In der Stunde der politischen Dunkelheit, wenn die ökonomische Vernunft der Propaganda weicht, kehrt die Geschichte als Farce zurück. Präsident Donald Trump, ein Mann, dessen Vorstellung von Geschichte sich weniger an Archiven als an Autobiografien orientiert, erklärte unlängst, hohe Zölle hätten die Große Depression verhindern können. Er sei der Mann, der diese Lektion nun wieder lehre, koste es, was es wolle. Doch die Geschichte widerspricht ihm. Mit aller Macht.
Der Zölle-König und das Erbe von Smoot-Hawley
Trump, der sich selbst als Protektionisten in der Tradition William McKinleys inszeniert, stützt seine Politik auf ein Fundament historischer Fehlinterpretationen. Als die Große Depression in den 1930er Jahren das Land erfasste wie eine Seuche, glaubten der Abgeordnete Willis Hawley aus Oregon und Senator Reed Smoot aus Utah, der Schutz amerikanischer Farmer und Fabriken könne durch Importzölle gelingen. Der Smoot-Hawley-Tarif – ein Monument des ökonomischen Nationalismus – wurde 1930 von Präsident Herbert Hoover unterzeichnet. Über tausend Ökonomen hatten ihn schriftlich zur Vernunft gemahnt. Vergebens. Der Gesetzestext, ursprünglich als Schutzmaßnahme für Agrarprodukte geplant, mutierte unter dem Einfluss der Industrie zu einem allumfassenden Zollmassaker. Mehr als 20.000 Produkte wurden teurer, die Handelspartner reagierten mit Gegenmaßnahmen, ein globaler Zollkrieg entbrannte. Die Weltwirtschaft, ohnehin geschwächt, stürzte tiefer in die Krise.
Trump jedoch, immun gegen historische Evidenz, stellt die Welt auf den Kopf: „Wenn sie bei der Zollpolitik geblieben wären, hätte es die Große Depression nie gegeben.“ Die Vereinigten Staaten wurden mit Zöllen geboren. Der Tariff Act von 1789 – unterzeichnet von George Washington – war ein pragmatisches Mittel zur Finanzierung des jungen Staates. Es folgten Jahrzehnte hoher Zölle, verstärkt nach dem Krieg von 1812 und während der industriellen Revolution. Die Tarife dienten nicht nur dem Schutz der amerikanischen Industrie, sondern auch der Schuldenbewältigung nach dem Bürgerkrieg.
Doch wer glaubt, dass das Ende der Zollpolitik mit der Einführung der Einkommensteuer 1913 kam, irrt. Die 1920er-Jahre sahen mit dem Fordney-McCumber-Tarif von 1922 einen neuen historischen Höchststand an Handelsbarrieren – ein Vorgeschmack auf Smoot-Hawley. Damals wie heute führte Protektionismus nicht zur Blüte, sondern zur Blase.
Der Crash von 1929 – als der Markt den Atem anhielt
Die wirtschaftliche Grundlage bröckelte bereits, als die Federal Reserve 1928 die Zinsen erhöhte. Ziel war es, die spekulative Blase an den Börsen zu entschärfen. Doch die Maßnahme traf auch die Realwirtschaft – nicht nur in den USA, sondern weltweit. Am 29. Oktober 1929 – dem „Schwarzen Dienstag“ – platzte die Blase. Der Dow Jones kollabierte. Kredite platzten. Arbeitslosigkeit und Verzweiflung griffen um sich wie Rauch in einem brennenden Haus. Statt einer aktiven Sozialpolitik kam aus Washington der Smoot-Hawley-Tarif. In einem Moment, in dem internationale Zusammenarbeit überlebenswichtig gewesen wäre, verschloss sich Amerika hinter einer Mauer aus Gebühren und Nationalstolz. Exportmärkte brachen weg, der globale Handel versiegte – und der Aufstieg des Faschismus in Europa erhielt eine ökonomische Vorlage.
„Es gab Industrien, die profitierten“, sagt Wirtschaftshistoriker Gary Richardson. „Aber insgesamt waren Menschen in den USA und weltweit die Verlierer.“
Herbert Hoover war vieles, bevor er Präsident wurde: Bergbauingenieur, humanitärer Helfer, Wirtschaftsminister. Ein technokratischer Idealist mit stillem Habitus. Kein Mann des Spektakels. Donald Trump hingegen ist das Spektakel. Er kam nicht, um zu dienen, sondern zu dominieren. Wo Hoover zauderte, handelt Trump unilateral, und ruft kurzerhand den „ökonomischen Notstand“ aus, um Zölle zu verhängen.
Trumps Politik ist keine Korrektur der Globalisierung, sondern deren Sabotage. Sie ignoriert, dass der Wohlstand Amerikas im 20. Jahrhundert nicht trotz, sondern wegen sinkender Handelsschranken wuchs. Nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten die USA eine Weltordnung des freien Handels, von der sie selbst am meisten profitierten. Dass Trump heute das Gegenteil fordert, ist ein Rückfall in die Logik der 1930er – ein Rückfall mit Erinnerungslücken.
Die Tarife des 21. Jahrhunderts tragen nicht mehr den Namen Smoot-Hawley, aber ihren Geist. Trumps Erzählung ist verführerisch schlicht: Zölle machen stark, Globalisierung macht schwach. Es ist das Mantra eines Mannes, der Komplexität für Schwäche hält und historische Fakten für Stimmungsmache.
Doch Geschichte lässt sich nicht tweeten. Sie verlangt nach Einsicht, nach Lernen, nach Demut vor ihren Fehlern. Die Große Depression war nicht die Folge freier Märkte, sondern das Resultat eines toxischen Gemischs aus Spekulation, Protektionismus und politischer Lähmung. Wer heute Zölle als Allheilmittel verkauft, verkauft die Vergangenheit als Mythos, und die Zukunft als Risiko.
„Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“
Und vielleicht ist genau das das Ziel.
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