Der Name Kilmar Abrego Garcia steht inzwischen sinnbildlich für ein Einwanderungssystem, das seine eigenen Entscheidungen nicht mehr versteht. Bundesrichterin Paula Xinis hat angeordnet, dass der Salvadorianer sofort aus der ICE-Haft zu entlassen ist. „Die Behörden müssen Abrego Garcia unverzüglich freilassen“, heißt es in dem zweiseitigen Beschluss des Bundesgerichts im District of Maryland. Ein Satz, der die Wucht eines gesamten Verfahrens trägt.

Kilmar Abrego Garcia war im März mit Hunderten weiteren Menschen nach El Salvador ausgeflogen worden – angebliche Mitglieder von MS-13 und der venezolanischen Gruppe Tren de Aragua. Wir konnten damals wiederlegen, dass er, wie von Trump behauptet, MS-13 Tattoos an den Händen hatte. Vielmehr konnte man belegen, dass die gezeigten Bilder von Trump Fälschungen waren. Siehe dazu unseren Artikel: „Die Faust, das Foto und die Lüge – Wie Trump das Recht mit einem irreführenden Bild ersetzt“ – unter dem Link: https://kaizen-blog.org/die-faust-das-foto-und-die-luege-wie-trump-das-recht-mit-einem-irrefuehrenden-bild-ersetzt/
Doch sein Fall stach heraus: Er lebte seit mehr als zehn Jahren in Maryland, arbeitete als Schlosser, hatte einen gültigen Arbeitserlaubnisstatus und stand unter einem gerichtlichen Abschiebeschutz. Trotzdem wurde er auf einen Flug in ein Land gesetzt, in dem er nie eine Straftat begangen hatte. ICE schob die Verantwortung auf einen „Verwaltungsfehler“. Die Trump-Regierung behauptete, er sei Teil einer Gangstruktur. Abrego Garcia bestreitet das. Die Anschuldigungen waren geradezu grotesk.
Eine Warnung sei hier ausgesprochen: Das im Video enthaltene Material aus dem CECOT dokumentiert extreme Formen menschlicher Entwürdigung.“ Es ist nichts für schwache Nerven – und doch ein unverfälschter Spiegel dessen, was geschieht, wenn Menschen nicht mehr als Individuen mit unveräußerlicher Würde, sondern nur noch als Bedrohung, als Statistik, als zu eliminierende Variable in einer Gleichung der Angst erscheinen. In Nayib Bukeles Folterhölle CECOT – diesem architektonischen Monument der Entmenschlichung in El Salvador – vegetieren Zehntausende unter Bedingungen, die jede zivilisatorische Errungenschaft verhöhnen. Die teils verdeckt aufgezeichneten Videoaufnahmen aus diesem Komplex zeigen dicht gedrängte Körper, nackte Leiber aneinandergereiht wie Vieh vor der Schlachtung, Menschen ihrer Individualität beraubt und zu einer amorphen Masse des Elends verschmolzen. Dies ist die Hölle auf Erden
Während er in einem salvadorianischen Gefängnis für Terrorverdächtige einsaß, erhob eine Grand Jury in Nashville am 21. Mai Anklage wegen mutmaßlicher Schleusungsdelikte. Die Vorwürfe sollen sich auf einen Zeitraum von 2016 bis 2025 beziehen. Abrego Garcia plädierte auf nicht schuldig. Im Juni brachte man ihn zurück in die USA – nur um ihn wenig später erneut festzunehmen und wieder in Einwanderungshaft zu bringen. Dieses Hin und Her beschreibt nicht nur institutionelles Versagen, sondern eine Haltung, die Menschen zum Spielball macht.

Punkt 2: Die Antragsgegner müssen Abrego Garcia unverzüglich aus der ICE-Haft entlassen.
Nun ordnete Richterin Paula Xinis seine Freilassung an. Aber frei bedeutet in solchen Fällen nicht sicher. Es bedeutet, dass ein Mann, der von einem System zweimal in die falsche Richtung geschickt wurde, inzwischen wieder atmen kann – zumindest bis zur nächsten Entscheidung.

Währenddessen spielt sich in Maryland ein zweiter Fall ab, der zeigt, wie eng die Grenze zwischen Alltag und behördlichem Zugriff geworden ist. Mong „Melissa“ Tuyen Thi Tran, Mutter, Geschäftsinhaberin und seit Jahrzehnten verwurzelt in Hagerstown, wurde erneut in ICE-Haft genommen. Am 14. November – nur einen Monat nach ihrer Freilassung aus einer fünfmonatigen Haftzeit – holten die Behörden sie wieder ab. Man versuchte alles, eine alte Abschiebungsanordnung aus Juli 1995 zu stoppen. Doch Vietnam weigerte sich über Jahrzehnte hinweg grundsätzlich, Personen aufzunehmen, die vor Juli 1995 in die USA eingereist waren. Der Abschiebebeschluss blieb dadurch mehr als 20 Jahre lang praktisch außer Vollzug. Warum Vietnam jetzt plötzlich bereit war, sie aufzunehmen, bleibt ungeklärt. Die vietnamesische Botschaft in Washington reagierte trotz mehrfacher Anfragen nicht auf Bitten um Stellungnahme.
Am 17. November rief Tran eine Freundin an, um mitzuteilen, dass sie davon ausgehe, an diesem Tag nach Vietnam ausgeflogen zu werden. Durch Tränen sagte sie, sie sei erschöpft von der Angst, ständig damit rechnen zu müssen, abgeholt zu werden. „Es ist traurig, furchtbar traurig für sie und ihre Kinder. Aber ich glaube, sie ist fast erleichtert, nicht mehr in der ständigen Furcht zu leben, wann sie mich ihnen entreißen“, sagte Familienfreundin Tina Nash. Ein Satz, der schwerer wirkt als jede juristische Kategorie.
„Die Reise war jenseits von erschöpfend“, schrieb Tran in einer Textnachricht, die uns vorliegt. „Wir waren die ganze Zeit gefesselt … Ich hatte das Gefühl, schlimmer als Tiere behandelt zu werden.“
Beide Fälle legen offen, was dieses System längst verloren hat: Verlässlichkeit. Ein Staat, der Menschen erst fälschlich deportiert, dann wieder einfliegt, dann erneut festnimmt, oder eine Mutter in wechselnden Intervallen in Haft steckt, ist kein Staat, der Kontrolle demonstriert. Er demonstriert Unsicherheit, Widersprüche und einen Umgang mit Menschen, der weit hinter dem zurückbleibt, was eine Demokratie für sich beansprucht.

Kilmar Abrego Garcia ist jetzt frei. Melissa Tran auf einem Flug in ein Land, das sie seit ihrer Kindheit nicht mehr kennt. Für ihre Familien bleibt der gleiche Schreckensmoment: dass eine Tür aufgeht, und der Alltag in einen Ausnahmezustand kippt, der nichts mehr mit Recht, aber alles mit Macht zu tun hat. Wir werden alle in beiden Fällen weiterkämpfen und jetzt natürlich alles nur erdenkliche in die Wege leiten, dass Melissa schnellstens wieder zu ihrer Familie zurückkehren kann. Der Kampf geht weiter, Tag für Tag, Nacht für Nacht, Fall für Fall.
Fortsetzung folgt …
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