Selbstverzehrung im Ausnahmezustand – Amerika verliert seine letzte Scham

Es war ein Satz, wie geschaffen für einen dystopischen Roman – nur fiel er nicht in der Fiktion, sondern auf einer Presseführung durch ein reales Internierungslager im US-Bundesstaat Florida. Kristi Noem, Heimatschutzministerin unter Donald Trump, erzählte vor laufenden Kameras: „Wir wollten einen Kannibalen abschieben – aber der Mann war so wahnsinnig, dass er begann, sich selbst zu essen. Noch im Flugzeug.“ Kein Lächeln, kein Zwinkern. Nur ein Satz, so grotesk, dass selbst die Wahrheit dahinter längst in sich zusammengefallen ist.

Die Szene spielte sich ab während eines PR-Rundgangs durch das neue Abschiebelager „Alligator Alcatraz“, gelegen mitten in den Everglades, zwischen Mangroven, Mücken und Mythen. Offiziell ein „Hochsicherheits-Flüchtlingszentrum“, inoffiziell ein Symbol für die moralische Verwahrlosung eines Staates, der sich längst von internationalen Menschenrechtsstandards verabschiedet hat. Präsident Trump reiste persönlich an, flankiert von Floridas Gouverneur Ron DeSantis und Noem, die ihre Geschichte vom Kannibalen in der Art eines Lagerfeuermärchens zum Besten gab. Finger Food, sagte sie. Und lachte.

Was als Anekdote gemeint war, entlarvt die vollständige Entgrenzung einer Politik, die nicht nur Menschen abschiebt, sondern auch jeden Rest an Würde. Der vermeintliche „Kannibale“, so er denn existierte, ist dabei nur Projektionsfläche – Symbol eines Menschen, der nicht mehr als Mensch erscheint, sondern als Monster, als Bedrohung, als etwas, das sich selbst aus dem Rechtssystem gefressen hat. Er wird nicht verteidigt, nicht untersucht, nicht verstanden. Er wird erzählt. Als Anekdote. Als Spektakel. Als Legitimation.

Währenddessen wächst rund um „Alligator Alcatraz“ ein Gefängniskomplex heran, der nach offizieller Lesart 5.000 Personen aufnehmen soll – darunter Frauen, Kinder, Schutzsuchende, psychisch Kranke. Schon jetzt berichten NGOs von fehlender medizinischer Versorgung, willkürlichen Verlegungen, nächtlichen Lautsprecherdurchsagen zur Einschüchterung. Und während im Inneren die Hitze steht, feiern Politiker draußen den „Erfolg amerikanischer Abschreckung“. Kein Wort über Haftbedingungen. Kein Wort über Verfahrensrechte. Nur Begriffe wie Effizienz, Kapazität, Souveränität.

In Trumps Amerika ist der Mensch kein Subjekt mehr, sondern ein logistisches Problem. Die Lager tragen martialische Namen, die Geschichten, die man über sie erzählt, sind grotesk. Doch sie lenken ab von den realen Verbrechen: vom Verlust des Asylrechts, von der Missachtung internationaler Konventionen, vom gezielten Aufbau eines Abschieberegimes, das nicht mehr unterscheidet zwischen Flucht und Delikt, zwischen Bedürftigkeit und Bedrohung. Der Kannibale ist nur ein Schattenriss. Die eigentliche Geschichte spielt sich in Beton, Stacheldraht und Schweigen ab.

Und während sich in Europa die Demokratien mühen, ihre Werte gegen äußere Bedrohungen zu verteidigen, demontiert sich die älteste Demokratie der Welt im Inneren. Mit jedem Lager, mit jeder Erzählung, mit jeder Pointe, die in Wahrheit eine Anklage sein müsste.

Der Mann im Flugzeug – so es ihn gab – war krank. Oder verzweifelt. Oder beides. In einem funktionierenden Rechtsstaat hätte man ihn versorgt. In einem funktionierenden Staat hätte man ihn nie an Bord gezwungen. Doch Amerika funktioniert nicht mehr wie ein Staat, der sich an den Menschenrechten misst. Es funktioniert wie eine Bühne. Für Erzählungen. Für Bilder. Für das, was am meisten klickt.

Die Welt schaut zu. Und manche lachen. Doch in den Sümpfen von Florida wächst ein Monument des Schreckens heran. Und niemand soll später sagen, er habe es nicht gewusst.