Eine nicht veröffentlichte, unklassifizierte Mitteilung an den Kongress, 17 Tote auf See, ein neues Narrativ: Donald Trump lässt festhalten, die USA befänden sich in einem „bewaffneten Konflikt“ mit Drogenkartellen, die seine Regierung zu Terrororganisationen erklärt; die Getöteten im Karibischen Meer heißen in dem Papier „unlawful combatants“. Grundlage der Übermittlung ist 50 U.S.C. § 1543a: Binnen 48 Stunden nach einem Einsatz muss das Weiße Haus den Verteidigungs- und Außenausschüssen berichten – mit Rechtsgrundlage, Datum, Ort und Dauer, den beteiligten Parteien, einer Beschreibung der eingesetzten Kräfte und ihres Auftrags sowie der Zahl von Kombattanten- und Zivilopfern. Genau in so einem Bericht rückt die Regierung den „War on Drugs“ vom Schlagwort in den Kriegsmodus – mit dem Anspruch auf Befugnisse, die im Polizeirecht nicht vorgesehen sind: tödliche Gewalt ohne akute Bedrohung, Haft ohne Anklage, Verfahren vor Militärgerichten.
Der juristische Dreh ist radikal: Schmuggel wird zur „bewaffneten Attacke“, Kartelle zu „nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen“, der Einsatz zu einem „nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“. Genau hier schlagen Fachleute Alarm. Es ist illegal, Zivilist:innen ins Visier zu nehmen, die nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen – selbst wenn sie verdächtig sind. Ein früherer oberster Rechtsberater des US-Heeres spricht nicht von Grenzfall, sondern von Grenzbruch: Das dehnt keine Regeln, das zerreißt sie. Auch im Kongress heißt es: keine tragfähige Rechtsgrundlage, keine belastbaren Belege, keine transparente Aufklärung – aber heimliche Kriegsführung gegen „Feinde“, die der Präsident selbst definiert.

Siehe unsere Recherchen unter: „Der Tod kam aus dem klaren Himmel“ unter dem Link: https://kaizen-blog.org/der-tod-kam-aus-dem-klaren-himmel/
Noch größer ist die Faktenlücke. Der Fokus der Schläge lag auf Booten aus Venezuela. Die jüngste Überdosiswelle wird jedoch von Fentanyl getrieben – einer Kette, die Expert:innen vor allem nach Mexiko verorten. Vor Ort fanden sich, nach den vorliegenden Angaben, weder treibende Drogensäcke noch sonstiges Konterband. Die bisher Getöteten hatten mit Drogen nichts zu tun. Trotzdem Schweigen: keine nachvollziehbaren Kriterien, wer als „Kombattant“ gilt, keine Namensliste der angeblichen Kriegsgegner, keine Standards zur Zielauswahl und Beweissicherung. Ein Video einer Explosion ersetzt keine Beweise.

International gibt es keinen Blankoscheck: Weder UN noch EU haben Trumps „Kriegs“-Lesart abgesegnet. UN-Menschenrechtsexperten und NGOs warnen vor völkerrechtswidrigen Tötungen und fordern Belege, Mandat und Transparenz. In Lateinamerika und Europa mehren sich kritische Stimmen, China spricht von Einschüchterung – und selbst in Washington wächst der Druck, den Kongress einzubinden. Kurz: Die Welt rührt sich – langsam, aber vernehmbar. Völkerrecht ist kein Gummiband. Die UN-Charta erlaubt Gewalt nur bei Mandat des Sicherheitsrats oder bei echter Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff. Schwerkriminalität ist verwerflich – sie ist kein „bewaffneter Angriff“. Wer das trotzdem so definiert, verschiebt die Schwelle vom Polizeirecht ins Kriegsrecht. Heute ein Schnellboot, morgen ein Lastwagen, übermorgen Menschen an Land: Eine Tür, die man nicht öffnen darf, weil dahinter das Ende der Unterscheidung zwischen Strafverfolgung und Krieg liegt. Selbst wenn man den Kriegsrahmen unterstellt, bliebe das Humanitäre Völkerrecht bindend: Unterscheidung, Verhältnismäßigkeit, militärische Notwendigkeit. Für zivile Crews auf See hieße das: kein Freibrief.

Im Kern geht es nicht um die Fantasien eines Präsidenten, sondern um Menschen: Fischer, Matrosen, Tagelöhner auf Wasser, die ohne Anklage, ohne Verteidigung, ohne forensische Prüfung als „unrechtmäßig“ etikettiert und getötet werden. Familien, die keine Antworten erhalten, sondern Formeln. Eine Öffentlichkeit, die Clips sieht statt Akten. Ein Präsident, der Definitionsmacht beansprucht, wo Begründungspflicht wäre. Was jetzt nötig ist, lässt sich ohne Parolen sagen: Transparenz statt Andeutungen – die Veröffentlichung der Rechtsgutachten, der Zielkriterien, der Namen der Getöteten, der Beweise und der Schadensbilanzen; echte Parlamentskontrolle, die klärt, ob überhaupt ein Gewaltmandat besteht und es, falls nicht, ausdrücklich untersagt; der Vorrang der Menschenrechte vor jeder Doktrin, also die Rückkehr zum Polizeirecht, wo es hingehört, denn Kriegsrecht ist keine Abkürzung; und internationale Verantwortung, die die UN-Charta ernst nimmt und rote Linien als Instanz, nicht als Chor, markiert. Es geht um Leben, nicht um Etiketten. Wer Kriegsrecht bemüht, muss Krieg belegen – Gegner, Struktur, Handlungen, Mandat. Bis dahin gilt das Einmaleins des Rechtsstaats: festnehmen, anklagen, beweisen. Alles andere verwandelt Elend in Exekutivrecht – und eine Welt, die noch Ehre beansprucht, darf das nicht geschehen lassen.
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