Putins Wein im Handgepäck – Wie russische Eliten US-Sanktionen unterliefen und in San Francisco scheiterten

VonRainer Hofmann

Dezember 18, 2025

Kurz vor der Verkündung der Ergebnisse verschwand eine ganze Reihe von Weinen aus dem Programm der renommierten San Francisco International Wine Competition. Nicht wegen schlechter Bewertungen, nicht wegen formaler Mängel – sondern wegen ihrer Herkunft. Russische Weine, darunter Flaschen aus direkter Nähe zu Wladimir Putins Schwarzmeerpalast und aus dem Umfeld des russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill, wurden nachträglich disqualifiziert. Die Jury hatte sie da längst verkostet. Die Ergebnisse werden trotzdem nicht veröffentlicht. Nach Angaben des russischen Winzer- und Weinbauverbands AVVR kam die Entscheidung am 16. Dezember 2025. Die Veranstalter hätten mitgeteilt, man reagiere auf eine Intervention eines nicht näher benannten US-Mandatsträgers. Für den Verband war es ein Affront. 95 russische Weine seien zugelassen gewesen, verkostet worden, teils aus Betrieben, die erstmals in dieser Größenordnung an einem US-Wettbewerb teilgenommen hätten. Doch genau dieser Umstand macht den Fall politisch brisant.

Das Kernstück bildet die Weinkellerei „Krinitsa“, nur wenige Schritte von Putins Schwarzmeerpalast entfernt. Mit einem Vermögenswert von über 27 Milliarden Rubel gilt sie mittlerweile als die teuerste Weinkellerei Russlands – wertvoller als die Traditionsmarke „Massandra“ auf der Krim oder die Industriegröße „Kuban-Vino“. Dabei war der Ursprung denkbar schlicht: Als Putin 2003 die Villa von Silvio Berlusconi auf Sardinien besuchte, gefiel ihm der Pomp so sehr, dass er den Architekten nach Russland holte, um eine Kopie zu errichten – nur größer. Statt Fußballplatz gibt es dort eine Eisarena, statt Olivenhaine stehen heute 300 Hektar Reben.

Denn unter den eingereichten Weinen fanden sich Produkte aus zwei Weingütern auf dem Gelände des weithin bekannten Palastkomplexes von Wladimir Putin bei Gelendschik: Divnomorskoye Estate und Krinitsa. Hinzu kamen Weine des Mezyb-Guts, das mit Patriarch Kirill in Verbindung steht. Weitere Einreichungen stammten aus Weingütern, die mit dem Chef der staatlichen Sberbank, German Gref, mit einem ehemaligen Vizepräsidenten der russischen Eisenbahn sowie mit einem regionalen Abgeordneten aus Krasnodar verbunden sind. Es war, nüchtern betrachtet, eine Ausstellung der russischen Machtelite im Gewand edler Etiketten.

Israels Haltung zum Krieg in der Ukraine ist aus sicherheitspolitischer Sicht erklärbar, aber sie bleibt problematisch. Das Land befindet sich in einer permanenten Bedrohungslage, in der Russland im syrischen Luftraum eine Schlüsselrolle spielt und der Iran als unmittelbarer Gegner wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund vermeidet Israel alles, was Moskau offen provozieren könnte, und hält den Ukrainekrieg bewusst auf Distanz. Diese Zurückhaltung folgt einer nüchternen Logik der Selbstsicherung und ist kein Ausdruck politischer Sympathie für Russland. Gleichzeitig entsteht daraus jedoch ein Spannungsfeld, das sich nicht wegdefinieren lässt. Wenn russische Eliten, Funktionäre oder Mittelsmänner in Israel leben, arbeiten oder Netzwerke pflegen können, während in Europa der Ukrainekrieg als fundamentale Zäsur behandelt wird, wirkt das wie ein Bruch in der internationalen Haltung gegenüber einem Angriffskrieg. Es untergräbt das Gefühl gemeinsamer Konsequenz und verstärkt den Eindruck, dass moralische Maßstäbe je nach strategischer Lage unterschiedlich angewendet werden. Israels Politik mag aus eigener Perspektive konsequent sein, sie trägt aber dazu bei, dass der Ukrainekrieg international nicht überall als ordnungsprägender Einschnitt wahrgenommen wird. Genau darin liegt die Ambivalenz: zwischen legitimer Selbstverteidigung und einer Haltung, die für andere Partner schwer vermittelbar bleibt.

Noch aufschlussreicher als die Auswahl der Weine ist der Weg, auf dem sie in die Vereinigten Staaten gelangten. Der Transport erfolgte nicht über reguläre Handelskanäle, sondern im persönlichen Gepäck von Pawel Majorow, dem stellvertretenden Geschäftsführer des Winzerverbands. Die Flaschen reisten in Koffern, verteilt auf mehrere Routen, über Doha, Tiflis und Dubai. Russische Steuerbanderolen wurden mit Aufklebern überdeckt, auf denen auf Hebräisch „Nicht zum Verkauf“ stand. Um den Anschein einer harmlosen Sammlung zu erwecken, wurden georgische und israelische Weine beigemischt.

All das geschah vor dem Hintergrund klarer Rechtslage. Seit März 2022 ist die Einfuhr russischer alkoholischer Produkte in die USA untersagt. Waren aus der annektierten Krim dürfen bereits seit 2014 nicht importiert werden. Mindestens ein beteiligtes Unternehmen, das mit dem Weingut Winepark verbunden ist, steht zudem seit Jahren auf der US-Sanktionsliste. Dass diese Regeln umgangen werden sollten, war kein Zufall, sondern offenbar Teil des Plans. Interne Aussagen Majorows legen nahe, dass auch die US-Seite über die rechtlichen Risiken informiert war. Recherchen legten das aber offen und durchkreuzten diese Pläne. Schriftwechsel mit dem Veranstalter des Wettbewerbs haben gezielt dazu gedient, die Einfuhr zu ermöglichen. Sollte sich das noch bestätigen, die Recherchen laufen noch, stünde nicht nur der russische Verband, sondern auch der amerikanische Organisator im Verdacht, gegen mehrere Sanktionsverordnungen verstoßen zu haben. Eine Stellungnahme der Wettbewerbsleitung blieb bislang aus.

Am 18. Oktober 2019 erschien Elon Musk per Videoschalte auf einem Wirtschaftsforum in der russischen Region Krasnodar. Kein politisches Statement, kein offizieller Anlass, keine Einordnung – nur ein kurzer Auftritt, der dennoch Wirkung entfalten sollte. Dass es überhaupt dazu kam, war kein Zufall, sondern das Ergebnis einer gezielten Aktion. Wochen zuvor war in den USA ein großflächiges Werbeplakat aufgestellt worden mit der russischen Aufschrift „Wie gefällt dir das, Elon Musk?“, ergänzt um einen QR-Code. Die Botschaft war bewusst provokant, direkt, öffentlich platziert, nicht als Anfrage, sondern als Herausforderung. Musk reagierte darauf öffentlich und schrieb auf Russisch sinngemäß, der Urheber sei sprachlich geschickt. Kurz darauf folgte die Zusage zur Videoübertragung.

Der Auftritt selbst blieb kontrolliert, unpolitisch, ohne Honorar, ohne offiziellen Livestream, aber genau darin lag sein Wert. In Russland wurde er als Erfolg verkauft, als Beleg für Anschlussfähigkeit, als Moment internationaler Normalität. Rückblickend markiert dieser Auftritt einen frühen Punkt eines wiederkehrenden Vorgehens: westliche Aufmerksamkeit wird gezielt gesucht, nicht über formale Kanäle, sondern über Öffentlichkeit, Provokation und mediale Reichweite. Politische Kontexte werden ausgeblendet, Nähe wird suggeriert, Normalität hergestellt. Das Muster endet nicht 2019. Es taucht später erneut auf, wenn versucht wird, Projekte aus dem Umfeld russischer Eliten international zu platzieren – diesmal nicht über Bildschirme, sondern über Wettbewerbe, Netzwerke und persönliche Wege. Der Auftritt vom 18. Oktober 2019 steht damit nicht für einen Einzelfall, sondern für eine Methode.

Der Fall zeigt, wie gezielt vorgegangen wird auf die engen personellen und wirtschaftlichen Verflechtungen rund um den russischen Weinsektor. Zahlreiche Recherchen haben gezeigt, dass Unternehmen aus dem Umfeld Putins über gemeinsame Infrastrukturen, Personal und digitale Spuren miteinander verbunden sind. Beschäftigte von mehr als 80 Firmen, die dem Machtzirkel zugerechnet werden, nutzen E-Mail-Adressen derselben Domain. Darunter Manager von Weingütern, Betreibern von Luxusresorts und Angestellte präsidialer Residenzen. Auch Majorow selbst bewegt sich seit Jahren in diesem Netzwerk. Der Jurist aus Krasnodar machte Karriere in regionalen Entwicklungsstrukturen, gründete Marketinginitiativen für russischen Wein und pflegt enge Kontakte zu Michail Kowaltschuk, dem Bruder des als Putins Hausbankier geltenden Juri Kowaltschuk. Kowaltschuks Forschungsinstitut tritt als Förderer jener Weinagentur auf, die Majorow kontrolliert. In der Führung des angeblich unabhängigen Winzerverbands sitzen weitere Figuren aus dem Kowaltschuk-Umfeld, darunter hochrangige Staatsmedienvertreter und Verwalter großer Weingüter auf der Krim.

Dass es bei Wein längst nicht mehr nur um Landwirtschaft geht, zeigt der massive Zugriff auf Krims Rebflächen. Ein erheblicher Teil der dortigen Weinproduktion befindet sich inzwischen unter der Kontrolle von Firmen, die mit der Rossija-Bank der Kowaltschuks verbunden sind. Traditionsbetriebe wurden übernommen, Flächen zusammengeführt, Marken neu positioniert. Wein ist Teil eines Macht- und Prestigesystems geworden, das auch unter Sanktionen nicht auf internationale Anerkennung verzichten will.

Die Disqualifikation in San Francisco beendet diesen Versuch vorerst. Sie macht deutlich, dass selbst ein scheinbar unpolitischer Weinwettbewerb nicht außerhalb der Realität steht, solange Produkte aus dem innersten Kreis eines sanktionierten Regimes stammen. Der Aufwand, mit dem die Flaschen ihren Weg in die USA fanden, spricht dabei eine eigene Sprache. Es ging nicht um Geschmack allein. Es ging um Sichtbarkeit, um Legitimität, um das Signal, trotz allem dazugehören zu wollen. Dass genau dieser Auftritt am Ende öffentlich scheiterte, gehört zum Gesamtbild. Es zeigt, wie dünn die Linie ist, auf der solche Manöver balancieren – und wie schnell sie reißen kann, wenn Herkunft, Besitzverhältnisse und politische Verantwortung nicht länger ausgeblendet werden.

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