätzte den Mechanismus einer Öffentlichkeit, die längst nicht mehr auf juristische Differenzierungen reagiert, sondern auf Schlagworte.

Jetzt, da der juristische Weg erschöpft ist, bleibt Kalifornien kaum Handlungsspielraum. Newsoms Regierung kann allenfalls versuchen, über das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten einen Eilantrag zu stellen – doch die Chancen sind gering. Der Supreme Court ist mehrheitlich konservativ besetzt, und die Aussicht, dass Chief Justice Roberts ein solches Verfahren überhaupt annimmt, gilt als minimal.

In Sacramento wird intern bereits diskutiert, wie man auf die drohende Föderalisierung reagieren soll. Eine vertrauliche Notiz aus dem Büro des Gouverneurs, spricht von „verfassungsrechtlicher Krise“ und einem „de facto Bundesbefehl über staatliche Ressourcen“. Doch die politische Realität ist klar: Mit der Entscheidung des 9th Circuit ist Trumps Plan rechtlich gedeckt.

Was bleibt, ist ein Bild der Verschiebung. Die einst als „liberalster Gerichtshof der Nation“ bekannte Instanz hat dem Präsidenten freie Hand gegeben – ausgerechnet in einem Fall, der die Balance zwischen Staat und Union berührt wie kaum ein anderer seit der Ära Reagan.

Vielleicht wird man später sagen, dass der entscheidende Fehler nicht im Gerichtssaal, sondern im digitalen Raum begangen wurde. Newsom wollte Trump dort entgegentreten, wo dieser am lautesten ist. Doch Trumps Amerika spielt nicht nach Regeln der Vernunft, sondern der Überwältigung. Und so ist aus einem Rechtsstreit ein Lehrstück geworden – darüber, wie sich Macht in einer Mediendemokratie durchsetzt: nicht durch Argumente, sondern durch die Kontrolle des Tons.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
1 Kommentar
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
Benitomo
Benitomo
14 Stunden zuvor

Wieso fällt mir dazu bloß der (Mark Twain zugeschriebene) Spruch ein:
„Mit dummen Leuten kann man nicht diskutieren. Sie ziehen dich auf ihr Niveau und schlagen dich dort mit ihrer Erfahrung.“?

Wenn Trump jetzt solche Dinge offiziell machen darf, sieht es in meinen Augen ganz, ganz schwarz aus, den Autokratismus noch mit juristischen Mitteln zu stoppen!

1
0
Would love your thoughts, please comment.x