Marcel LeBrun – Die 99 Häuser der Hoffnung

VonRainer Hofmann

Mai 12, 2025

Es beginnt wie jede andere Geschichte des Reichtums. Ein Unternehmer verkauft sein Tech-Unternehmen, der Kontostand schwillt an, die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Doch was dann geschieht, ist alles andere als gewöhnlich. Marcel LeBrun, der kanadische Millionär, nimmt seine Millionen und baut keine Villen, kauft keine Yachten und jagt nicht dem flüchtigen Glanz der Luxusmärkte nach. Stattdessen errichtet er Häuser. 99 kleine, voll ausgestattete Häuser für Menschen, die nichts besitzen außer ihrer Geschichte.

Fredericton, eine kleine Stadt in New Brunswick, Kanada, wird zum Schauplatz eines Experiments, das in seiner Schlichtheit radikal ist. Diese Häuser, jedes mit einer eigenen Küche, einem Bad und Solarmodulen ausgestattet, sind weit mehr als Notunterkünfte. Sie sind keine temporären Lösungen, keine billigen Hütten, die man im Windschatten des sozialen Unrechts aufstellt. Sie sind solide, würdevoll, und vor allem: sie sind ein Zuhause.

Doch LeBruns Vision geht über den Bau von Häusern hinaus. Er hat verstanden, dass vier Wände allein kein Leben retten können. Um die kleinen Häuser herum entsteht eine Gemeinschaft. Ein Kaffeehaus öffnet seine Türen – kein Ort der Almosen, sondern ein Raum der Begegnung. Eine Lehrküche wird eingerichtet, in der Menschen nicht nur Kochen lernen, sondern auch eine Fertigkeit erwerben, die sie weiterbringt. Kleine Unternehmen bieten Chancen zur Selbstständigkeit, zu einem selbstbestimmten Leben. Ein Mikrokosmos der Möglichkeiten, der inmitten einer Gesellschaft wächst, die allzu oft wegschaut.

„Es geht nicht um Wohltätigkeit“, sagt LeBrun. Und in diesem Satz liegt der ganze Unterschied. Wohltätigkeit ist der kurze Impuls, das eigene Gewissen zu beruhigen. Eine Münze in einen Becher werfen, ein prüfender Blick, ob das eigene Herz noch schlägt. Doch Würde – Würde ist etwas anderes. Würde ist die Überzeugung, dass jeder Mensch nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine Chance verdient. Die Chance, wieder aufzustehen. Die Chance, sich wieder als Mensch zu fühlen.

LeBrun baut keine Mauern zwischen den Verzweifelten und den Wohlhabenden, sondern Brücken. Er baut keine Paläste für die Reichen, sondern Zufluchtsorte für die Verlorenen.

Im Morgengrauen stehen die kleinen Häuser wie leuchtende Quadrate, jedes von ihnen eine eigene Welt. Die Solarmodule auf den Dächern glitzern im ersten Licht, während die Veranden, geschmückt mit Blumen und Stühlen, den Geist einer Gemeinschaft atmen. Es sind nicht die protzigen Villen der Reichen, sondern einfache, warme Häuser. Sie erzählen die Geschichte einer Vision, die den Menschen über das Geld stellt.

Auf den geschotterten Wegen zwischen den Häusern stehen Baugeräte, ihre Reifen hinterlassen Spuren im feuchten Boden. Arbeiter tragen Werkzeuge, manche tragen blaue Hemden, andere einfache Jacken. Das Rauschen der Maschinen mischt sich mit dem Flüstern des Windes in den Bäumen am Rand der Siedlung. Es ist ein Ort der Bewegung, des Aufbaus, der Hoffnung.

Von oben betrachtet wirken die Solarmodule auf den Dächern wie schwarze Tafeln, die Licht einfangen, um es in Leben zu verwandeln. Ein grüner Teppich von Rasen breitet sich zwischen den kleinen Häusern aus, Holzbänke laden zum Verweilen ein. Blumen in Töpfen, sorgfältig gepflegt, stehen vor den Eingängen. Ein Symbol dafür, dass hier nicht nur gebaut, sondern auch gelebt wird.

Marcel LeBrun geht über das Gelände, spricht mit den Arbeitern. Er ist kein abwesender Geldgeber, kein Name auf einer Plakette. Er ist hier. Er sieht zu, wie jedes Haus entsteht, wie jedes Dach seine glänzenden Solarmodule erhält. Für ihn ist es kein Projekt – es ist eine Vision.

Und die Menschen, die hier wohnen werden? Es sind keine anonyme Masse. Es sind Geschichten. Da ist die alleinerziehende Mutter, die nach Jahren auf der Straße erstmals ihre eigene Tür abschließen kann. Der Veteran, der in einem der kleinen Häuser Frieden findet, oder obdachlose Menschen. Das ältere Paar, das in der Lehrküche neue Gerichte entdeckt und wieder lacht.

LeBruns Häuser sind keine Wände. Sie sind Brücken. Brücken zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Und zwischen denen, die geben können, und denen, die den Mut haben, neu anzufangen.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x