SOS-Ruf aus dem Bluebonnet Detention Center

VonRainer Hofmann

April 30, 2025

In einem Land, das sich die Freiheit auf seine Fahnen schreibt, bilden verzweifelte Männer mit ihren Körpern drei Buchstaben: S – O – S. Es ist keine theatralische Geste. Es ist ein Hilferuf, der nur aus völliger Ohnmacht geboren werden kann. Am 28. April 2025, im staubigen Innenhof des Bluebonnet Detention Centers in Anson, Texas, formieren sich 31 inhaftierte Männer aus Venezuela. Gekleidet in Orange und Rot – Farben, die mehr an Kriegsgefangene als an Asylsuchende erinnern – stellen sie sich in ein Muster, das aus der Luft kaum zu übersehen ist. Sie wissen, dass über ihnen Drohnen kreisen, dass die Welt vielleicht hinsieht – und sei es nur für einen Moment. Was sie befürchten, ist kein bürokratischer Vorgang, keine administrative Maßnahme. Sie fürchten die Abschiebung in das Hochsicherheitsgefängnis CECOT in El Salvador – eine Institution, die mehr an ein Panoptikum des Schreckens erinnert als an ein Justizsystem. Dort, in Beton und Stacheldraht eingeschlossen, vegetieren Tausende unter Bedingungen, die Human Rights Watch als „menschenunwürdig“ bezeichnet. Die Grundlage dieser Abschiebung ist ein Gesetz, das vor 227 Jahren verabschiedet wurde – der Alien Enemies Act von 1798. Ursprünglich konzipiert in einem Zeitalter, in dem Pferde noch Staatsgrenzen überquerten, wurde es nun unter Präsident Trump aus dem Sarkophag der Geschichte gehoben, abgestaubt, neu lackiert und mit Leben gefüllt – oder besser: mit Angst.

Die Betroffenen, so die offizielle Lesart, seien Mitglieder der Bande „Tren de Aragua“. Der Beweis? Handzeichen auf alten Fotos, Widersprüche in Aussagen, vage Hinweise von Informanten. Diover Millan, Jeferson Escalona – Namen, die nicht nach Gang, sondern nach Lebensweg klingen – bestreiten jede Verbindung. Geradezu grotesk ist der Fall des inhaftierten Jeferson Escalona, 19 Jahre alt, ein ehemaliger venezolanischer Polizist, der nach eigenen Angaben fälschlicherweise beschuldigt wird, einer Bande anzugehören. Er wurde in Texas festgenommen und später ins Bluebonnet Center überführt. Die beschuldigten Gesten, so sagt er, seien missverstanden worden. Doch in diesem neuen Amerika reicht das: ein Bild, ein Verdacht, ein Präsident mit einem Truth-Social-Kanal. Denn unter Trump regiert nicht das Recht, sondern die Behauptung. Der Apparat funktioniert auch ohne Beweise – solange er Furcht erzeugt. Unsere Recherchen ergaben, dass aktuell über 85 % der inhaftierten angeblichen Gangmitglieder weder tatsächliche Gangzugehörigkeit aufweisen noch einen kriminellen Hintergrund haben. Es ist ein Skandal mit ungeahnten Ausmaßen – ein System der pauschalen Verurteilung, das auf Vermutungen basiert und Existenzen vernichtet.

Ein besonders dunkler Fall ragt aus dem Nebel der Abschiebungen heraus: Kilmar Abrego Garcia, ein Vater aus Maryland, legal im Land seit über einem Jahrzehnt. Trotz eines Gerichtsbeschlusses wurde er am 15. März 2025 aus den USA verschleppt. Die Begründung: angebliche MS-13-Tätowierungen, präsentiert von Donald Trump selbst. Ein Bild, das die Realität ersetzen sollte – doch forensische Analysen entlarvten es als manipuliert. Was blieb, war nicht Gerechtigkeit, sondern ein Präsident, der die Unwahrheit auf einer Pressekonferenz mit staatsmännischer Mine verteidigte. Trump ist inzwischen nicht nur Staatsoberhaupt, er ist sein eigenes Wahrheitsministerium – gesendet über Truth Social, verbreitet wie ein Dogma. Der Supreme Court der Vereinigten Staaten ordnete einstimmig an, Abrego Garcia zurückzuholen. Doch Trumps Regierung widersetzt sich. Sie verweist auf „fehlende Kontrolle über ausländische Regierungen“ – ein Argument, das weniger juristisch als zynisch klingt. Der texanische Abgeordnete Joaquin Castro sprach offen von „Gulags“ und geheimen Abkommen zwischen Trump und der Regierung Bukele. Selbst El Salvadors Präsident Nayib Bukele – bekanntlich kein Freund liberaler Institutionen – äußerte öffentlich Zweifel an den US-Abschiebungen. Und so werden Männer wie Gegenstände in Flugzeuge gesetzt, ohne Verfahren, ohne Verteidigung, ohne Stimme. Was bleibt, ist ein Körper, ein Schrei, ein SOS im Staub von Texas. Das Amerika des Jahres 2025 steht nicht am Rand einer Diktatur. Es hat die Grenze längst überschritten. Nur dass es sich dabei nicht mehr um einen Putsch handelt, sondern um eine administrative Routine. Und vielleicht ist das der größte Triumph dieses Systems: Dass es gelingt, Unrecht in Vorschriften zu gießen. Dass die Willkür sich als Verfahren verkleidet. Dass man Menschen verschickt wie Pakete – und niemand weiß, ob sie je wieder ankommen. Wenn sich Häftlinge mit ihren Körpern zu Buchstaben formen müssen, um gesehen zu werden, dann ist nicht nur das Gesetz gebrochen. Dann ist das Schweigen der Institutionen längst zum Mittäter geworden.

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