Die ukrainische Delegation ist aus Genf zurückgekehrt, und das, was Präsident Selenskyj nun öffentlich macht, zeigt deutlicher als jeder Regierungssprecher in Washington, wie fragil diese Gespräche sind – und wie viel Druck auf Kiew lastet. Der 28-Punkte-Plan existiert in dieser Form nicht mehr. Weniger Punkte, neue Formulierungen, einige Zugeständnisse an die Ukraine, einige, die im Raum bleiben wie ein Schatten. Selenskyj betont, die Liste der notwendigen Schritte sei jetzt „umsetzbar“. Doch hinter dem Satz liegt ein Konflikt, der in Genf nur mühsam kaschiert werden konnte: Die Ukraine sitzt an einem Tisch, den andere längst gedeckt hatten.
Selenskyj beschreibt einen Verhandlungstag, der fast vollständig aus Treffen bestand, konzentriert, anstrengend, ohne jede Pause. Dass er die amerikanische Seite ausdrücklich für „konstruktives Verhalten“ lobt, sagt mindestens so viel wie es verschweigt. Die Ukraine weiß sehr genau, wie begrenzt die Geduld Washingtons geworden ist, und wie offen die Trump-Regierung ihre Erwartungen formuliert. Es ist kein Geheimnis mehr, dass die USA schneller zu einem Ergebnis kommen wollen, als es für die Ukraine sicher wäre. Und Selenskyj weiß, dass nicht jedes Gespräch mit den europäischen Partnern die Unterstützung bringt, die er braucht.
Seine Botschaft an Trump ist klar: Über die heiklen Punkte wird er persönlich sprechen. Es ist der Versuch, Kontrolle zurückzugewinnen in einem Prozess, in dem die Ukraine ständig das Gefühl hat, sich rechtfertigen zu müssen – dafür, dass sie nicht kapituliert, nicht nachgibt, nicht aufhört zu kämpfen. „Die Ukraine wird niemals ein Hindernis für Frieden sein“, sagt Selenskyj. Das ist kein Satz für die Öffentlichkeit. Es ist ein Satz, der an Washington adressiert ist, weil dort der Vorwurf im Raum steht, die Ukraine blockiere.
Gleichzeitig benennt Selenskyj offen, was viele Diplomaten nur hinter verschlossenen Türen einräumen: Russland versucht jede dieser Verhandlungsphasen zu sabotieren. Nicht mit Panzern diesmal, sondern mit Informationskampagnen, Einschüchterung und der gezielten Behauptung, die Ukraine wolle keinen Frieden. Die Gefahr ist real, denn Moskau spielt auf Zeit – und auf Erschöpfung. Für Selenskyj geht es in diesem Moment nicht nur um Gebiete oder Formulierungen. Es geht darum, den Eindruck zu zerstreuen, die Ukraine sei ein Störfaktor. Es geht darum, sichtbar zu machen, dass sein Land seit fast drei Jahren versucht, seine Staatlichkeit gegen einen Angreifer zu verteidigen, der jeden diplomatischen Raum nutzt, um die eigenen Positionen durchzusetzen. Die Ukraine kämpft inzwischen an zwei Fronten: an der militärischen – und an der, in der Worte, Halbsätze und diplomatische Nuancen genauso gefährlich sind wie Raketen.

Selenskyj bedankt sich bei den Staaten, die weiterhin an der Seite der Ukraine stehen. Doch der Subtext ist unüberhörbar: Die Zeit, in der breite internationale Einigkeit herrschte, ist vorbei. Europa ist gespalten, die USA sind unberechenbar, Russland sieht im Zögern des Westens eine Einladung. Dass Selenskyj diesen Moment nutzt, um an die Würde seines Landes zu erinnern und an den einfachen Satz, dass Frieden nicht durch Erpressung entsteht, zeigt, wie schwierig die Lage geworden ist.
Der Präsident redet nicht schön. Er redet, weil er weiß, wie viele Interessen auf diese Gespräche einwirken – und wie oft die Ukraine in diesem Geflecht der schwächste Akteur ist. Seine Worte machen deutlich: Kiew wird weiter verhandeln, aber nicht knien. Und genau darin liegt der Punkt, an dem sich in den kommenden Tagen entscheidet, ob dieser Friedensprozess eine Chance hat – oder ob er zur Bühne für das nächste Machtspiel wird.
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Für Russland zählt jeder Tag, denn es ist zumindest im Bereich des Möglichen, dass Trump sich nicht mehr lange hält. Deshalb hat die Störung des Rückhalts der Ukraine oberste Priorität. Ich sehe leider furchtbar schwarz für die Ukraine, aber auch für ganz Europa. Denn, wie auch nur ein einziger von den beteiligten „Berufspolitikern“ der Meinung sein könnte, dass mit der Kapitulation der Ukraine Ruhe an der Westgrenze Russlands einkehren könnte, ist mir ein Rätsel.